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Offene Worte

■ betr.: "taz vom 3.4.90, Titel: Böhme tritt ... ab"

Betr.: taz vom 3. 4. 90, Titel: Böhme tritt ... ab

Der Artikel enthält Darstellungen, die unzutreffend und Wertungen, die von Vorurteilen beeinflußt sind. Als Mitglied des Bürgerkomitees im ehemaligen MfS fühle ich mich zu einer persönlichen Stellungnahme verpflichtet. Meine Erfahrungen mit den früheren Mitarbeitern des Ministeriums, mit denen ich seit dem 15. Januar 1990 täglich zu tun habe, brachten mich zu der Erkenntnis, daß es keine ausschließlich negativen Charaktereigenschaften wie Neigung zu asozialem Verhalten, Faulheit und Gewissenlosigkeit waren, die als Kriterium für Eignung galten, sondern im Gegenteil Einsatzbereitschaft, Loyalität und Fähigkeit zu diszipliniertem Verhalten. Das von der SED errichtete System, welches positive Haltungen umfunktionierte, ist zusammengebrochen. Zusammengebrochen ist auch die Illusion der früheren Mitarbeiter, dem Wohle der Menschheit und dem Weltfrieden gedient zu haben. Denjenigen, die in ihrer Arbeitsstätte geblieben sind, um die notwendigen Aufräumungsarbeiten zu verrichten, kann ich bescheinigen, daß sie ihre positive Einstellung zur Arbeit und ihre Fähigkeit zur Loyalität bewahrt haben. Ohne diese Menschen, die jetzt Mitarbeiter der Staatlichen Archivverwaltung sind, wären Kassations- und Rehabilitierungsverfahren zur Zeit nicht möglich. Tausende warten darauf!

Ich möchte den Unterstellungen und Vermutungen des amtierenden Fraktionssprechers der SPD folgenden Sachverhalt entgegenstellen. Die einzelnen Stufen von der Namenskartei, in der Herr Böhme enthalten war, bis hin zu den Vorgangskarteien, die Aufschluß über die passive und aktive Verwicklung von Menschen in die

Machenschaften des ehemaligen MfS geben, wurden durch zwei Rechtsanwälte, einen Staatsanwalt und einen Vertreter des Bürgerkomitees bis zu dem Punkte kontrolliert, an welchem auf Grund der ablesbaren Kurzinformationen eine Tätigkeit von Ibrahim Böhme als inoffizieller Mitarbeiter des ehemaligen Ministeriums für Staatssicherheit ausgeschlossen werden konnte. Es war Herr Böhme, dem diese Auskünfte der sachkundigen Mitarbeiter der Staatlichen Archivverwaltung nicht genügten und der auf der Überprüfung einer bereits archivierten Akte bestand, um eventuelle daraus hervorgehende Querverbindungen offenzulegen bzw. einer Wiederholung von Anschuldigungen vorzubeugen.

Diese Akte wurde durch Herrn Böhme, seine beiden Rechtsanwälte und einen Staatsanwalt überprüft. Die Auswertung wurde ohne das Bürgerkomitee vorgenommen, da dies nicht zu seiner Aufgabenstellung gehört. Eine Interpretation des Ergebnisses ist deshalb nicht möglich. Ein Vertreter des Bürgerkomitees hielt sich entgegen der leichtfertigen Vermutung des Sprechers der SPD-Fraktion bis zum Schluß in Bereitschaft und nahm alle nötigen Kontrollfunktionen wahr.

Klaus-Peter Schwalm, Berlin

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