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Özlem Nas über islamische Bestattungsriten„Ein respektvoller Akt“

Muslime glauben, dass die Seelen so lange auf dem Friedhof ausharren, bis das Horn zum Jüngsten Gericht ertönt. Deshalb ist die respektvolle Waschung und Bestattung der Toten besonders wichtig.

Interview von Petra Schellen

taz: Frau Nas, glauben Sie an ein Leben nach dem Tod?

Ruhe für die Gebeine: Islamischer Friedhof in Berlin. Bild: dpa

Özlem Nas: Natürlich. Das ist integraler Bestandteil des Islam. Wir sind der Überzeugung, dass das jenseitige das wirkliche Leben ist. Der Tod ist der Übergang.

Müsste dann jeder Moslem einen möglichst schnellen Tod erstreben?

Nein, so darf man es nicht verstehen. Es gibt ja einen Grund, warum wir auf der Erde sind: ein gottgefälliges Leben zu führen und gute Taten zu verrichten. Für Menschen, die sich daran gehalten haben, ist der Tod nichts Schlimmes. Schlimm ist er für die Hinterbliebenen, die sich nach ihm sehnen.

Darf ein Muslim sein Leben selbst beenden?

Nein. Selbstmord ist eine der größten Sünden im Islam. Die Entscheidung über den Zeitpunkt unserer Geburt und unseres Todes liegt bei Gott allein. Wir selbst dürfen nicht den Tod anstreben. Es ist sehr wichtig, den Tod vor Kindern und Jugendlichen nicht zu verharmlosen, damit sie nicht denken, dann sterbe ich lieber so schnell wir möglich.

Selbstmordattentäter, die sich auf den Islam berufen, tun aber genau das.

Ja, das ist eine große Gefahr. Es gibt Menschen, die aus Machtkalkül versuchen, andere zu instrumentalisieren und ihnen erzählen, dass ein Attentat den Weg ins Paradies eröffne. Dabei sagen alle muslimischen Theologen, dass Selbstmord die größte Sünde ist - wie auch Mord. Wenn man also sich und andere zugleich tötet und denkt, man käme ins Paradies, ist das fatal und hat mit dem Islam nichts zu tun. Da muss man sehr aufpassen, in welchen Kreisen man sich bewegt und wie die Psyche bestimmter Jugendlicher funktioniert.

Trotzdem dürfte auch bei einem "normalen" Todesfall die Beerdigung nichts Trauriges sein.

Das Traurigste ist in der Tat, dass man die Person nicht mehr sehen und sprechen kann. Aber man trauert eigentlich für sich selbst, nicht für die Toten, sofern sie gottgefällige Menschen waren. Wir Muslime glauben, dass jeder eine bestimmte Zeit auf Erden hat, und die ist irgendwann um. Deshalb sind viele Muslime der Überzeugung, dass man nicht laut klagen soll. Damit zollt man der Entscheidung Gottes Respekt und verhindert, dass die Seele des Toten traurig wird. Es gibt aber auch unter den Muslimen, die sehr heterogen sind, kulturelle Strömungen, in denen Menschen laut trauern und sogar Klagefrauen einladen.

Teil des Rituals ist die Waschung. Haben Sie das schon gemacht?

Ja, schon einige Male. Ich habe auch bei meiner Mutter und Großmutter die Totenwaschung durchgeführt.

Was hat Ihnen das bedeutet?

Es war ein sehr wichtiger persönlicher Abschied, besonders bei meiner Mutter, der ich das ausdrücklich versprochen hatte. Auch für sie war wichtig zu wissen, dass ich sie waschen werde - und nicht eine Fremde, die es vielleicht professionell und lieblos macht.

Wozu dient die Waschung?

Für den Verstorbenen ist es eine Reinigung, bevor er zur Ruhe ins Grab und später ins Jenseits kommt. Für den Hinterbliebenen ist es einerseits eine Vorbereitung auf den eigenen Tod. Andererseits spüre ich eine große Verantwortung, alles richtig zu machen.

Ist der Ablauf der Waschung genau vorgeschrieben?

Ja. Es ist festgelegt, wie oft man die Körperteile wäscht, dass man die Leiche nach rechts und nach links dreht und den Körper einmal aufrichtet. Allerdings waschen wir den Toten nicht nackt. Wir breiten ein Tuch darüber, um seine Würde zu wahren, und heben nur die Stelle an, die wir gerade waschen. Ihn komplett zu entblößen, würden wir als respektlos empfinden.

Im Interview: Özlem Nas

38, hat in Hamburg Turkologie, Erziehungswissenschaften und Psychologie studiert. Derzeit promoviert sie über den Einfluss von Religionsunterricht auf Jugendliche. Parallel bildet sie Lehrer fort und ist Öffentlichkeits-Referentin beim Bündnis der Islamischen Gemeinden in Norddeutschland. Zudem sitzt sie im Vorstand der Schura, des Rats islamischen Gemeinschaften in Hamburg, in der Projektleitung des Evangelischen Kirchentages sowie im Beratungsnetzwerk gegen rechts und beteiligt sich an interreligiösen Führungen in der Hamburger Kunsthalle.

Was passiert dann?

Dann kleiden wir den Körper in weiße Leichentücher und legen ihn in den Sarg, in dem er zur Grabstätte gebracht wird.

Aber er wird nicht im Sarg begraben.

Nein, am Grab hebt man ihn heraus und legt ihn in die Erde. Wir glauben, dass der Körper im Kontakt mit der Erde sein sollte. Ein Sarg wäre da ein Hindernis.

Kollidiert die sarglose Bestattung mit dem deutschen Friedhofsrecht?

Nicht mehr. Anfangs hieß es, das Grundwasser würde infolge der sarglosen Bestattung verunreinigt, aber das ist wohl nicht der Fall. Jedenfalls ist sie inzwischen in mehreren Bundesländern erlaubt - in Hamburg seit über zehn Jahren.

Feuerbestattung ist im Islam tabu. Warum?

Ja, es gibt weder Feuer- noch Seebestattung. Denn wir glauben, dass wir aus der Erde kommen und in sie zurückkehren. Außerdem bedeutet Feuer für die Muslime eine schlimme Strafe, wie sie in der Hölle zu erwarten ist.

Islamische Grabstätten sind für die Ewigkeit gedacht. Warum, wenn die Seelen längst im Jenseits sind?

Weil auch die Gebeine ihre Ruhe verdient haben. Und auch wenn die Seele aus dem Körper tritt, gibt es nach muslimischer Überzeugung immer wieder Phasen, in denen die Seelen auf den Friedhöfen sind.

Wie lange bleiben sie dort?

So lange, bis der Engel Israfil ins Horn bläst. Dann werden alle Seelen zusammengerufen und das Jüngste Gericht beginnt, das entscheidend für das unendliche Leben im Jenseits ist. Bis dahin verweilen sie auf dem Friedhof oder anderswo; sie können sich nach muslimischer Vorstellung frei bewegen und uns aufsuchen, zum Beispiel.

Und was passiert beim islamischen Jüngsten Gericht?

Dann wird anhand eines Buchs mit guten und schlechten Taten, das zwei Engel für uns zu Lebzeiten schreiben, beurteilt, ob man ins Paradies oder in die Hölle kommt. Und ob uns vergeben wird.

Wie verhalten Sie sich beim Friedhofsbesuch?

Ich grüße nicht nur die Seele "meines" Verstorbenen, sondern alle Seelen und sage: "Friede sei mit euch, ihr Bewohner des Friedhofs." Ich bin mir sehr bewusst, dass viele Seelen dort sind.

Stört es Sie, wenn sich Muslime und Christen einen Friedhof teilen?

Nein. Die Beisetzung von Christen und Muslimen auf dem gleichem Friedhof gibt es auch in der Türkei, wo seit über 2.000 Jahren Christen leben. Mich persönlich stört es keineswegs, da Christen, sowie Juden und Muslime an denselben Gott glauben. Ich finde solch ein friedliches Nebeneinander sehr positiv.

Gibt es in Deutschland auch islamische Friedhöfe?

Nein, denn für eine solche Trägerschaft müssten die islamischen Gemeinden Körperschaften des öffentlichen Rechts sein. Daher gibt es - auch in Hamburg - muslimische Gräberfelder auf christlichen Friedhöfen.

Wo lassen sich Ihre Freunde und Verwandten begraben?

Meine Mutter ist in der Türkei begraben. Überhaupt ist es derzeit noch so, dass sich die ältere Generation fast komplett in ihr Herkunftsland überführen lässt. Das scheint sich aber zu ändern. Vor einiger Zeit ist eine Freundin von mir verstorben, und die Familie, die hier lebt, hat sie hier begraben lassen. Sie wollen hier zum Friedhof gehen können. Das ist wichtig, denn wir besuchen die Verstorbenen zu hohen Festtagen an ihren Grabstätten.

Hätten Hamburgs Muslime denn gern einen eigenen Friedhof?

Es wäre schön, denn dann könnte man die Leichen nah beim Grab waschen oder das Totengebet in einer kleinen Moschee beim Grab verrichten. Das ist ein Punkt, der in Hamburg noch einmal verhandelt werden könnte. Das Thema ist zwar Teil des Staatsvertrags, aber da steht bislang nur, dass die Muslime ihre Toten auf staatlichen Friedhöfen gemäß ihrem Glauben bestatten dürfen. Für eine Trägerschaft wird aber immer noch vorausgesetzt, dass sie Körperschaft des öffentlichen Rechts sind. Mit Blick auf die jüngeren Generationen wäre das aber ein sicher sinnvolles Projekt und ein Zeichen, Teil Deutschlands zu sein.

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