Österreichs Kommunisten und ihre Armenhilfe: Der gute Geist von Graz
Wo die Behörden nichts tun können, hilft die Grazer KPÖ mit ihrem Sozialfonds. Bei den Gemeindewahlen am Sonntag hofft sie, an ihr gutes Ergebnis von 2003 heranzukommen.
GRAZ taz Carmen Bliem hat in den letzten Jahren viel Pech gehabt. Die 41-jährige Alleinerzieherin verlor ihren Job als medizinisch-technische Sekretärin bei einem lokalen Betrieb, als dort Personaleinsparungen verordnet wurden. Mit ihren drei Kindern bewohnt sie eine 80 Quadratmeter große Wohnung im Grazer Bezirk Eggenberg. "Dort bekommt man ja Depressionen", sagt sie. Außerdem sind ihr die Stromkosten zu hoch und die Nachbarn zu laut. Hilfe erhofft sie sich von der kommunistischen Stadträtin Elke Kahr. Geduldig sitzt Carmen Bliem im schmucklosen Gang vor Zimmer 236 im 2. Stock des Grazer Rathauses und wartet darauf, dass sie aufgerufen wird.
Bliem ist optimistisch. "Frau Kahr plappert nicht nur, sondern tut etwas." Das unterscheide sie von Politikern der anderen Parteien. "Die haben wirklich nur die große Klappe." Tatsächlich kann die Stadträtin ihr helfen. Auf eine neue Wohnung wird sie ein paar Monate warten müssen, doch zumindest finanziell gibt es Abhilfe. "Sie wusste nichts vom Mieterzuschuss, den es seit 1999 gibt", berichtet die Stadträtin Kahr nach der Sprechstunde. "Niemand muss mehr als 33 Prozent des Einkommens für Wohnen und Heizung ausgeben." Das habe die KPÖ durchgesetzt.
Nirgendwo in Österreich ist die KPÖ populärer als in Graz, der mit rund einer Viertelmillion Einwohner zweitgrößten Stadt Österreichs. Bei den Gemeinderatswahlen vor fünf Jahren erzielte sie mit 20,7 Prozent ein historisches Rekordergebnis. Dass sie diesen Erfolg bei den Kommunalwahlen am Sonntag wiederholen kann, erwartet nicht einmal Ernest Kaltenegger, der die Partei in der Stadt groß gemacht hat und seit knapp drei Jahren sogar im Landtag der Steiermark sitzt. Den dritten Platz aber möchte man verteidigen.
Die Kommunistische Partei Österreichs wurde 1918 gegründet ist eine der ältesten kommunistischen Parteien der Welt. Allerdings blieb sie in den Zwanzigerjahren weit von der Stärke der deutschen Kommunisten entfernt. Einen größeren Einfluss gewann sie im Widerstand gegen den Autrofaschismus und die NS-Herrschaft. Auch der ersten österreichischen Nachkriegsregierung gehörte sie an, aber bald darauf begann ihr Niedergang.
Im Folgenden galt die Partei als kleinste, aber reichste Partei Österreichs. Das Vermögen stammte größtenteils von der 1951 in Ostberlin gegründeten Novum GmbH. Über diese formal der KPÖ gehörende Firma wickelte die DDR Außenhandelsgeschäfte vor allem mit österreichischen Firmen ab. Nach dem Ende der DDR führte die Bundesrepublik Deutschland einen langen Prozess gegen die KPÖ und verlangte die Herausgabe von 225 Millionen Euro aus dem Vermögen der Novum GmbH. Im September 2003 verlor die KPÖ in letzter Instanz vor dem Oberverwaltungsgericht Berlin, das in dem Unternehmen eine Vorfeldorganisation der SED erkannte. Nach dem Urteil zeigte sich, dass es mit dem Vermögen der KPÖ nicht so weit her sein konnte: Die meisten hauptberuflichen Mitarbeiter wurden entlassen. Man musste Immobilien verkaufen und die Wochenzeitung Volksstimme auf monatliches Erscheinen umstellen.
Seit Ende der Neunzigerjahre tobt in der KPÖ ein politischer Richtungsstreit. Der erfolgreichste Landesverband, der steirische, steht dabei auf Seiten der Traditionalisten. RLD
Kaltenegger erkannte vor mehr als zehn Jahren, dass ein bedeutender Teil der Stadtbevölkerung zu teuer wohnte oder die Heizkosten nicht bezahlen konnte. Die Ärmsten heizten oft am teuersten, sagt er. "Denn wenn das Geld nicht mehr für Heizöl oder Brennholz reicht, stecken sie den Radiator an - da kommt die Rechnung erst später." Er richtete einen Mieternotruf ein und schuf einen Rechtshilfefonds für Opfer von Wohnraumspekulation.
Die Wähler honorierten das. 1998 erhielt die Partei aus dem Nichts fast acht Prozent und zog in den Gemeinderat ein und Kaltenegger wurde Stadtrat für Wohnbau. Mit einem Amt ausgerüstet, konnte er mehr tun und erwarb sich den Ruf eines Mannes, der hält, was er verspricht. Dass der 58-Jährige seit Jahren einen großen Teil seines Gehalts in einen Sozialfonds einzahlt, macht sein soziales Engagement glaubwürdig. Inzwischen folgen alle Parteigenossinnen und -genossen, die öffentliche Ämter bekleiden, seinem Beispiel.
Der Wahlerfolg von 2003, der vor allem Zuwächsen in den bürgerlichen Bezirken zu verdanken war, hat selbst die größten Optimisten in der KPÖ so überrascht, dass gar nicht genug Kandidaten bereitstanden, um alle Sitze im Gemeinderat zu füllen. Man musste sich eine Grüne "ausborgen". Mit 200 eingetragenen Parteigängern bleiben die Grazer Kommunisten eine Zwergpartei. Ein Gutteil dieser Mitglieder ist 1934 oder 1945 eingetreten, wie Kaltenegger lächelnd referiert. 1934 wurde vom austrofaschistischen Regime die Sozialdemokratische Partei verboten. Viele ihrer Anhänger flüchteten in die illegale KPÖ. Nach dem Krieg waren Teile Österreichs sowjetisch besetzt und die Kommunisten gehörten der ersten Regierung an. Ein Parteibuch erschien damals opportun. Die Basis schwindet daher aus biologischen Gründen. Doch seit einigen Jahren gebe es mehr Beitritte als Todesfälle, versichert Kaltenegger.
Zur jungen Generation gehört die 31-jährige Kirsten Felbinger, die vor dem KPÖ-Stand an der großen Murbrücke steirische Jonagold-Äpfel mit KPÖ-Aufklebern und Wahlpropaganda verteilt. Die Sonderschullehrerin sieht am ehesten bei der KPÖ "Ansätze, wie sich was zum Positiven verändern kann". In der kommunalen Arbeit werde eben "ganz konkrete Hilfestellung geleistet". Während andere Politiker sich nur im Wahlkampf in sozialen Einrichtungen blicken ließen, gehöre das für die Kommunisten zum Alltag.
Auch Spitzenkandidatin Elke Kahr macht regelmäßig Hausbesuche in den Gemeindebauten. Dort entdeckt sie immer wieder Menschen, denen mit relativ kleinen Summen aus dem KPÖ-Sozialfonds geholfen werden kann. Wenn jemand 200 Euro braucht, um eine Stromabschaltung zu verhindern oder einer Kündigung wegen Mietrückstands zuvorkommen will, kann er auf die KPÖ hoffen. An die 700.000 Euro konnten bisher ausgezahlt werden. Über den kommunalen Teil des Fonds kann sie verfügen, den anderen Teil stellt Kaltenegger bei Härtefällen im Bundesland Steiermark zur Verfügung. Einmal im Jahr legt die Partei Rechenschaft über Eingänge und Zahlungen ab.
Selbst die Behörden verweisen inzwischen auf den Sozialfonds der Kommunisten. Auch Carmen Bliem hatte sich zuerst an das Sozialamt der Stadt gewandt, das sie dann an die KPÖ-Stadträtin verwies. Eigentlich stehe sie den Kommunisten ideologisch nicht nahe: "Aber wenn die mir helfen, kriegen sie meine Stimme."
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