Österreich: Abgeholt und abgeschoben
Der österreichische Menschenrechtsbeirat kritisiert in seinem jüngsten Bericht das 2006 verschärfte Ausländerrecht. Härtefälle häufen sich.
WIEN taz Islam Asuchanov aus Tschetschenien sitzt in Eisenstadt in Schubhaft. Er soll nach Russland abgeschoben werden, obwohl ihm die Ärzte Traumatisierung und Spuren physischer Folter bescheinigen. Letzte Woche verhinderte der österreichische Verfassungsgerichtshof die Abschiebung einer 80-jährigen Türkin, deren Familie in Vorarlberg lebt. Obwohl sie ein Pflegefall ist, wollten sie die Beamten in die Türkei deportieren, wo sie keine Verwandten mehr hat.
Es vergeht kein Tag, an dem nicht absurde Härtefälle bekannt werden: Ehegatten werden auseinandergerissen, integrierte Familien, die fürchten müssen, im Morgengrauen von der Fremdenpolizei abgeholt zu werden, traumatisierte Asylsuchende, die dorthin abgeschoben werden sollen, wo sie verfolgt und gefoltert wurden - Opfer des verschärften Ausländerrechts, das 2006 in Kraft trat. "Bedauerliche Einzelfälle" heißt es meist aus dem Innenministerium.
Die Häufung von Härtefällen beweist für den Menschenrechtsbeirat im Innenministerium, dass es nicht um unbeabsichtigte Kollateralschäden gehe, sondern um ein grundlegendes Problem von Gesetz und Praxis. In seinem gestern veröffentlichten Bericht gibt er klare Empfehlungen, die ausländerrechtliche Praxis sofort zu verbessern und das Gesetz zu reparieren.
Der Beirat wurde 1999 eingerichtet, nachdem der nigerianische Asylwerber Marcus Omofuma bei seiner Abschiebung erstickte. Der Mann war mit Klebeband geknebelt und am Flugzeugsitz fixiert worden. Der Beirat besteht aus Verfassungsjuristen, Rechtsanwälten, Vertretern von NGOs und Beamten des Innenministeriums. Er genießt Unabhängigkeit und Freiheit von Weisungen.
Immer wieder rechtfertigen Beamte ihre menschenrechtlich bedenklichen Entscheidungen damit, dass ihnen das Gesetz keine andere Wahl lasse. Deswegen heißt es im Bericht, "der Gesetzgeber lässt den Aufenthaltsbehörden im Inland keinen Spielraum, den Artikel 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention angemessen zu berücksichtigen". Der Artikel schützt das Privat- und Familienleben. Und, wie der Beirat dem Ministerium in Erinnerung ruft, dieses Privat- und Familienleben habe einen höheren Wert als eine Abschiebung aus öffentlichem Interesse.
Ausnahmen gelten, wenn die Maßnahme dazu diene, um Verbrechen oder grobe Störungen der öffentlichen Ordnung zu verhindern. Diese Beweisführung sei Sache der Behörde. In der Praxis wird Schubhaft pauschal und auf bloßen Verdacht verhängt. Dazu der Bericht: "Eine Anhaltung zur Sicherung von fremdenpolizeilichen Maßnahmen auf Verdacht ist nach Auffassung des Beirates vom Bundesverfassungsgesetz nicht gedeckt."
Die im Regierungsprogramm von SPÖ und ÖVP versprochene Evaluierung des Ausländerrechts erübrige sich, meint der Menschenrechtsexperte und UNO-Sonderberichterstatter für Folter, Manfred Nowak. Diese habe "durch kompetente Gremien, wie den Menschenrechtsbeirat, stattgefunden". Jetzt gelte es, die Konsequenzen zu ziehen.
Der Beirat bestätigt Kritik von Menschenrechts-NGOs, vom UNO-Flüchtlingshochkommissariat (UNHCR) und von der EU, die Österreich wegen Verletzung der entsprechenden Richtlinie vor dem EU-Gerichtshof in Luxemburg verklagen will. Die Reaktionen in Österreich waren erwartbar. Innenminister Platter ließ ausrichten, die Gesetze seien nicht menschenrechtswidrig. Die Grünen forderten ein gesetzliches Bleiberecht für Langzeitasylwerber. Das Schicksal von Menschen, die jahrelang legal im Lande leben und integriert sind, solle nicht von einem Gnadenakt abhängig sein. Die FPÖ verlangt eine Verschärfung des Gesetzes und Jörg Haiders BZÖ meint, auf den Menschenrechtsbeirat solle man verzichten.
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