Öl aus Teersand: Freier Markt für dreckiges Öl

Mit harter Lobbyarbeit hat Kanada erreicht, was es schon lange fordert: Die EU gibt Ölfirmen einen Freibrief für den Import von Teersandöl.

Was übrig bleibt: Reste eines Baums nahe dem kanadischen Fort Murray, wo das Öl ausgewaschen wird. Bild: reuters

BERLIN taz | Die Klimakiller kommen auf dem Seeweg. Seit dem 24. September ist der Supertanker „Minerva Gloria“ aus der Nähe von Montreal unterwegs nach Europa. An Bord: 500.000 Tonnen Schweröl des kanadischen Energiekonzerns „Suncor“ aus den „Teersänden“ der Provinz Alberta. Die Ladung der „Minerva Gloria“ soll am 7.Oktober auf Sardinien gelöscht werden.

Die Kanadier haben für ihren besonders klimaschädlichen Treibstoff zwei logistische Probleme überwunden: die komplizierte Anbindung an die Seehäfen der kanadischen Ostküste und den Widerstand der EU gegen das „dreckige Öl“.

Der Versuch, das Teersand-Öl aus Europa herauszuhalten, ist gescheitert. Das zeigen die 40seitigen Durchführungsbestimmungen zur „Fuel Quality Directive“ der EU, die von der EU-Kommission bislang unter Verschluss gehalten werden und am heutigen am Montag in Brüssel präsentiert werden sollen.

Die EU wollte dieses Öl für die Energiekonzerne unattraktiv machen, indem die Firmen für die schlechte Ökobilanz der Treibstoffe haften. Nach dem neuen Vorschlag jedoch müssen die Unternehmen die Herkunft ihrer Treibstoffe nicht mehr nach „feedstock“, also Rohstoff, nachweisen. Statt dessen reichen nun allgemeine Angaben über die Art des Treibstoffs und den Handelsnamen. Das heißt: Es gibt keine festen Kriterien mehr, wie der Weg zu den einzelnen Importeuren zurückverfolgt werden kann.

Teersande sorgen dafür, dass Kanada nach Saudi-Arabien inzwischen das Land mit den zweitgrößten Ölreserven der Welt ist. Anders als konventionelle Ölsorten ist der fossile Brennstoff in den Teersanden im Boden gebunden. Er muss mit großem (Energie)-Aufwand aufbereitet werden. Teils wird das zähe Bitumen unter der Erde durch das Einleiten von heißem Wasser erhitzt, um es fördern zu können.

Folge: Bei der Produktion des Teersandöls werden fast ein Viertel mehr Treibhausgase ausgestoßen als bei konventionellem Öl. Gefördert wird dieses "dreckige Öl" derzeit vor allem in der westkanadischen Provinz Alberta, mit etwa einer Million Barrel am Tag. Alle großen Ölfirmen haben dort riesige Areale abgesteckt, wo die Teersande unterirdisch oder im Tagebau gewonnen werden - auf einer Fläche, die so groß ist wie Bayern, Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen zusammen. Abgesehen von der CO2-Intensität bringt die Ölsandgewinnung große Umweltgefahren mit sich.

Giftiger Grubenschlamm wird in riesigen Becken gelagert, Wasser in großem Maßstab verbraucht, die Erdoberfläche verwüstet und Grundwasser gefährdet. Die Ureinwohner klagen gegen den Verlust ihrer Landrechte und über Gesundheitsgefahren.

Das strategische Problem der Teersande ist ihre Lage: Exportmärkte sind aus der Prärie schlecht zu erreichen. Daher ist die umstrittene "Keystone"-Pipeline in die USA sehr wichtig. Eine Ölleitung zur Westküste Kanadas wird von der Bevölkerung abgelehnt, auch wenn die Regierung sie bauen will.

Die Konzerne versuchen auch, ihr Öl per Eisenbahn an die kanadische Ostküste zu bringen. Sollte der Absatz des Öls stocken, könnte sich der rasante Ausbau der Exploration in Alberta abschwächen. Das ist ein Horrorszenario für die Ölindustrie - und eine Hoffnung für viele Umweltgruppen, die bisher darauf gesetzt hatten, dass der europäische Markt verschlossen bleibt.

EU war schon mal klüger

Das aber wäre nötig, wollte die EU, wie ursprünglich geplant, die klimaschädlichen Emissionen der Teersände den Ölkonzernen auf ihre Klimaschutzziele anrechnen. „Die optimale Option sollte die Firmen nicht verpflichten, Treibhausgaswerte für jeden spezifischen Rohstoff anzugeben“, heißt es in der neuen Verordnung, die die die taz vorab einsehen konnte. Auch die Importeure von Diesel und Benzin „sollen nicht verpflichtet werden, Informationen über die Quellen des Rohöls zu liefern.“ Alle Informationen über die Herkunft der Treibstoffe, die die Ölfirmen an die Mitgliedsländer und diese an Brüssel melden, sind „vertraulich zu behandeln.“

Nur wenige Tage nach dem offiziellen Abschluss der Verhandlungen zum europäisch-kanadischen Freihandelsabkommen CETA hat die kanadische Regierung damit erreicht, was sie seit Jahren fordert: Freien Zugang auf den europäischen Markt und keine Schutzklauseln gegen ihre Klimakiller. Während die Europäer aus Gründen des Klimaschutzes eine genaue Bewertung des „dreckigen Öls“ für nötig hielten, trommelte die kanadische Politik im Schulterschluss mit der Ölindustrie auf beiden Seiten des Atlantiks für ihr Produkt.

Die EU-Kommission hat das Thema jahrelang auf die lange Bank geschoben und nun entschieden – in den letzten Tagen von Kommissionspräsident Manuel Barroso und Klimakommissarin Connie Hedegaard im Amt.

Dabei hatte die EU noch 2011 in einem Entwurf dieser Richtlinien deutliche Worte gefunden: Eine unabhängige wissenschaftliche Studie aus den USA hatte den Teersänden bescheinigt, durch ihre extrem energieaufwendige Produktion etwa 23 Prozent mehr Treibhausgase pro Einheit zu verursachen als durchschnittliches Schweröl. Und da die EU mit ihrer Direktive von 2009 die Ölfirmen verpflichtet hatte, bei ihren Produkten bis 2020 sechs Prozent an Treibhausgasen einzusparen, war klar: Die Treibstoffe müssten in ihrer CO2-Intensität „pro Treibstoffart und pro Rohstoff“ unterschieden werden, wie es in dem Papier von 2011 heißt. Die Befürchtung der Kommission: Mehr Import von Teersandöl werde „unvermeidbar bedeuten, dass ein Teil der Gewinne bei der Effizienz von EU-Treibstoffen verloren geht“.

Die Kanadier drohten

Ohne ein „transparentes Rahmenwerk für unkonventionelle Ölquellen“ würde „die Glaubwürdigkeit des sechs-Prozent-Einsparziels und der Klimapolitik generell untergraben.“

Genau das ist jetzt passiert. Die geforderte Transparenz gibt es im aktuellen Entwurf der Kommission nicht mehr. Die Berechnungstabellen für die verschiedenen Ölsorten bleiben als Anhang in der Verordnung, aber die Unternehmen müssen nicht mehr offenlegen, woher sie ihr Öl beziehen. Wie die kanadische Regierung schon 2009 forderte: „Die Kommission sollte keine eigene Kategorie für Öl aus Teersänden einführen.“ Auf Anfrage der taz wollte die EU-Kommission nicht Stellung nehmen.

Der neue Vorschlag folgt auf eine umfangreiche Lobbykampagne der Kanadier: Minister und Abgeordnete besuchten die Brüsseler Büros, heuerten PR-Firmen an und entwarfen eine geheime Lobby-Strategie namens „Pan European Oil Sands Advocacy Plan“. Allein in den ersten zwei Jahren organisierten die Kanadier 110 Lobby-Veranstaltungen in Europa, mehr als einen pro Woche. Sie stellten mit zweifelhaften Gutachten die wissenschaftlichen Studien der EU infrage, flogen EU-Politiker zu einseitigen Informationsbesuchen nach Kanada und fanden unter konservativen Energiepolitikern und europäischen Industrievertretern willige Partner.

Der Umweltverband „Friends of the Earth Europe“ in einer Recherche über „Kanadas dreckiges Lobby-Tagebuch“: „Diese konzertierte und gut geplante Lobbykampagne zielte darauf, die europäischen Entscheider in die Irre zu führen und zu spalten, um eine Entscheidung über die Emissionswerte der Teersände zu verzögern.“ Die internen Papiere, die die Umweltschützer von der EU zitieren, belegen auch, dass die Kanadier immer wieder mit dem Abbruch der CETA-Verhandlungen drohten, sollten die Europäer bei ihrer Haltung zu den Teersänden bleiben.

In Brüssel fürchtete man auch, Kanada könne die EU vor der Welthandelsorganisation WTO verklagen. Nusa Urbancic vom Umweltverband „Transport&Environment“ und eine der Expertinnen zur „Treibstoffrichtlinie“ ist enttäuscht über die verwässerte Regelung: „Das ist eine verpasste Gelegenheit und ein riesiges Geschenk für die Ölindustrie“, sagte sie. Die Regierungen müssten die Regeln verschärfen, damit „mehr Transparenz und Verantwortlichkeit für die Ölindustrie geschaffen wird, die sich in immer dreckigeren Investitionen verrennt“.

Europa ist bislang noch kein wichtiger Markt für das kanadische Öl: 2012 machten die Einfuhren nur etwa 0,2 Prozent des EU-Ölbedarfs aus. Eine Studie des US-Umweltverbands NRDC prognostiziert aber, dass der Import des umstrittenen Brennstoffs bis 2020 auf mindestens 5 Prozent oder 700.000 Tonnen täglich ansteigen könnte. Denn auf dem wichtigsten Absatzmarkt für die Teersände, den USA, fallen durch den Fracking-Boom die Preise. Ohne einen neuen Markt müsste die Produktion gedrosselt werden.

Wenn die EU-Regel in Kraft tritt wie geplant, müssen die Ölfirmen ihren CO2-Ausstoß auf anderem Weg senken. Das werde wohl „vor allem über einen höheren Anteil an Bio-Kraftstoffen“ geschehen, meint ein Experte. Nicht gut fürs Klima: Der Sprit aus Pflanzen kann nach einer UN-Studie eine noch schlechtere Ökobilanz als konventionelles Mineralöl haben.

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