Ökonom über die Lage in Indonesien: "Für die Schule fehlt das Geld"
Indonesien meistert die Finanzkrise. Aber die Lebens- und Arbeitsbedingungen der Menschen haben sich stark verschlechtert, sagt der Ökonom David Widihandojo.
taz: Herr Widihandojo, hat sich Indonesien von der weltweiten Finanzkrise 2008 erholt?
David Widihandojo: Die gesamtwirtschaftlichen Daten sind gar nicht so schlecht. Das Bruttoinlandsprodukt liegt bei 4 Prozent Wachstum, die Börse boomt und auch der Export hat Zuwachsraten, weil China der Hauptabnehmer für Rohstoffe ist. Auf dieser Betrachtungsebene scheint es so, als ob die Krise Indonesien kaum getroffen hätte. Aber die Lebenswirklichkeit der einfachen Menschen sieht katastrophal aus.
Was heißt das?
Viele Arbeiter aus den Fabriken, die Textilien, IT oder Spielzeug produzieren, sind entlassen worden. Innerhalb von einem Jahr ist dieser Sektor um 20 Prozent geschrumpft, die Zahl der Arbeitslosen stieg von 12 Millionen auf 41 Millionen. Oft sind auch Leute entlassen und zu viel schlechteren Bedingungen wieder eingestellt worden.
Was bedeutet das für ihre Lebensbedingungen?
In Indonesien braucht eine Familie rund 125 Euro pro Monat für Nahrung, Grundbedürfnisse und damit sie die Kinder zur Schule schicken kann. Aber der Durchschnittslohn liegt zurzeit bei nur 65 Euro. Viele Leute schlagen sich irgendwie im informellen Sektor durch. Die Zahl der Menschen, die mit weniger als 2 Dollar am Tag auskommen müssen, ist extrem angewachsen: 2007 betraf das 64 Millionen Indonesier, zwei Jahre später waren es 96 Millionen. Der informelle Sektor ist mit etwa 70 Prozent sehr groß in Indonesien; viele Entlassene versuchen dort irgendwie Geld zu verdienen.
Was kann man für 2 Dollar in Indonesien kaufen?
Eine einfache Reismahlzeit mit ein bisschen Gemüse für eine vier- bis sechsköpfige Familie kostet etwa so viel.
David Widihandojo ist Ökonom von der Yasa Luhur Foundation in Indonesien. Die Organisation kümmert sich um marginalisierte Gruppen im Land.
Woran sparen die Leute?
Eine dramatische Folge der Krise ist der Rückgang des Schulbesuchs. Die ersten neun Schuljahre sind zwar kostenlos, aber die Eltern müssen die Uniform, den Transport und das Essen bezahlen, das sind vielleicht 20 Euro im Monat. Das können sich viele Leute heute nicht mehr leisten. Über 8 Millionen Kinder mussten die Schule abbrechen. Viele junge Mädchen versuchen billigste Hilfsjobs in den Fabriken zu bekommen.
Was würde die Lage verbessern?
Auslandsinvestitionen könnten dazu führen, dass es wieder mehr Jobs gibt - und das wäre einerseits dringend notwendig, weil oft ganze Familien von einem einzigen Einkommen abhängen. Aber natürlich sind die Arbeitsbedingungen in diesen Fabriken unmenschlich. Insofern ist das alles andere als ideal.
Wie sieht es in den Fabriken aus?
Die Standardarbeitszeit sind zehn Stunden am Tag, aber Überstunden sind an der Tagesordnung. Außerdem ist die Siebentagewoche üblich. Das ist zwar illegal - aber es gibt keine staatliche Stelle, die die Fabrikbesitzer disziplinieren könnte. Außerdem ist es seit einigen Jahren üblich, dass die Arbeiterinnen die ganze Zeit an erhöhten Tischen stehen müssen und keine Sitzgelegenheiten haben, weil das als effizienter gilt. Aufgrund der Armut wehren sich die Leute nicht. Streiks gab es lediglich, wenn Fabriken geschlossen werden sollten. Die Arbeiter forderten Abfindungen, hatten aber keinen Erfolg.
Warum versucht Indonesien nicht, eine regionaler orientierte Wirtschaft aufzubauen?
Das Problem ist, dass wir im Moment nicht die Kapazitäten dafür haben. Aktuell brauchen wir Jobs, damit die Leute sich ernähren und die Kinder zur Schule schicken zu können. Und wir versuchen die Arbeiter zu stärken, damit sie für bessere Arbeitsbedingungen kämpfen. Die Suharto-Diktatur liegt erst wenige Jahre zurück, die Menschen müssen erst lernen, sich für ihre Rechte einzusetzen.
Was könnte Deutschland tun?
Indonesien wird interessanter für deutsche Investoren, manche, die sich bisher nach China orientiert haben, investieren jetzt bei uns. Deutschland könnte diese Firmen disziplinieren und auf eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen drängen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Interner Zwist bei Springer
Musk spaltet die „Welt“
Nach dem Anschlag von Magdeburg
Wenn Warnungen verhallen
Deutsche Konjunkturflaute
Schwarze Nullkommanull
Schäden durch Böller
Versicherer rechnen mit 1.000 Pkw-Bränden zum Jahreswechsel
Aufregung um Star des FC Liverpool
Ene, mene, Ökumene