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Ökonom über Meldeportal„Steuerhinterziehung ist Breitensport“

Ökonom Stefan Bach fordert mehr Kontrollen durch die Finanzämter. Das neue Portal könne der Rechtsstaatlichkeit dienen.

Steuerhinterziehung? Alarma! Illustration: Eléonore Roedel
Hannes Koch
Interview von Hannes Koch

taz: Herr Bach, auf 50 Milliarden Euro jährlich beziffert der baden-württembergische Finanzminister Danyal Bayaz die Steuerhinterziehung in Deutschland. Das entspricht etwa sieben Prozent aller Steuereinnahmen. Kommt diese Summe zustande, weil Millionen Privathaushalte das Finanzamt ein bisschen belügen – oder geht es um eine kleine Zahl dicker Fälle?

Stefan Bach: Wir haben es hier mit einem breiten Spektrum illegaler Steuergestaltung zu tun. Viele Un­ter­neh­me­r:in­nen oder vermögende Privatleute haben Schwarzgeld und wirtschaften am Finanzamt vorbei. Aber auch Umsatzsteuerbetrug durch Firmen spielt eine große Rolle – da ist teilweise auch das organisierte Verbrechen aktiv. Und die Steueroase des kleinen Mannes und der kleinen Frau ist die Schwarzarbeit.

Detlef Guethenke/DIW
Im Interview: Stefan Bach

ist Ökonom und Steuer­experte des Deutschen Instituts für Wirtschafts­forschung (DIW) in Berlin.

Für das neue Steuermeldeportal wird Bayaz heftig kritisiert. Ist es ein gutes Werkzeug, um großen Steuerhinterziehern auf die Spur zu kommen?

Die Möglichkeit anonymer Anzeigen per Telefon, Brief oder auch per E-Mail gibt es schon lange. Über das neue Portal kann die Steuerfahndung zusätzlich Kontakt zu den anonymen Tipp­ge­be­r:in­nen aufnehmen. Dadurch lassen sich Fälle rachsüchtiger Denunziation sogar besser aufdecken, wodurch das Portal durchaus der Rechtsstaatlichkeit dienen könnte. Insgesamt mutet der Shitstrom gegen Bayaz schon etwas heuchlerisch an. Traditionell ist Steuerhinterziehung in Deutschland ein Breitensport, nicht nur der besseren Stände.

Können Sie Beispiele nennen, wie typische Konstellationen teurer Steuerkriminalität aussehen?

Ein beliebtes Modell ist der Umsatzsteuerbetrug. Dabei lassen sich Firmen beispielsweise vom deutschen Finanzamt die Vorsteuer erstatten, handeln die Produkte mehrfach über die innereuropäischen Grenzen, um die Transaktionen zu verschleiern, und verkaufen sie letztlich, ohne die Umsatzsteuer zu entrichten. Wie wir beim Cum-Ex-Skandal gelernt haben, wurden auch an sich notwendige Erstattungsregeln bei Kapitalertragsteuern missbraucht von an sich seriösen Finanzdienstleistern. Und Schwarzarbeit ist bei uns weit verbreitet, etwa in der Gastronomie, im Handwerk oder in Privathaushalten.

Was müssten die Parlamente und Regierungen tun, um solche Steuerhinterziehung wirksam einzudämmen?

Vor allem müssten die ­Finanzämter die Kontrollintensität erhöhen. Dafür wäre mehr Personal nötig. Auch die Daten­verarbeitung ist oft schlecht aufgestellt. Und die Arbeitsabläufe müssen effizienter werden, etwa durch systematisches Risikomanagement. Die skandinavischen Staaten sind da deutlich weiter. Hierzulande hat man eher den Eindruck, dass die Finanzbehörden der Bundesländer gerne auch ihre einheimische ­Klientel schützen, damit „das Geld im Lande bleibt“ und nicht über den Finanzausgleich abfließt.

Kri­ti­ke­r:in­nen behaupten, eigentlich sei Deutschland auch eine Steueroase.

Tatsächlich haben wir teilweise ein Problem mit Schwarzgeld. Die relativ laxen Regeln bei Bargeld und Vermögensregistern führen dazu, dass unversteuertes oder sonst kriminell erworbenes Kapital oft in Immobilien fließt und die Preise hochtreibt. Helfen könnte ein neues Register für alle Immobilien, in dem die tatsächlichen Be­sit­ze­r:in­nen verzeichnet sind, die sich hinter undurchsichtigen Firmenkonstrukten verbergen.

Werden große Steuerhinterzieher in Deutschland verständnisvoll behandelt, weil die Unionsparteien und die FDP ihrer vermögenden Klientel nicht zu sehr schaden wollen?

In den vergangen Jahrzehnten wurden hohe Einkommen und Vermögen steuerlich entlastet. Die Gesamtausgaben und -einnahmen des Staates sind aber gleich geblieben. Dadurch ist die relative Steuer- und Abgabenlast der Mittelschichten und Besserverdienenden gestiegen. Dies hat eine gewisse staatsskeptische Mentalität verstärkt, die bürgerliche Kreise traditionell pflegen. Der Staat wird als zu fett und zu übergriffig wahrgenommen, das Bewusstsein für einen solidarischen Ausgleich in der Gesellschaft leidet. Dann gilt Steuerbetrug als letztes Mittel und moralisch nicht so verwerflich wie normaler Betrug.

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2 Kommentare

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  • Übrigens wäre es auch mal eine interessante Frage, wie viele Steuerbescheide (und deen Höhe), die ja amtlich von den Finanzbehörden festgestellt werden, niedergeschlagen werden, weil Firmen mit dem Verlust von Arbeitsplätzen oder Verlagerungen etc. drohen. Hier findet eine Abwägung hinter den Kulissen der Finanzveraltungen statt, ohne dass die Parlamente da mit einbezogen sind. Oder hat schon jemand ne Parlamentsanfrage zu diesem Thema gefunden?

  • Mehr Kontrolle durch die Finanzämter ist fast schon lustig. Schauen wir uns die organisierte Kriminalität in Hamburg im Cum-Ex Komplex an. Dort kann die Spitze der Finanzverwaltung bis heute nicht darlegen, ob sie Teil der Lösung oder Teil des Problems ist.