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Ökonom über Lage in Griechenland„Die EU lässt Klientelpolitik zu“

Mitten in der Eurokrise steht Griechenland vor den Wahlen. Es wäre besser gewesen, auf den Schuldenschnitt zu verzichten, sagt der Ökonom Yannis Stournaras.

Am 1. Mai gab es auch in Griechenland Proteste. Die Lage sei katastophal. Dennoch wollen 20 Prozent der Wähler im Euro bleiben. Bild: dapd
Ulrike Herrmann
Ines Pohl
Interview von Ulrike Herrmann und Ines Pohl

taz: Herr Stournaras, am 6. Mai wird in Griechenland gewählt. Was erwarten Sie?

Yannis Stournaras: Es könnte sein, dass keine Regierung zustande kommt. Die Splitterparteien legen zu, während die großen Volksparteien verlieren. Das schlimmste denkbare Szenario wäre, dass wir immer wieder neue Wahlen abhalten müssen.

Wird Griechenland unregierbar?

Bild: Reuters
Im Interview: YANNIS STOURNARAS

ist promovierter Volkswirt. Für Griechenland hat er die Kapitalvorschriften Basel II für Banken und den Euro-Beitritt verhandelt. Er ist Professor in Athen.

Das ist nicht auszuschließen. Gleichzeitig wollen aber 80 Prozent der Wähler im Euro bleiben.

Trotz der Eurokrise?

Die Lage in Griechenland ist katastrophal, bis Ende 2012 wird unsere Wirtschaft um 18 Prozent geschrumpft sein. Damit ist die Rezession viel schwerer ausgefallen, als es EU, EZB und Internationaler Währungsfonds prognostiziert haben.

Was hat die „Troika“ falsch gemacht?

Es wurden vor allem die Löhne gekürzt und die Steuern erhöht. Stattdessen hätte man viel mehr darauf bestehen müssen, dass der griechische Staat sein Vermögen privatisiert und die Märkte geöffnet werden.

Was hätte das gebracht?

Sie müssen Griechenland nur mit Irland vergleichen. In Irland ist die Wirtschaft inzwischen um 6 Prozent geschrumpft, und die Preise sind um 4 Prozent gefallen. Damit hat die internationale Wettbewerbsfähigkeit von Irland zugenommen. In Griechenland hingegen ist die Wirtschaft sogar um 18 Prozent eingebrochen – und trotzdem steigen die Preise noch. Hier gibt es überhaupt keinen Markt und keinen Wettbewerb. Überall regieren die Kartelle. Also ist es auch gar kein Wunder, dass wir international nicht konkurrenzfähig sind.

Ist es nicht unfair, diesen mangelnden Wettbewerb der Troika anzulasten? Sie bemüht sich seit zwei Jahren, das Kartell der Lastwagenfahrer aufzubrechen, die für jeden Transport exorbitante Preise berechnen.

Aber bei den Kartellen legt die Troika nicht den gleichen Eifer an den Tag, den sie bei den Lohnkürzungen zeigt. Die EU lässt es zu, dass die griechischen Politiker Klientelpolitik betreiben.

Immerhin gab es einen Schuldenschnitt, bei dem Griechenland 100 Milliarden Euro erlassen wurden. Hat das geholfen?

Es wäre sehr viel besser gewesen, auf den Schuldenschnitt zu verzichten. Denn wie der Name „Kredit“ schon sagt – es geht um Vertrauen. Wenn Kreditgeber nicht mehr darauf vertrauen können, dass sie ihr Geld wiedersehen, dann werden sie das Land meiden. Durch den Schuldenschnitt ist Griechenland von den Kapitalmärkten abgeschnitten. Aber die deutsche Regierung wollte ihn unbedingt. Damit müssen wir nun leben.

Was wäre denn die Alternative zu einem Schuldenschnitt gewesen? Griechenland stand kurz vor der Pleite.

Man hätte den Vorschlag von Roland Berger aufgreifen sollen, dass der griechische Staat sein Vermögen an die Troika verkauft – und im Gegenzug Kredite erhält. Denn unser Staat ist sehr reich, was historische Gründe hat. Nach dem Abzug der Türken wurden die Besitztümer der Ottomanen nicht privatisiert, sondern auf den griechischen Staat und die Kirche übertragen.

Aber dieser Reichtum ist doch rein fiktiv. Kein Investor ist an griechischem Land interessiert, solange die Wirtschaft in der Depression verharrt.

Griechenland hat enormes Potenzial. Nur ein Beispiel: Man könnte den Medizintourismus ausbauen. Die Weltgesundheitsorganisation stuft das griechische Gesundheitssystem auf Platz 14 ein, während Deutschland nur Platz 25 erreicht. Wir haben sehr gute Ärzte – aber viel zu viele. Die Hälfte aller staatlichen Krankenhäuser steht leer.

Wie kam es dazu?

Jeder griechische Minister wollte ein Krankenhaus oder eine Universität in seiner Heimatstadt errichten. Es war eine Form der Korruption.

Aber Griechenland kann doch nicht nur vom Medizintourismus leben, zumal andere Länder wie Tschechien auch schon auf diese Idee verfallen sind.

Griechenland hat viele weitere Möglichkeiten: Man könnte hier zum Beispiel Medizinpflanzen anbauen, biologische Landwirtschaft betreiben, Solar- und Windenergie exportieren – und natürlich den Tourismus weiter ausbauen.

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3 Kommentare

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  • IA
    Internist aus NRW in GR

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    Was Stournaras mit dem 14.bzw. dem 25.Platz der Gesundheitssysteme sagt,sollte man cum grano salis verstehen.Ich habe im deutschen System 15 Jahre gearbeitet und arbeite im hiesigen seit Anfang der 90er Jahre.,jetzt in einem Gesundheitszentrum,einem Ambulatorium innerhalb des ESY,des staatlichen Gesundheitssystems.Wenn ich bei der Visite im dazugehoerigen Krankenhaus ueber einen Dekubitus etwas sagen wollte,waren die Schwestern schon im naechsten Zimmer,denn dieser war nicht ihre Sache,sondern die der Familie.Waere es in Berlin denkbar,dass der Oberarzt Hintergrunddienst in Frankfurt/Oder macht?Solches lief jahrelang im benachbarte4n Gesundheitszentrum,der verantwortliche Facharzt machte ab 14 oder 15 Uhr Dienst aus der Bezirkshauptstadt in einer Entfernung von 70 km auf einer aeusserst kurvenreichen und bergigen Strasse.Das Zentrum und die dazugehoerigen Einwohner,etwa 8-10.000,im Sommer wesentlich mehr,wurden von Aerzten mit nur kurzer klinischer Erfahrung behandelt,der Oberarzt stand nur telefonisch zur Verfuegung.Ausserdem ist diese Bude vernachlaessigt und schmutzig.Die benachbarte,sehr touristische Insel gibt jaehrlich eine Menge Geld fuer ein Feuerwerk anlaesslich eines historischen Datums aus,einen heilen Sessel haben sie in ihrem Ambulatorium kaum,vom chirurgischen Instrumentarium schweigen wir lieber.Im Gesundheitssystem wie im ganzen oeff.Dienst sind die Probleme: Louffa{Nichtstun) und Kopana (Abhauen,Fehlen).Ausserdem war die Atmosphaere in deutschen Krankenhaeusern,die ich kennengelernt habe,meistens sehr viel angenehmer und entspannter,als ich sie hier jemals erlebt habe.Besonders die aelteren Aerzte koennen schon sehr anmassend werden.Die Verwalter sind haeufig sachfremd und werden mit jeder Regierung neu eingestellt bzw.entlassen,falls sie zur anderen Partei gehoeren.Ich erzaehlte davon so ein bisschen einem iranischen Kollegen in Frankfurt,er sagte:Hoer auf,kenne ich alles.Ich bleibe hier wegen fam.Bindung und weil die Leute mir sagen,ich solle nach der Rente noch bleiben.

    Das zwangsweise Totsparen fuehrte bei uns bereits zu folgenden Engpaessen:sterile Handschuhe in passenden Groessen,Verbandsmaterial,Spritzen sollen bald knapp werden.Das Landvolk traegt es notgedrungen,die Alten haben fast das ganze Leben im Mangel verbracht.Allerdings ist hier {peloponnes),besonders bei den Jungen,die Ueberernaehrung das Hauptproblem,und nicht der Mangel.Dass uebrigens der Apotheker,der sich auf dem Syntagma erschoss,jemals in Muelleimern haette suchen muessen,ist voellig unwahrscheinlich.Als ein Linker hing er wohl der grossen Zeit der Griechen und besonders der Linken nach,naemlich der Zeit der Antistassis gegen die Deutschen,sein Traum war die Volkserhebung mit der Waffe,wie es auch uebrigens Manolis Glezos geaeussert hat und wohl auch Theodorakis vielleicht ertraeumt.Sie sprechen immer von dem "Volk".Das Volk ist heute zerrissen in Gewinner und Verlierer,und nicht erst die letzten Jahre.Ich nehme an,dass er an der Irrealitaet seiner Vorstellungen zerbrochen ist.Die Jugend ist nicht apathisch,wie er beklagte,sie handelt anders,und das wird den Wandel bringen.

    Noch etwas:vor einer Woche veroeffentlichte die Kathimerini einen Artikel ueber die Situation aufdem Arbeitsmarkt.Die Bezirksverwaltung des Bezirkes Imathia hatte im ganzen Land eine Anzeige veroeffentlicht,durch die dort sofort Saisonkraefte fuer 3-4 Monate gesucht wurden.Die Arbeit waere das Vereinzeln der Pfirsiche am Baum zwecks Steigerung des Ertrages gewesen,23 Euro tgl, plus Unterkunft,Verpflegung,Kranken-und Sozialversicherun,6 Tage die Woche,Endertrag 3-4.000 Euro.Es meldeten sich ca.4.600 oder 4.800 Auslaender und ... 8 Griechen,aus dem Bezirk selbst nicht einer.Es sit bemerkenswert,wie erfolgreich die meisten Albaner sind,die seit 1990 hier leben,wirtschaftlich wie in der Schule.Die Bauern hier sagen,dass ihre Kinder haeufig gar nicht wissen,wo die Familie ihre Felder hat.

    Nebenbei:schon bei beginnender Krise,die mir auch ein deutscher Mathematiker bereits 1993 voraussagte,erhielt unser Kentro Ygeias noch zwei grosse Plasmabildschirme,die jetzt von der Decke der Warteflure die Szene beleuchten.Einer linken Regierung,falls es sie geben sollte,viel Erfolg,es kann nur besser werden.

    Zwecks Verifikation wende man sich an juested@yahoo.gr.

  • GK
    Gerd Keil

    Der Schuldenschnitt hat tatsächlich die Kreditwürdigkeit Griechenlands zerstört mit unabsehbaren Folgen für die Entwicklungen an den Finanzmärkten. Aktien- und Anleihesparer dürfte das weit mehr als 100 Milliarden € gekostet haben. Aber die deutsche Regierung brauchte diesen Schnitt, um ihr Sparprogramm für die EU-Mitglieder rechtfertigen zu können. Wie man bereits jetzt sieht, hat Sarkozy auf das falsche Pferd gesetzt, während die Regierung Merkel mit dem Rücken zur Wand steht. Völlig unverständlich die Reaktionen der Finanzmärkte: Sie bevorzugen eher eine ruinöse Sparpolitik als etwa Steuererhöhungen zur Verbesserung der Staatseinnahmen, da hilft auch Schäubles Kehrtwendung zu den anstehenden Lohnerhöhungen nicht mehr.

  • KS
    Karl Sonnenschein

    Solche Leute verhandlen also "Kapitalvorschriften Basel II" und den "Euro Beitritt", da darf einem nichts mehr wundern.

     

    Wenn dieser Mann nun von mehr Wettbewerb und den totalen Ausverkauf Griechenlands fantasiert wuerde es mich doch sehr genau interessieren wem er seinen Job verdankt.

     

    Das 80% der Griechen noch immer den Euro wollen kann ich mir nur damit erklaeren das sie von den Medien sehr einseitig indoktriniert werden.

     

     

    Griechen, schaut bitte nach Island!