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Ökofrage vs. soziale Frage Ökologischer Kapitalismus hilft

Schafft demokratische Politik die Bewahrung der Lebensgrundlagen und den sozialen Ausgleich zugleich? Zumindest nicht in einem isolierten Nebeneinander grüner Wirtschafts- und sozialdemokratischer Umverteilungspolitik.

Für die Zukunft besser gemeinsam statt jeder für sich: Grüner Habeck und Sozi Scholz. picture alliance/dpa | Michael Kappeler

Von UDO KNAPP

taz FUTURZWEI, 18.07.2023 | Die ökologische und die soziale Frage gehören zusammen. Auch im ökologischen Kapitalismus wird die Frage beantwortet werden, wie der von allen erarbeitete Reichtum so verteilt wird, dass Weiterentwicklung und soziale Sicherheit in einer stabilen, demokratischen Gesellschaft möglich bleiben. Wie sein fossiler Vorgänger wird der ökologische Kapitalismus zivilisiert werden, damit die Menschenwelt sich nicht in einem dystopischen Chaos auflöst.

Die Transformationsprozesse der Moderne waren besessen vom Machbarkeitswahn der jeweils Innovativen, der Reichen und der Mächtigen. Die haben – angefixt von immer neuen naturwissenschaftlichen Erkenntnissen – alle greifbaren Ressourcen der Erde im Feuer der fossilen Brennstoffe in die Produkte unserer modernen Konsumkultur verwandelt. Sie haben auf diesem Weg die materiellen Voraussetzungen dafür geschaffen, dass das alltägliche Leben für immer mehr Menschen grundsätzlich verbessert werden konnte.

Neue Horizonte der kapitalistischen Produktion

Soziale Gerechtigkeit, die Ideen von Freiheit, Gleichheit und die Menschenrechte, die erst mit der amerikanischen Revolution 1776 ihren Weg nach Europa gefunden haben, waren allerdings den Machern des fossilen Kapitalismus dabei eher im Weg. Die Zivilisierung der westlichen Gesellschaften bis hin zu ihrer heutigen Gestalt – den repräsentativen, demokratischen Verfassungsstaaten mit den zu ihnen gehörenden Sozialsystemen – mussten in den Klassenkämpfen der letzten zwei Jahrhunderte erzwungen und mühsam immer weiter befestigt werden. Dieser sozialdemokratisch zurecht gestutzte Kapitalismus in seiner demokratisch eingehegten Form hat sich gegen alle Versuche, die Menschenwelt mit Gewalt und in autoritären Strukturen zu ihrem totalen Glück zu zwingen, als das historisch überlegene, scheinbar einzig zukunftsfähige Gesellschaftsmodell erwiesen. Bisher.

»„Ökologische und soziale Fragen lassen sich nicht trennen“ (aus einem Grundsatzpapier der Diakonie) – Das ist selbstverständlich eine Lüge. Ökologische und soziale Fragen lassen sich trennen: Eine sehr gerechte Gesellschaft kann ziemlich viel Co2 in die Luft pusten. Und eine klimaneutrale Gesellschaft kann total neoliberal sein. Neoliberalismus führt nicht per se in den Untergang und Sozialpolitik nicht per se zu sauberer Luft.«

– Anna Mayr in Die Zeit.

Heute wird aber diesem westlichen Erfolgsmodell mit dem Wirksamwerden seiner ökologischen Kosten die materielle Basis entzogen. Das Aufbrauchen aller Ressourcen, ihr Verramschen im Massenkonsum, hat keine Zukunft mehr. Dazu kommen Digitalisierung und Künstliche Intelligenz, die neue Horizonte der kapitalistischen Produktion und Kapitalakkumulation aufreißen.

Die Macher des ökologischen Kapitalismus von Morgen haben längst begriffen, dass ein Fortschreiben ihrer Erfolge nur mit dem Einpreisen der ökologischen Grenzen des Ressourcenverbrauches möglich sein wird. Sie arbeiten daran, sich von ihrer fossilen Vergangenheit abzukoppeln. Kreislaufwirtschaft, regenerative Energien, Digitalisierung und KI bilden den neuen Handlungsrahmen, in dem sie agieren. Allerdings, und das ist das Problem, politisch und sozial vollkommen unreguliert. Die sozialen und gesellschaftlichen Kosten für die ökologische Modernisierung des Kapitalismus soll die Gesellschaft gefälligst alleine tragen.

Mehr Verantwortung für die demokratischen Parteien

Anders als in der Vergangenheit stehen den wirtschaftlich Mächtigen, die nun auf Ökologie, Digitales und KI setzen, keine um soziale Teilhabe kämpfenden Arbeiter mehr gegenüber. Ihre Rolle, ihren historischen Auftrag, können heute allein die demokratisch gefassten Staaten mit ihren verrechtlichten sozialen Sicherungssystemen und den Parteien erfüllen, die in prozessabhängigen Konsensmühlen um die Macht ringen. Das historische Subjekt der Zivilisierung des Kapitals im aktuellen Menschheitsmodernisierungsschub sind im Verfassungsstaat westlichen Zuschnitts die demokratischen Parteien.

Ein erfolgreicher Klimakleber-Zukunftskampf oder ein Ökoklassenkampf, der die Staaten des industriellen Westens zu einer Regulierung des Ressourcenverbrauches, des Digitalen und der KI zwingen könnte, sind nostalgische antikapitalistische Träumereien. Die Verantwortung für die rechtliche Einhegung einer resilienten, ökologischen Kreislaufwirtschaft, das Regulieren der Verteilung noch nutzbarer Ressourcen aus der Erde, der Luft und dem Wasser, sowie die Anpassung der sozialen Sicherungssysteme an die neuen Ökoproduktions- und Lebensbedingungen, tragen allein die demokratischen Parteien.

Die große Frage, die in den kommenden Monaten diskutiert werden wird: Können die ökologische Erneuerung des Wirtschaftens und die diesem Wandel angepassten sozialen Strukturen für ein halbwegs gerechtes Leben in der Gesellschaft von Morgen ein sozialökologisches Traumpaar werden – oder geht nur eins von beiden?

Milliardengewinne der neuen Industrien sozialisieren

Die Antwort ist: Beides kann parallel, wenn auch nicht im Gleichschritt bewältigt werden. Der demokratische Staat verfügt über alle Instrumente, um die neuen Öko-, Digi- und KI-Mächtigen in die Verantwortung für die Gesamtgesellschaft zu nehmen und zugleich die sozialen Systeme umfassend zu modernisieren. Die Milliardengewinne der neuen Industrien gehören in Teilen sozialisiert, damit sie die Öko-, Digi- und KI-Modernisierung der ganzen Gesellschaft mitfinanzieren. Aber auch alle Bürger, ganz gleich, wie viel sie verdienen, müssen über höhere Abgaben und Steuern den Hauptteil der Umbau-Kosten selbst finanzieren. Auch diese Tatsache gehört zur Logik des Kapitalismus.

Die Versuchung für einige ist groß, in den nicht zu vermeidenden Machtkämpfen mit den neuen, mächtigen Öko-Industriellen und wegen des Fehlens eines auf den Barrikaden kämpfenden Subjektes, für eine „gerechte“ Bewältigung der Modernisierungskrise auf einen Kader-gestützten „Kriegskommunismus“ zu setzen. „Ein starker Staat, auf starker nationaler Verteidigungslogik fußend, übt moderate Kontrolle über die Wirtschaft aus“, so skizziert das Slavoj Zizek in einem taz-Interview. Eine solche „moderat faschistische Diktatur“– wie heute in China an der Macht – versuche, von oben herab den Übergang in einen ökologischen Kapitalismus herbei zu zwingen. Diese Form der selbstermächtigten Zukunftsbeglückung ist schon im letzten Jahrhundert mit Millionen von Toten gescheitert. Sie hat auch in China keine Zukunft.

Ökologischer Kapitalismus wird kommen. Eine demokratische Politik ist machbar, die ihn rechtsförmig und zugleich sozial eingrenzt. Bleibt aber das heute unverbundene Nebeneinander von grüner Transformationspolitik der Wirtschaft und einer phantasielosen, nur auf den finanziellen Ausgleich sozialer Ungleichheit zielenden sozialdemokratischen Umverteilungspolitik bestehen, dann ist nicht auszuschließen, dass das Projekt der Bewahrung unserer Lebensgrundlagen, wie Anna Mayr in der Zeit befürchtet, „schiefgeht.“

UDO KNAPP ist Politologe und kommentiert an dieser Stelle regelmäßig das politische Geschehen für taz FUTURZWEI.