Öffnung vor serbischen Wahlen: Fragwürdiges Signal an Serbien
Die EU-Außenminister verabschieden ein Abkommen, das Serbien den Weg in die EU ebnen soll. Die Hoffnung, damit den Ausgang der Wahl zu beeinflussen, könnte trügen.
BRÜSSEL taz Der Überraschungsgast reiste aus Belgrad an. Serbiens Staatspräsident Boris Tadic machte sich gestern Nachmittag auf den Weg nach Luxemburg, nachdem die EU-Außenminister grünes Licht für ein Stabilitäts- und Assoziierungsabkommen mit dem Balkanstaat gegeben hatten. Diese Wende kam auch für manche EU-Mitglieder überraschend. Noch am Montag hatten deutsche Diplomaten ein Assoziierungsabkommen der EU mit Serbien frühestens im Juni für möglich gehalten. Denn Belgien und die Niederlande blockierten zunächst den Beschluss, der einstimmig gefasst werden muss. Die beiden Länder fordern, dass Serbien enger mit dem Kriegsverbrechertribunal in Den Haag zusammenarbeitet und vier weiterhin flüchtige Verdächtige ausliefert, darunter General Ratko Mladic und Ex-Serbenführer Radovan Karadzic.
Auf sanften Druck der slowenischen Ratspräsidentschaft schwächten die Außenminister der Niederlande und Belgiens ihren harten Standpunkt schließlich ab. Sie wollten einem "Signal an die serbische Bevölkerung", wie es Sloweniens Außenminister Rupel senden will, nicht länger im Weg stehen. "Die ganze Prozedur wird noch kompliziert, aber die Menschen in Serbien sollen wissen, dass die EU für sie offensteht - für sie und für andere Länder auf dem Balkan." Um Holland und Belgien ins Boot zu holen, griff Rupel tief in den diplomatischen Werkzeugkasten. Das Abkommen soll nicht - wie sonst üblich - in weiten Teilen sofort in Kraft treten, sondern erst, wenn alle nationalen Parlamente zugestimmt haben. Davor müssen die EU-Regierungen "einstimmig feststellen, dass die Republik Serbien vollständig mit dem Internationalen Kriegsverbrechertribunal kooperiert".
Am 11. Mai finden in Serbien vorgezogene Neuwahlen statt. Ministerpräsident Vojislav Kostunica warf im März das Handtuch, weil die Koalition aus seiner Demokratischen Partei Serbiens (DSS) und Tadic proeuropäischer Demokratischer Partei (DS) an der Kosovo-Frage zerbrochen war. Serbiens Außenminister Vuk Jeremiac von der DS machte gestern in Luxemburg klar, dass die Wahl einem Referendum über den EU-Beitritt seines Landes gleichkomme. "Die EU hat deutlich gemacht, dass die Tür für Serbien offensteht. Nun können die Menschen in Serbien entscheiden, ob sie durch diese Tür gehen wollen", sagte er.
Die Reaktion der antieuropäischen DSS erfolgte prompt. Eine neue Regierung werde nach den Wahlen die serbische Unterschrift für nichtig erklären, sagte der stellvertretende DSS-Vorsitzende Aleksandar Popovic am Dienstag in Belgrad. Bildungsminister Zoran Loncar, ebenfalls DSS, beschuldigte Präsident Tadic, das serbische Volk belogen und "im Nato-Auftrag" die Unabhängigkeit des Kosovo akzeptiert zu haben. Wegen seiner "verfassungswidrigen Unterschrift" unter das Assoziierungsabkommen könne er strafrechtlich verfolgt werden.
Ob der Theatercoup von Luxemburg den proeuropäischen Kräften in Serbien Auftrieb geben wird, halten Experten für äußerst fraglich. Eine Gruppe des Ministerrats warnte kürzlich, die enge Zusammenarbeit mit Brüssel könne Tadic DS bei den Wählern diskreditieren. In Umfragen liegen die Ultranationalisten und die Sozialisten vorn. Sie könnten mit der DSS eine Koalition bilden und Kostunica erneut zum Ministerpräsidenten küren.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Bis 1,30 Euro pro Kilowattstunde
Dunkelflaute lässt Strompreis explodieren
Preiserhöhung bei der Deutschen Bahn
Kein Sparpreis, dafür schlechter Service
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Krise bei Volkswagen
1.000 Befristete müssen gehen
Housing First-Bilanz in Bremen
Auch wer spuckt, darf wohnen
Armut in Deutschland
Wohnen wird zum Luxus