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Öffentlicher RaumMit dem Müll ist’s wie mit der Liebe

Sie kommen, um über Abfall zu reden: unterwegs mit zwei „Waste Watchern“, die die Hamburger Straßen sauberer machen sollen.

"Wenn sich keiner an die Regeln hält, ist Anarchie": Waste Watcher bei der Arbeit Bild: dpa

HAMBURG taz | Der Mann hat einen schwarzen Pulli an und eine Fahne um 11 Uhr vormittags. Vor ihm steht Patrick. Lächelt wie ein besonders charismatischer Säbelzahntiger. Und fragt: „Warum haben Sie die Zigarette da auf den Boden geworfen?“ Im Gesicht des Mannes flackert es, die Panik von einem, der in die Ecke gedrängt wird. Und der sich jetzt zwischen Angriff und Verteidigung entscheiden muss.

Patrick hat seine Arme ineinander verschränkt, so sehen seine Schultern noch etwas breiter aus. Der Mann im schwarzen Pulli entscheidet sich für Verteidigung: „Ich kehre da sowieso selbst.“ Ein paar Meter weiter lehnt tatsächlich ein Straßenbesen an einer Hauswand. Noch ein Versuch: „Ich kehre da ja sowieso selbst.“ Patrick wiegt den Kopf. „Ist ja alles gut“, sagt er. „Aber nächstes Mal, ne? Dran denken … ist ja verboten.“ Er klapst dem Mann auf den Rücken, ohne ihm zu nahe zu kommen. Der Mann sieht auf Patricks Hand. Nickt dann. Alles klar, Chef.

Patrick Wischhöfer, 34, gegeltes Haar, Silberohrring, eine Stimme wie ein Radiomoderator, war vier Jahre lang Melder bei der Bundeswehr, fuhr LKW. Dann sei er durch die Gesellschaft geweht, sagt er, wie ein Blatt. Und landete bei der Hamburger Stadtreinigung: erst Straßenfeger, dann Teamleiter mit zwei Kehrmaschinen, der Chef fand, dass er mehr konnte.

Heute ist Patrick „Waste Watcher“. Läuft durch Hamburgs Straßen und spricht Leute an, die sich falsch verhalten, was Müll angeht. Kundenkontakt mit Rückenklaps, Reden über richtig und falsch. Zuckerbrot. Die Peitsche kommt von anderen: Schwere Verstöße kann Patrick bei den Bezirksämtern melden. Die verhängen Bußgelder.

Morgens um sechs fegen die regulären Reinigungsmaschinen durch die Innenstadt, da sind die Straßen leer, das ist gut zum Saubermachen. Aber keiner guckt zu. Die Hamburger CDU hat den SPD-Senat scharf kritisiert, weil der die Ordnungsdienste in den Bezirken eingespart hatte. Jetzt rückt die Bürgerschaftswahl näher. Und die Waste Watcher beginnen ihre Schicht morgens um halb neun. Wenn viele zugucken.

Heute regnet es und Patrick soll in der Schanze aufklären. Dem Szeneviertel rund um die Rote Flora, wo die abblätternden Demoplakate und die zerborstenen Astra-Flaschen auf eine dreckige Art so schick aussehen, dass immer mehr Menschen hier leben wollen. Was den Müll angeht, ist die Schanze ein „Hotspot“, so heißt es bei der Stadtreinigung, sechsmal in der Woche kommt sie her, dazu gibt es Sonderreinigungen.

Michael sagt „Vermüllungsecken“, nicht Hotspots, das hört sich wirklicher an, weniger nach Wlan. „Wir sind der Smarte und der Zarte,“ sagt Patrick. Einer von der Straße, dazu der aus dem Büro, das habe der Chef extra so zusammengestellt, damit die Gespräche besser laufen. Michael, 46, Brille, grauer Pony, kein Gel, Diplom-Verwaltungswirt, war mal in der Gebührenabteilung. Die letzten neun Jahre im Servicecenter der Stadtreinigung, als vor sechs Jahren die Altpapiertonne kam, fand er das toll. „Wo was Neues ist, bin ich immer gerne mit dabei.“ Jetzt wollte er mal nach draußen, sagt er, die andere Seite erleben. In den Gesprächen fängt oft Patrick an, Michael schaltet sich später ein.

Schon vor vier Tagen waren Patrick und Michael in der Schanze, in einer Spielothek, mitten im Viertel. Der Besitzer hatte behauptet, Demonstranten hätten vor einem Jahr seine Mülltonne angezündet. Deshalb müsse er seine Müllsäcke einfach so auf die Straße stellen. Patrick gab ihm eine Nummer, unter der man neue Tonnen bestellen kann. Aber heute Morgen standen wieder vier Müllsäcke vor der Tür, einfach so. Neben einer leeren Mülltonne, von der weiß keiner, wem sie eigentlich gehört. Heute ist der Besitzer nicht da, nur eine Mitarbeiterin. Rauch hängt im grauen Teppichboden, die aufgereihten Spielautomaten warten noch auf Gäste. Patrick ruft selbst an und bestellt die Tonne. Mit den Kunden sei es wie mit der Liebe, sagt er: „Du kannst nicht überall landen.“

Patrick und Michael zählen im Kopf mit, aufgeschrieben wird alles später im Büro. Ein Kosmetikladen, der eine neue Mülltonne kriegt – Kundenkontakt. Eine Frau, die für ihren Mischling partout keinen Doggybeutel benutzen will – Kundenkontakt. Ein Mann, der gratuliert, weil Hamburg im Vergleich zu Teneriffa so sauber sei – Kundenkontakt.

„Wenn jemand schon von vornherein aggressiv ist, müssen wir uns nicht zusammenschlagen lassen“, sagt Michael, das stehe nicht im Arbeitsvertrag. Es gebe unterschiedliche Charaktere, sagt Patrick. Unbelehrbare und viele, denen der Müll egal ist. Nur wenig Mitdenker. „Uns kann ja jeder Bürger dieser Welt treffen“, sagt Patrick: Wladimir Klitschko. Obdachlose. Oder Hugo-Boss-Krokodillederschuhträger: „Zu dem kannst du nicht einfach hingehen und sagen ’Hey Mann!‘, der ist vielleicht Chef.“

Im Servicecenter am Telefon hat Michael gelernt, dass man nichts persönlich nehmen darf. Ist das Wetter schlecht, ist die Laune schlecht. „Und du bist schuld.“ Heute ist das Wetter schlecht, Rinnsale mischen sich mit Großstadtdreck. Michael achtet darauf, möglichst viele Passanten zu grüßen. Das hier ist anders als am Telefon. Weil die Leute ihn sehen, nicht nur hören.

Der braune Koffer unter einem Baum ist ordentlich zugeschnallt. Als Michael ihn öffnet, quellen verkrumpelte Ikea-Tüten heraus und ein saurer Geruch. Hundert Meter weiter: ein braunes Ledersofa an einer Straßenkreuzung. Steht einfach da, wie ein verlassenes Kind im Regen. 35 Euro bezahlt man für acht Kubikmeter Sperrmüll, das reicht für eine ganze Zimmereinrichtung.

„Die meisten Leute stellen den Kram nachts heimlich raus“, sagt Patrick. „Aber immer ein Stück weit weg von der eigenen Haustür.“ Michael findet: „Der beste Müll ist der, der nicht auf der Straße landet.“ Er gehört zu denen, die zu Hause trennen: Altpapier, Wertstoff, Bio, Restmüll. Wenn andere das blöd finden, sagt er, sei ihm das egal. „Wenn sich keiner an die Regeln hält, ist Anarchie.“

In Orange, als er Straßenfeger war, redete Patrick noch mehr mit den Leuten als jetzt. Da kommen viele, die finden das gut, dass du sauber machst. Die Kinder fahren mal ein bisschen mit auf der Kehrmaschine, Mama und Papa haben nichts dagegen. Seit Kurzem tragen Patrick und Michael auf der Straße Westen, die orange fluoreszieren. Vorher wurden sie manchmal verwechselt, mit Security-Leuten, der Gewerbeaufsicht. Der Polizei.

Vor ihm, im Menschengewimmel, wirft eine junge Frau ihre Zigarette auf den Boden. Klarer Fall, aber Michael will sie nicht stellen. „Das wirkt so auflauernd, mit Beweis und so.“ Er würde nie sagen, dass er auf Streife geht: „Wir gucken uns ein bisschen um.“

Geben soll es die Waste Watcher erst mal für neun Monate. Patrick und Michael können in ihre alten Jobs zurück, wenn es danach nichts wird. Die Zahlen sagen, dass die zehn ersten Waste Watcher in einer Woche mit 190 Leuten gesprochen haben. Die Stadtreinigung nennt das gut.

60 hatten sich beworben als Waste Watcher, zehn wurden genommen. Michael ist noch immer ein bisschen stolz. Acht, manchmal zwölf Kilometer läuft er jetzt pro Tag, das hat er gemessen. Wenn der Müllwagen nach einem Anruf besonders schnell kommt, schmeißt er das nicht ordnungsgemäß Abgestellte selbst in den Schlund. Und sieht dann sehr zufrieden aus.

Ein junger Mann steht vor einem Klamottenladen und raucht, blickt auf die zwei leuchtenden Westen im Großstadtgrau. „Wetten, der schmeißt die Kippe hin“, fragt Patrick, „sobald wir weg sind?“ Patrick und Michael gehen weiter. Der Mann blickt ins Schaufenster. Dann geht er in den Laden. Seine Zigarette verglüht auf dem Asphalt.

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