: Öffentlich-rechtliches Elend
■ Über das Buch des geschaßten 'Report'-Redakteurs Wolfgang Moser
Wer erinnert sich nicht mehr an den Streit um das Baden -Badener Politik-Magazin 'Report‘? Sendungen über die Mißstände in der bundesdeutschen Atomindustrie waren es, durch die die Arbeit und die Mitglieder der Redaktion ins Schußfeld öffentlicher Kritik gerieten. „Manipulation“ und „Panikmache“ schallte es von der Atomindustrie und deren Lobby. Die Folge: Die Sendung 'Report‘ wurde völlig umgemodelt, Redakteure wurden entlassen, der Leiter Franz Alt entmachtet.
Einer der umstrittensten Akteure, das ehemalige Mitglied der 'Report'-Redaktion Wolfgang Moser, hat jetzt seine Erfahrungen niedergeschrieben. Sein Buch ist nicht nur ein Dokument der Ereignisse im Baden-Badener Südwestfunk, es ist auch ein Zustandsbericht über die „Öffentlich-Rechtlichen“ am Ende der achtziger Jahre: „Das Elend von Funk und Fernsehen“.
An den Anfang seines Buches stellt Moser die Vorstellung der schillerndsten Figur der Auseinandersetzung um 'Report Baden-Baden‘, den Südwestfunk-Intendanten Willibald Hilf. Er zeichnet die Stationen einer Karriere: vom parlamentarischen Geschäftsführer zum CDU-Landtagsabgeordneten in Mainz, über die rechte Hand des damaligen Ministerpräsidenten Helmut Kohl schließlich auf den Intendantensessel in Baden-Baden. Der Chef mehrerer Hundert Angestellter und einer der glühendsten Vertreter des „Ausgewogenheitsdogmas“, Hilf: „Ich verdanke Helmut Kohl sehr viel.“
Bei der Beschreibung dieser Person wird Mosers Anliegen verständlich. Mit dem Buch belegt er seine zentrale These: Die Verantwortlichen in den öffentlich-rechtlichen Funkhäusern sind keine Journalisten, sondern Funktionäre ihrer Partei. Nicht journalistische Kriterien sind entscheidend, sondern das Parteibuch. Da kann es kaum überraschen, daß keiner der jüngsten „Skandale“ in der BRD von den öffentlich-rechtlichen Medien aufgedeckt wurde. Belege und Beispiele für diese These gibt Moser zuhauf.
In einer Art Reise durch die bundesdeutschen Funkhäuser von Nord (NDR) nach Süd (Bayrischer Rundfunk) werden die Mißstände sichtbar: ob beim NDR ein Redakteur mit Vertretern der chemischen Industrie kungelt, ob beim Deutschlandfunk die „innere Einstellung der Journalisten“ geändert werden soll (so tatsächlich empfohlen vom CSU-Rundfunkratsmitglied Klemmert!), ob die CDU-Mitglieder Räuker (Intendant) und Gruber (Chefredakteur) 'Tagesschau‘ und 'Tagesthemen‘ auf Regierungskurs bringen, oder ob die „Eingriffe alltägliche Mechanismen“ geworden sind, wie es der von Moser häufig zitierte BR-Redakteur Dagobert Lindlau über die CSU und den Bayrischen Rundfunk schildert - das Elend wird allenthalben sichtbar. Jede Anstalt, so das Fazit von Moser, habe seine „landmannschaftlichen Malaisen“.
Doch der eindrucksvollste Beleg gelingt Moser in der Beschreibung der Auseinandersetzungen um 'Report Baden -Baden‘ der Jahre 1986 und 1987. Bereits in den siebziger Jahren gab es erste Probleme mit dem Politikmagazin des Südwestfunks, doch der eigentliche Niedergang dieser Sendung begann 1986 mit dem Beitrag „Wie sicher sind bundesdeutsche Atomkraftwerke?“ Dieser Beitrag, gesendet am 24. Juni 1986, also nur zwei Monate nach dem „Tschernobyl-GAU“, löste eine wahre Sturmflut von Protesten der Atomlobby aus. Kein Wunder, war doch deren Ansehen seit der Katastrophe in der UdSSR auf dem Nullpunkt. Der Beitrag, der die Sicherheit der Reaktorkuppel gerade der älteren Atomkraftwerke zum Gegenstand hatte, konnte da nur lästig sein. Denn schließlich sollte damals aller Welt bewiesen werden, daß in bundesdeutschen AKWs Unfälle a la Tschernobyl völlig unmöglich seien. In halbseitigen Anzeigen in allen bundesdeutschen Tageszeitungen wurde der 'Report'-Redaktion Panikmache vorgeworfen und behauptet: „Die Sicherheit der bundesdeutschen Atomkraftwerke ist nachprüfbar.“ Der Atomstaat funktionierte prächtig: Kurze Zeit später wurde die 'Report'-Sendung vom Fernsehausschuß des Südwestfunks als „journalistisch mangelhaft“ verurteilt. Angegebene Begründung: Ein positives Gutachten des TÜV sei unerwähnt geblieben. Von der „Objektivität“ dieser Einrichtung konnte man sich ja unlängst im Zusammenhang mit Manipulationen am Atomkraftwerk Philippsburg überzeugen. Diese Sendung vom 24. Juni '86 sei, so Moser, der „Anfang vom Ende von 'Report'“ gewesen.
Ein weiterer Beitrag über die Risiken der Kernenergie sollte dann den Höhepunkt der Debatte um das zeitkritische SWF-Magazin bilden: Am 20. Januar 1987 wurde der Film mit dem kompliziert klingenden Titel „Gibt es einen Zusammenhang zwischen dem Betrieb kerntechnischer Anlagen und Schäden bei Mensch, Tier und Pflanze?“ gesendet. Das war fünf Tage vor der Bundestagswahl 1987. Noch vor dem Wahlsonntag konnten die Bundesbürger mit zentimeterhohen Lettern von der Atomlobby in die Tageszeitungen gesetzt lesen: „Manipulation“. Die Proteststürme des „Dr. Ing.“ begannen, ein „Kesseltreiben“ (Moser) setzte ein. Und obwohl dieser Beitrag ausdrücklich von den Verantwortlichen des Südwestfunks abgenommen und genehmigt worden war, sollte er tatsächlich das Ende von 'Report Baden-Baden‘ in alter Form darstellen. Die Atomlobby war zu mächtig, oder, wie Franz Alt es ausdrückte: „Erstmals in der Geschichte läßt sich das Deutsche Fernsehen von den Lobbyisten der Atomwirtschaft in die Knie zwingen. Das öffentlich-rechtliche Fernsehen droht zum Sprachrohr wirtschaftlicher Mächte zu verkommen.“
Nach dieser Sendung wurde 'Report‘ dann endgültig verändert, Moser wurde entlassen, Alt bekam einen Chefredakteur vorgesetzt, die Arbeit der Redaktion wurde erschwert. Mittlerweile gibt es im Südwestfunk - einmalig mehrere schriftliche Regelungen für die Abnahme, Ausstrahlung und Arbeit von 'Report‘.
An das Ende seines Buches stellt Moser ein Fazit: „Es muß tatsächlich etwas geschehen. Nicht nur bei den zeitkritischen Magazinen. Bei Rundfunk und Fernsehen insgesamt. Um wenigstens die letzten Reste journalistischer Unabhängigkeit in den Funkhäusern ... zu schützen. Es ist fünf vor zwölf.“
Doch eine weitergehende Frage vergißt Moser zu stellen: Ist es nicht längst zu spät für die „Öffentlich-Rechtlichen“? Die privaten TV- und Funk-Anbieter und ihre Protagonisten wollen dies schon seit längerem glauben machen. Auch wer Mosers Buch mit Aufmerksamkeit liest und auch sonst die öffentlich-rechtlichen Fernseh- und Funkprogramme verfolgt, der kommt an der Frage nicht vorbei: Gibt es wirklich noch Gründe, die für deren Erhaltung sprechen?
Die 'Report'-Auseinandersetzung hat es gezeigt: Auch bei den „Öffentlich-Rechtlichen“ hat sich unter dem unsäglichen Vorwand der „Ausgewogenheit“ die Rücksichtnahme auf wirtschaftlich-politische Interessen durchgesetzt.
Das krasseste Beispiel ist die auch von Moser mehrfach angesprochene Bonn-Hofberichterstattung von ARD und ZDF. Kann es wirklich noch etwas schlimmeres geben, etwas, das noch weniger mit gutem Journalismus zu tun hat?
Es ist kaum zu glauben: Die Programme von RTL-Plus und SAT1, diesen Daueranbietern alter und schlechter Spielfilme, oder die unzähligen, mit seichter Unterhaltungsmusik gespeisten privaten Radioprogramme beweisen tagtäglich, daß es noch schlimmer geht. Die Mitarbeiter dieser „Medien“ haben vergessen oder nie gelernt, daß Radio- und Fernsehmachen etwas mit Journalismus zu tun hat.
Das Fatale ist, daß die öffentlich-rechtlichen Anstalten genau in diese Richtung marschieren. Während die einzige Chance der „Öffentlich-Rechtlichen“ darin besteht, diesen privaten Kommerzanbietern Qualität und guten Journalismus entgegenzusetzen, schmeißen sie Leute, die einen solchen Anspruch haben, raus. Die Verantwortlichen in den Funkhäusern - meistens ja keine Journalisten, sondern verwaltungserfahrene Juristen oder Volkswirte - sind so dabei, die „Öffentlich-Rechtlichen“ schlichtweg überflüssig zu machen, weil ein Unterschied zu den Privaten kaum mehr erkennbar ist.
Heiko Melcher
Wolfgang Moser: „Report - Über das Elend von Funk und Fernsehen“, Rasch und Röhring-Verlag, Hamburg 1988, 29,80 Mark.
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