ÖSTERREICH: KANZLER SCHÜSSEL GELINGT IM WAHLKAMPF EIN KLEINER COUP: Grasser geht’s nimmer
Das soll dem Mann erst einmal jemand nachmachen: Er ist der schlechteste Finanzminister, den die Republik seit langem hatte, und dennoch der populärste Minister des Regierungslagers. Er hat die Abgabenquote in astronomische Höhen getrieben (die Österreicher zahlen, addiert man alles zusammen, neun Prozent mehr an Steuern und Gebühren als die Deutschen) mit dem Versprechen, die Staatsfinanzen zu sanieren – und steht nun doch mit einem prognostizierten Budgetdefizit von rund zwei Prozent für 2003 und einer abgewürgten Konjunktur da.
Karl-Heinz Grasser, der politische Ziehsohn Jörg Haiders, ist einfach ein begnadeter Selbstvermarkter. Er ist fesch, eloquent und frei von karrierehemmende Prinzipien. Darum hatte er sich regelmäßig von seinem Förderer Haider abgesetzt, wenn allzu große Nähe zu seinem Entdecker seinen persönlichen Zukunftsaussichten abträglich geworden wäre. Dafür ziert er sich nicht, anderen zu helfen, wenn ihm das selber nützlich sein kann.
Jetzt hat ihn dieser Sinn für den wechselseitigen symbiotischen Eigennutz mit Wolfgang Schüssel verbunden. Der Kanzler verspricht, wenn er denn nach den Wahlen am 24. November im Amt bleiben kann, Grasser als „parteifreien“ Minister zu behalten. Die Einladung zu dieser eher virtuellen Kandidatur nahm Grasser nach fünf gut inszenierten Bedenktagen an und stellte seine FPÖ-Parteimitgliedschaft „ruhend“.
Schüssel hofft, durch diesen Coup im Wahlkampffinale jenes Momentum zu gewinnen, das er noch braucht, um doch noch mit seiner ÖVP an der SPÖ vorbeizuziehen. Und Grasser kann hoffen, mit seinem spektakulären Seitenwechsel den Ludergeruch der Haider-FPÖ endgültig loszuwerden – ganz egal ob er tatsächlich nach den Wahlen Finanzminister bleibt. Schön für beide, auch wenn bei Licht besehen kaum eine Koalitionsvariante denkbar ist, in der Grasser tatsächlich Kassenwart bleibt.
Wird der Wahlkampfcoup aufgehen? Schwer zu sagen. Sicher ist, dass Schüssel damit den rasanten Schrumpfungsprozess der Freiheitlichen beschleunigt und FPÖ-Wähler zur ÖVP locken kann – was die Aussichten, eine rot-grüne Mehrheit zu verhindern, aber nicht allzu stark verbessert. Zudem ist sogar möglich, dass der Schuss nach hinten losgeht. Denn Grasser ist populär, weil er bei den Freiheitlichen das wohltönende Kontrastprogramm zum Haider’schen Rabaukenkurs bot. Der allzu spektakuläre Sprung vom sinkenden FPÖ-Schiff ins Rettungsboot der Kanzlerpartei könnte Grassers Charakterschwächen freilich selbst dem bewusstlosesten Bewunderer des smarten Kärntner Jungpolitikers sehr deutlich machen.
ROBERT MISIK
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