Observation aufgeflogen: Post von der Polizei
Die Görlitzer Polizei schickt einen Brief statt an die Göttinger Polizei versehentlich an den Anwalt eines Mannes, der offenbar seit Jahren beobachtet wird.
Der brisante Brief offenbart, dass ein heute 28-jähriger Fotojournalist aus Göttingen im bundesländerübergreifenden polizeilichen Informationssystem „Inpol“ zur Beobachtung ausgeschrieben ist. Die polizeiliche Beobachtung ist nicht irgendeine Maßnahme – sie kann laut Strafprozessordnung durch ein Gericht angeordnet werden, „wenn eine Straftat von erheblicher Bedeutung begangen wurde“.
Das gilt aber auch nur dann, „wenn die Erforschung des Sachverhalts oder die Ermittlung des Aufenthaltsortes des Täters auf andere Weise erheblich weniger erfolgversprechend oder wesentlich erschwert wäre“. Die jeweils ausschreibende Polizeidienststelle versucht dann, auf Grundlage der ihr von Kollegen übermittelten Informationen ein Bewegungsprofil der beobachteten Person zu erstellen.
Dem Schreiben aus Sachsen zufolge war der Journalist am 3. November um 13.30 Uhr in der Bahnhofstraße in Ostritz kontrolliert worden. „Die wegen/zur Beobachtung ausgeschrieben nachfolgend genannte Person wurde festgestellt“, heißt es darin. Die Kleinstadt Ostritz im Kreis Görlitz war damals Schauplatz der zweiten Auflage des Rechtsrock-Festivals „Schild und Schwert“.
Fotos von Nazi-Festival
Bei dem vom in Thüringen lebenden Neonazi und NPD-Kader Thorsten Heise organisierten Event traten einschlägig bekannte Bands wie „Sturmwehr“, „Act of Violence“ und „Lunikoff Verschwörung“ auf. Auch NPD-Größen wie Udo Voigt und Peter Schreiber sowie der Dortmunder Rechtsextremist Alexander Deptolla gaben sich die Ehre. Etwa 3.000 Menschen protestierten zur gleichen Zeit gegen das Festival. Der junge Göttinger Journalist war in die Oberlausitz gereist, um die Veranstaltungen mit dem Fotoapparat zu dokumentieren.
Die Vorgangsnummer aus dem Görlitzer Brief mit der Jahreszahl 2012 deutet darauf hin, dass der Göttinger Reporter bereits seit mindestens sechs Jahren zur Beobachtung ausgeschrieben ist. Allerdings hat der Betroffene, wie dessen Anwalt Adam erklärt, von einer solchen bundesweiten Ausschreibung gar keine Kenntnis.
Auch ihm selbst, sagt Adam, habe die Polizei in einer Auskunft über möglicherweise zu seinem Mandanten gespeicherte Daten nichts von einer Ausschreibung zur Beobachtung mitgeteilt „und auch keinen sog. Sperrvermerk verfügt“. Die jüngste Anfrage datiert vom 18. August dieses Jahres. – Wenn die Polizei über Daten verfügt, über die sie nichts mitteilen darf, muss sie wenigstens per Sperrvermerk über die Existenz solcher Daten informieren.
Die Göttinger Polizeidirektion erklärte gestern, dass der 28-Jährige in polizeilichen Auskunftssystemen gespeichert sei. Sie bestritt jedoch, dass der Mann „in polizeilichen Auskunftssystemen zur Beobachtung ausgeschrieben ist“. Genau das Gegenteil aber haben die Görlitzer Polizisten in ihrem Brief betont.
Warum das Schreiben überhaupt an die Göttinger Polizei gerichtet wurde, können nach Angaben von deren Sprecherin Julia Huhnold „weder das zuständige Staatsschutzkommissariat der PI Göttingen noch die PD Göttingen nachvollziehen“. Die Göttinger, versicherte Huhnold der taz, hätten das Schreiben jedenfalls nicht angefordert.
Die Polizeidirektion Görlitz ließ eine Anfrage der taz zu dem Vorgang gestern unbeantwortet. Dem NDR teilten die Sachsen nach Angaben des Senders aber mit, es werde intern geprüft, wie es zu dem Irrläufer habe kommen können. Die Untersuchungen seien aber noch nicht abgeschlossen.
Klage gegen Beobachtung
Für Rechtsanwalt Adam sind in der Angelegenheit noch eine ganze Reihe Fragen offen. Er strebt deshalb eine gerichtliche Aufklärung des Vorgangs an. Bereits am Montag reichte der Jurist beim Göttinger Verwaltungsgericht eine Klage ein. Das Gericht soll feststellen, dass die polizeiliche Beobachtung des Journalisten rechtswidrig und die Auskunft der Göttinger Polizei vom 18. August falsch oder unvollständig war. Den falsch adressierten Brief hat der Anwalt inzwischen an die Polizei weitergeleitet.
Die Grüne Jugend reagierte gestern auf den neuerlichen „Überwachungsskandal“ mit scharfer Kritik. Die Überwachung des Fotojournalisten zeige, welches Verständnis die Behörden von Grundwerten wie der Pressefreiheit hätten. Der Fall reihe sich in eine lange Chronik der Göttinger Überwachungen ein und mache „ein weiteres Mal den Kontrollwahn der staatlichen Institutionen deutlich“.
Erst in der vergangenen Woche war nach einer Behördenpanne bekannt geworden, dass ein V-Mann des niedersächsischen Verfassungsschutzes zwei Jahre lang die linke Szene der Universitätsstadt bespitzelt hat.
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