Obamas großer Auftritt: Yes, we can healthcare

Ist Obama der Präsident, der die Gesundheitsreform durchsetzt? Im August noch wehr- und wortlos, eint er mit jetzt Tatkraft. Wichtige Verhandlungspartner sitzen nach wie vor am Tisch.

Die USA haben einen wohlmeinenden Präsidenten, der brilliante Reden hält. Bild: reuters

WASHINGTON taz | Die USA haben einen wohlmeinenden Präsidenten, der brilliante Reden hält. Die Vereinigten Staaten sind auch ein Land, in dem es seit 100 Jahren keiner Regierung gelungen ist, ein gerechtes Gesundheitssystem zu schaffen. Die große Frage, die seit gestern über dem Kontinent schwebt ist, ob die Kraft einer einzigen famosen Rede ausreicht, um den jahrzehntealten Bann der Ignoranz zu brechen.

Um sein wichtigstes innenpolitisches Ziel, die Reform des maroden US-Gesundheitssystems voranzutreiben, hielt Obama in der Nacht zum Donnerstag vor beiden Kammern des US-Kongresses eine leidenschaftliche Rede. Dass er das kann, hat er schon oft bewiesen. Diesmal zeigte er auch die von seinen Unterstützern sehnlichst erhoffte Härte gegen die politischen Gegner.

Sein ungewöhnlicher Auftritt markierte das Ende eines Sommers, in dem Obama und sein Team an Boden zu verlieren schienen. Hinter ihm lag ein hitziger August, in dem erzkonservative Talkshow-Moderatoren und Politiker, allen voran die Ex-Gouverneurin von Alaska, Sarah Palin, die Lufthoheit inne hatten. Wochen, in denen die Argumente gegen Obamas Ideen immer schriller wurden und nicht einmal vor unsäglicher Hetze haltmachten. Wie der, dass Obama mit seiner Reform den Sozialismus plane und “Todestribunale” einrichten wolle, die teure Alte euthanasieren würden.

Ein Schlag mit der Faust auf den Tisch musste her. Und weil es Obama ist, wurde er elegant ausgeführt. "Die Zeit für Zankereien ist vorbei. Jetzt ist Zeit zu handeln", sagte Obama zur besten Sendezeit. Dann erklärte er mit schlichten Sätzen, als gehe es lediglich um die Tagesordnung von morgen, dass sein Plan zur Gesundheitsreform drei Ziele habe: Mehr Sicherheit und Stabilität für die bereits Versicherten. Eine bezahlbare Versicherung für die rund 46 Millionen Nichtversicherten und das langfristige Ziel, die explodierenden Kosten im US-Gesundheitswesen zu drosseln. Als er später salopp hinzufügte, dass es da natürlich noch einige Details auszuklamüsern gäbe, erntete er höhnisches Lachen aus den Reihen der Opposition.

Von deren eisigem Schweigen und Provokationen ließ sich der Präsident nicht aus der Ruhe bringen. Auch nicht, als ein republikanischer Zwischenrufer schrie “Sie lügen!”, nachdem Obama sagte, er habe nicht vor, Migranten ohne Aufenthaltsstatus mitzuversichern. Denn an die Republikaner war Obamas Rede gar nicht gerichtet. Zu deutlich haben sie in den letzten Monaten demonstriert, dass sie auf Verweigerungskurs sind. Dennoch, Obama gab sich fair und sagte, seine Tür bleibe offen für alle konstruktiven Vorschläge, egal wer sie mache.

Seine Botschaft war vielmehr an die Menschen vor den Fernsehgeräten und die Zweifler und Abtrünningen in den eigenen Reihen gerichtet. Ihnen, den Steuerkonservativen unter den Demokraten, den sogenannten “Blue dogs” sagte er, dass er einen Weg suche, den Status Quo zu überwinden, dabei aber alle Wege erörtern werde, die zum Ziel führten. "Wir sollten offen sein für andere Ideen,” sagte er mehrmals und umschrieb dies damit, dass er zwar glaube, dass der Staat bei der Ermöglichung einer guten Krankenversicherung für Geringverdiener eine aktive Rolle spielen müsse, dies aber nicht zur Vorbedingung für seine Unterschrift unter ein Reformgesetz machen werde.

"Ich bin nicht der erste Präsident, der sich dieses Themas annimmt, aber ich bin entschlossen, der letzte zu sein", sagte Obama, umtost von stehenden Ovationen seiner Partei. Doch die Analysten konnte Obama an diesem Abend nicht vom Hocker reißen.

Viele von ihnen bezweifeln längst, dass Obama überhaupt der Präsident sein wird, der eine Gesundheitsreform auf die Beine stellen kann. Vor ihm sind schon große Politiker wie Franklin D. Roosevelt und Bill Clinton kläglich an diesem Vorhaben gescheitert. Immer und immer wieder zerbrach der dünne Konsens, dass eine Reform notwendig sei, an der zentralen Frage nach der Rolle des Staates dabei.

So machte sich, unbeirrt von Obamas guter Rede, in US-Medien schon kurz darauf wieder die Gewißheit breit, dass Obamas wichtigstes innenpolitisches Vorhaben und damit eigentlich auch seine Präsidentschaft am seidenen Faden hängen.

Grund für die düsteren Kommentare ist die Tatsache, dass das Obama-Team nach knapp acht Monaten im Amt noch herzlich wenig Erfolge vorweisen kann: Die US-Wirtschaft zeigt kaum Anzeichen einer Erholung, die Arbeitslosenquote steigt weiter, der Krieg in Afghanistan droht zu einem weiteren Fiasko zu werden und die grüne Wende lässt aus Finanzmangel noch arg auf sich warten.

Obama, der smarte Alleskönner, der wie ein zweiter Kennedy ins Weiße Haus eingezogen war, wirkte im August auf einmal wehr- und wortlos. Das nutzte eine republikanische Kamarilla um den Moderator des konservativen TV-Senders Fox, Glenn Beck, und seinen kongenialen Kollegen, der Radiomoderator Rush Limbaugh, um die US-Bevölkerung gründlich gegen die Refom aufzuwiegeln.

Oft genug stolperten die republikanischen Politiker dabei hinter den beiden außer Rand und Band geratenen Medienmachern her. Beck, der ein Millionenpublikum hat, feierte in diesen Wochen seinen kometenhaften Aufsteig zu Obamas Feind Nr 1.

Obamas Unterstützer trieb das zur Weißglut. Auch, dass ihr Präsident so gar nicht zurückschlagen wollte. Auch sie begannen, an ihm herumzumäkeln. Schon zu Wahlkampfzeiten hatte Obama mit seinem ausgeprägten Pragmatismus und seinem völligen Mangel an Temperament die Geduld der Demokraten hart auf die Probe gestellt. Am Ende hatte sich seine Taktik ausgezahlt. Sieg durch Coolness und Verstand.

So sieht es, bei genauem Hinschauen, auch keineswegs so desolat aus, wie viele Kritiker glauben machen wollen. Zwar waren die landesweiten Debattenrunden des Sommers grotesk und hysterisch, doch scheinen sie die Demokraten nicht grundsätzlich geschwächt zu haben. Die wichtigsten Verhandlungspartner in der Reformdebatte, Krankenhäuser, Versicherer und Pharmakonzerne, sitzen nach wie vor mit am Tisch und sind nicht ins gegnerische Lager desertiert.

Die Demokraten sind zwar geteilter Meinung, wenn es um die Rolle des Staates bei der Schaffung einer sozialen Krankenversicherung geht. Gleichzeitig stimmen sie überein in den meisten Punkten der verschiedenen Reformpläne, die das Versicherungssystem zuverlässiger und weniger profitgeil machen sollen. Vier der fünf existierenden Reformpläne wurden von ihren jeweiligen Ausschüssen schon verabschiedet.

Max Baucus, der plötzlich ins Rampenlicht gepreschte konservative Demokrat und Vorsitzender des überaus wichtigen Finanzausschusses im Senat, versprach zudem bis kommende Woche in seinem Kommittee einen überparteilichen Reformvorschlag verabschieden zu wollen. Einer, der ein Not-for-profit-Genossenshcaftsmodell vorsieht, statt einer neu zu schaffenden staatlichen Versicherung.

Das zeigt, die Demokraten drücken nun aufs Gaspedal. Das wird die Ungeheuerlichkeit der Aufgabe, die Komplexität und der Ausmaß der Zankereien nicht schmälern. Aber Obama hat gezeigt, dass er es ist, der am Drücker ist und die Etappenziele vorgibt. Viele US-Amerikaner, die sich willentlich verunsichern lassen und gerne glauben wollen, Obama werde Sozialismus und Staatswillkür einführen, geben nach dem Purgatorium der Rathaustreffen zu, dass auch sie sich große Sorgen machen, wenn alles so bleibt, wie es ist: Die drastisch steigenden Behandlungskosten und die Angst, im Krankheitsfall von der Versicherungen als Kostenfaktoren gefeuert zu werden. “Die Zeit zu handeln, ist jetzt”, sagte Obama. Und selten waren so viele darin so gegeneinander aufgebracht einig.

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