Obama tritt an: Zwischen Wagemut und Vorsicht
Noch bevor Obama im Amt ist, kritisieren US-Linke seinen Pragmatismus. Andere sind jedoch überzeugt: Nur unideologisch kann er bestehen.
WASHINGTON taz In linken Blogs und Medien wird über Barack Obama bereits heftig gemeckert, debattiert und gestritten. Etwa darüber, dass er den Konservativen auch als Präsident im Wartestand auf die Finger hätte klopfen können, als diese ihre Freunde an der Wall Street raushauten; oder dass Obama Deregulierer Larry Summers zu seinem Chefwirtschaftsberater gemacht hat - einen "Schmusekurs mit dem Kapital" nennt die linke Intellektuelle Naomi Klein das.
Unruhig blickt die US-amerikanische Linke nach Washington, wo in drei Tagen Obama sein Amt antreten wird. Zuvor, am Montagabend, will er mit einer Gala seinen unterlegenen republikanischen Rivalen John McCain ehren. Ein sicheres Zeichen dafür, meint Glenn Greenwald, ein bekannter linker Autor des Magazins The Nation, dass sich der Neue damit "der Religion des Washingtoner Politikbetriebs fügt, nach der ein Demokrat im Weißen Haus nur dann ein guter Demokrat ist, wenn er die eigene, linke Basis so richtig vor den Kopf stößt". So sei es immer gewesen: "Pragmatiker" und "Überparteilicher" seien nur Euphemismen für einen Demokraten, der ständig beweisen wolle, dass er kein linker Träumer ist.
Natürlich wird jeder Schritt des zukünftigen Präsidenten unter die Lupe genommen werden. Die große Frage wird sein: Wird Obama sie alle ein bisschen, stark oder sehr stark enttäuschen? Doch manchen kommt die Kritik etwas zu voreilig. "Können wir nicht mal fünf Minuten zufrieden sein?", fragen sie.
Alle gemeinsam beschäftigt die Frage, was es bedeutet, einen Pragmatiker im Weißen Haus zu haben, der als Senator einer der engsten Verbündeten der US-Linken und Progressiven war - der sich aber deutlich von "Ideologien" distanziert.
E. J. Dionne, einflussreicher Kolumnist der Washington Post - selbst ein moderat Progressiver -, ist der Überzeugung, dass die US-Linke in dieser Zeit ohnehin keine Ideologie benötige. Das Terrain der Ideologie sei seit Ronald Reagan fest in der Hand der Republikaner; mit ihr statt dem Maßstab der Realität hätten sie die letzten Jahrzehnte Politik betrieben. Die gegenwärtigen Wirtschaftsdebatten legten Zeugnis davon ab. Wie sonst könnte es sein, dass Konservative weiterhin behaupten, das Sanierungsgeld, das man oben hineingibt, komme unten beim Normalbürger an?
Obama, meint Dionne, könne sich entspannt als datenbasierter Pragmatiker gerieren - denn die Daten gäben zurzeit einer linksliberalen Herangehensweise recht: Arbeitslosenversicherung, Gesundheitsversorgung, Mindestlöhne und Investitionen in die Infrastruktur seien die wirtschaftspolitischen Instrumente, die nicht nur Linken am Herzen liegen, sondern nach aller zur Verfügung stehenden Erfahrung die Krise am erfolgreichsten zu bekämpfen versprechen.
Er ist davon überzeugt, dass Obamas eigentliche Ideologie die ist: eine Mischung aus Wagemut und Vorsicht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Haftbefehl gegen Netanjahu
Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
Stellenabbau bei Thyssenkrupp
Auf dem Rücken der Beschäftigten