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Nur auf massiven Druck der US-Regierung haben Arafat und Netanjahu gestern eine Einigung zustande gebracht. In allen wesentlichen Sicherheitsfragen hat die Palästinenserdelegation den israelischen Wünschen nachgeben müssen Aus Jerusalem Georg Baltissen

Sicherheit ist eine Frage der Kontrolle

Das Streicheln eines Haustieres mindert bekanntlich den Blutdruck und trägt zum allgemeinen Wohlbefinden einer Person bei. Es ist nicht verbürgt, daß US-Präsident Bill Clinton aus diesem Grund am Donnerstag mit seinem Hund nach Wye Plantation anreiste. Entspannung war jedenfalls das, was der Nahost-Gipfel in Maryland mehr brauchte als alles andere. Selbst die Spaziergänge in der ländlichen Umgebung des Anwesens hatten die streitbaren israelisch-palästinensischen Gemüter in den vergangenen Tagen nicht besänftigen können. Im Gegenteil. Noch in der Nacht zum Donnerstag hatte es so ausgesehen, als sei der Gipfel gescheitert, als Israels Ministerpräsident Netanjahu mit der Abreise drohte. Dies wohl weniger aus inhaltlichem Streit über Sicherheitsfragen als vielmehr aus dem Gefühl heraus, daß Bill Clinton und Außenministerin Madeleine Albright allzusehr der palästinensischen Seite zuneigten.

Nicht wie ursprünglich geplant drei oder maximal vier, sondern fast neun Tage hat der Nahost- Gipfel in Anspruch genommen. Mehr als 70 Stunden war Clinton persönlich zugegen, um in Einzelgesprächen, mal mit Netanjahu, mal mit Palästinenserpräsident Arafat, die Differenzen zu überbrücken. Fotografiert wurde Clinton auch, als er mit seinem Vize Al Gore durch den Wald spazierte und ein Papier diskutierte.

In der Tat war bis zur letzten Minute die genaue schriftliche und auch juristische Festlegung der neuen Interimsvereinbarungen der schwerste Brocken für die Delegationsmitglieder. Dabei ging es dann sehr wohl um die Sicherheitsbedingungen, die Israels Regierungschef stellte, um ein Rückzugsabkommen mit den Palästinensern auch in Israel vertreten zu können.

Es gibt wenig Zweifel daran, daß es allein dem persönlichen Einsatz von Clinton und dem massiven Druck der US-Regierung zu verdanken ist, daß am Ende ein Abkommen überhaupt zustande gekommen ist. In allen wesentlichen Sicherheitsfragen hat die palästinensische Delegation dabei den israelischen Wünschen nachgeben müssen. Netanjahu verzichtete allerdings auf die Auslieferung palästinensischer Attentäter. Er sagte andererseits nicht nur einen 13prozentigen Rückzug zu, sondern auch die Freilassung mehrerer hundert palästinensischer Gefangener. Gegenwärtig sitzen noch rund 3.500 Palästinenser in israelischen Gefängnissen ein. Überdies werden 14 Prozent der sogenannten B-Zone im Westjordanland, die israelischer Sicherheitskontrolle untersteht, in Zone A unter völlige palästinensische Kontrolle gestellt.

Die Palästinenser üben damit in rund 18 Prozent des Westjordanlandes die volle Kontrolle aus. Weitere 25 Prozent unterstehen der palästinensischen Zivilverwaltung, dort übt Israel weiterhin die Sicherheitskontrolle aus. Knapp 60 Prozent des Westjordanlandes bleiben derzeit unter vollständiger israelischer Kontrolle. In Betracht ziehen muß man dabei die Tatsache, daß das Westjordanland und der Gaza-Streifen nur 23 Prozent des ehemaligen britischen Mandatsgebiets Palästina ausmachen.

Nicht übereinkommen konnten beide Seiten über den Umfang des dritten Teilrückzugs, wie er im Hebron-Abkommen von 1997 vereinbart worden war. Während die israelische Regierung nur einen einprozentigen Rückzug anbietet, verlangen die Palästinenser mindestens zehn Prozent. Dieser Streit wird einer eigenen Verhandlungskommission überantwortet werden.

Während die Rechte in Israel gegen den Kompromiß von Maryland Sturm laufen wird, dürften die meisten Palästinenser froh sein, daß es überhaupt zu einem Abkommen und damit einem geringen Fortschritt im Friedensprozeß gekommen ist. Doch die schwierigsten und dicksten Brocken bleiben den Abschlußverhandlungen vorbehalten, die im April 1999 stattfinden sollen. Dann muß über die Zukunft Jerusalems, die endgültigen Grenzen zwischen Israel und Palästina, die Rückkehr der palästinensischen Flüchtlinge und die Kontrolle über das Wasser verhandelt werden.

Niemand anders als der Hardliner und Israels neuer Außenminister Ariel Scharon hat erklärt, daß es einen palästinensischen Staat bereits gebe. Über dieses Gebiet und seine Kompetenzen gelte es für Israel zu verhandeln, erklärte er. Mehr als 50 Prozent der Westbank will Scharon den Palästinensern nicht überlassen. Ob das für einen dauerhaften Frieden ausreicht, steht dahin. In Israel und in den Autonomiegebieten wird jetzt erst einmal die Umsetzung des Abkommens erwartet. Und keiner zweifelt daran, daß dies schwierig genug wird.

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