„Null K“ von Don DeLillo: Jetzt fühlt er sich sterblich
Inzwischen kann man bei Don DeLillo getrost von einem Alterswerk sprechen – vital ist er aber immer noch. Ein Roman über Tod und ewiges Leben.
Am 20. November wird er achtzig Jahre alt, er, der andere ewige Nobelpreiskandidat, der auch dieses Jahr wieder leer ausging, der andere ewige Ostküstenautor, der Konkurrent von Philip Roth: Don DeLillo. DeLillo, Nachfahr italienischer Ahnen, kann genauso gut über Sex schreiben wie Roth, es ist aber keinesfalls sein Hauptanliegen; und sein Stil entspricht eher einer europäischen Schule, ist postmodern. Nicht umsonst hat beispielsweise David Foster Wallace gern DeLillos literarische und persönliche Nähe gesucht.
Don DeLillo hat also ein hohes Alter erreicht und ist immer noch vital genug, um gute Bücher zu schreiben. Obwohl man in Bezug auf seinen neuen, insgesamt 15. Roman schon getrost von Alterswerk sprechen kann. Er heißt „Null K“ und handelt, wen wundert es bei dieser Einführung, um den Tod und das ewige Leben, um Wunsch und Vorstellung und Realität. Und er greift Motive auf, die DeLillo schon in früheren Büchern ausgebreitet hat: die Politik, die Welt der Nachrichten, dagegen die einsame Existenz, die Wüste, die Suche nach einem Sinn, der sich nicht ergibt.
Jeffrey Lockhart ist ein Mann in seinen Dreißigern, dessen vermögender Vater ihn eines Tages in diese Wüste einfliegen lässt: in eine Zone irgendwo im absoluten Nichts, verortet ungefähr zwischen Kasachstan und Usbekistan. Die Frau seines Vaters, die nicht seine Mutter ist (die ist schon länger tot), liegt im Sterben. Pointe: Der Vater unterstützt eine Gruppe Utopisten, die auf den wissenschaftlichen Fortschritt und die endliche Überwindung des Todes setzt. Artis, so der Name der Stiefmutter, soll nach ihrem Ableben umgehend eingefroren werden, um dereinst, sobald der medizinische Fortschritt es zulässt, wieder aufgetaut und ins Leben zurückgeholt zu werden. Vater Ross zögert, ob er – vor seiner Zeit – mitgehen soll. Sohn Jeffrey zieht seine eigenen Schlüsse.
Den großen Weltzusammenhang, den gibt es – wie üblich bei DeLillo – auch. Arabischer Terrorismus, die Verkommenheit der westlichen Welt, das Schwanken des großen Amerika, die großen und kleinen Glaubensfragen, die Systemfrage. DeLillo selbst hat in „Unterwelt“, in dem Geschichtenband „Der Engel Esmeralda“ und in „Der Omega-Punkt“ derartige Fragen schon verhandelt. Auch die Welt der Hochfinanz, hier durch den Vater, weniger durch den in den Tag hineinlebenden Sohn repräsentiert, hat er in „Cosmopolis“ schon sprechen lassen. Es gibt insofern nicht so viel Neues in diesem Roman.
Seltsames Denken
Und die Suche nach den letzten Sätzen, nach den Stellen, für die DeLillo natürlich auch hier immer wieder gut ist, ist diesmal mühsamer als im scharf pointierten „Cosmopolis“. Hier ist so eine Stelle: „Als ich eine Wohnung in Manhattan fand und einen Job und mich dann nach einem weiteren Job umsah, verbrachte ich ganze Wochenenden zu Fuß, manchmal mit Freundin, eine so groß und dünn, dass sie faltbar war. Sie wohnte an der Ecke First Avenue und First Street, und ich wusste nicht, ob sie ihren Vornamen Gale oder Gail schrieb, und beschloss, noch abzuwarten, bevor ich sie danach fragte, dachte an einem Tag mit der einen Schreibweise an sie, am nächsten mit der anderen und versuchte festzustellen, ob sich dadurch veränderte, wie ich an sie dachte, sie betrachtete, mit ihr sprach und sie berührte.“
Don DeLillo: „Null K“. Aus dem Amerikanischen von Frank Heibert. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2016, 288 Seiten, 20 Euro.
Eine bezeichnende Stelle. So funktionieren DeLillo-Romane: seltsames Denken, Überlegungen an der Grenze zum Sprachspiel, kalt, berechnend, gleichzeitig mit einer pointierten Komik und festgemacht am Wesen der Welt. Das, kann man sagen, funktioniert auch in „Null K“ hervorragend. Sehr schön ist auch der Mittelteil, in dem Artis spricht. Oder das, was von ihr übrig ist. Samt Kommentar aus dem Off. Ein endlich körperloses Sprechen, das sich vergeblich im Raum zu orientieren versucht.
Eine klare Haltung interessiert DeLillo nicht. Aber das Sterben, so lässt sich aus dem Spiel mit der Theorie der Unsterblichkeit schließen, ist etwas, was er annehmen kann. Jetzt, da er sich selbst sterblich fühlt, wie er kürzlich in einem Interview mit der Welt meinte. Aber vielleicht geht er noch nicht so schnell, und wenn er dann geht, wird er vielleicht nicht ohne die größte Anerkennung gehen, die die Welt einer Schriftstellerin oder einem Schriftsteller geben kann. Zu wünschen wäre es.
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