Notunterkunft Tempelhof: Privatsphäre noch nicht in Sicht
In der Notunterkunft Tempelhof sollen am Jahresende keine Flüchtlinge mehr wohnen. Daran gibt es Zweifel und Flüchtlinge protestieren gegen die Unterkunft.
Am Ende des Jahres sollen in den Tempelhofer Flughafenhangars keine Flüchtlinge mehr wohnen müssen. Das zumindest verkündete Sozialsenator Mario Czaja (CDU) am Dienstag. Nicht nur die Tamaja GmbH, die die Unterkunft betreibt, zeigte sich davon überrascht. „Wir begrüßen es, wenn Menschen aus den Hangars in andere Unterkünfte umziehen können, und unterstützen die bei uns lebenden Menschen dabei, Wohnheimplätze oder eine eigene Wohnung zu finden“, sagte die Sprecherin Maria Kipp. „Die Bewohner sollen in Tempohomes, also Container, umziehen, bei uns stehen aber noch keine“, meinte sie.
Aktuell leben rund 1.200 Menschen in den Hangars, weitere Hangars werden ausgebaut, sodass dort bis zu 3.000 Plätze zur Verfügung stehen. Demnächst sollen rund 100 bis 150 Menschen aus den Messehallen dort einziehen. Tamaja gehe bisher davon aus, die Unterkunft länger zu betreiben.
Auch Hakan Taş, flüchtlingspolitischer Sprecher der Linken, hält diese Pläne für nicht umsetzbar. Er vermutet viel eher, dass letztlich noch mehr Menschen in den Hangars untergebracht werden. „Die Tempohomes, in die die rund 6.500 Menschen aus den Turnhallen einziehen sollen, sind noch nicht fertig, und es verzögert sich immer weiter“, sagte er.
Hungerstreik der Geflüchteten
Laut Senatsverwaltung sollen die Container in Tempelhof erst im November bezugsbereit sein. Ende Juli sollen die ersten beiden Standorte in Alt-Glienicke und Marzahn mit insgesamt rund 1.000 Plätzen eröffnen. Ursprünglich sollten bereits im Juni Container bereitgestellt werden. „Das ist ohne die Hangars kaum zu schaffen“, so Taş. In Berlin gebe es zurzeit kaum freie Plätze in Gemeinschaftsunterkünften, in letzter Zeit seien auch Familien aus einer Turnhalle nach Tempelhof verlegt worden. „Czajas Ankündigung ist Wahlkampf auf dem Rücken der Geflüchteten“, sagte er.
Währenddessen wächst unter den Geflüchteten der Protest gegen die Bedingungen in den Notunterkünften. Acht Männer aus einer Unterkunft in Spandau protestieren seit letztem Donnerstag vor dem Lageso an der Turmstraße und fordern einen Platz im Wohnheim. In der Nacht vom Dienstag übernachteten sie auf dem Bürgersteig an der Turmstraße und traten in den Hungerstreik. „Nach neun Monaten in einer Notunterkunft haben wir das Recht auf Selbstverpflegung“ steht auf einem ihrer Plakate, „Wir sind im Hungerstreik, bis ihr euch an eure Gesetze erinnert“ auf einem anderen.
Tatsächlich steht Asylbewerbern nach sechs Monaten ein Platz in einer Gemeinschaftsunterkunft zu, wo sie selbst Essen zubereiten können und mehr Privatsphäre haben. „Wir haben morgens unsere Kurse, deshalb brauchen wir Ruhe zum Lernen“, sagte Mohammad Sardar, der Sprecher der Gruppe. Die Unterkunft sei außerdem sehr schmutzig. Von einem Bekannten, der in einer Gemeinschaftsunterkunft wohnt, habe er gehört, dass dort Plätze frei seien.
Mohammad Sardar, Geflüchteter
Chaos vom Lageso geht weiter
„Doch vom Lageso kriegen wir nur gesagt, dass wir zurück in die Mertensstraße sollen – oder einen Platz in den Hangars in Tempelhof bekommen könnten“, sagt er. Die Gruppe kündigte daher an, ihren Protest fortzusetzen. Ortrud Wohlwend, Sprecherin der Stadtmission, die die Unterkunft betreibt, erklärte, dass auch aus ihrer Sicht mehr Duschen und Toiletten für die Bewohner zur Verfügung stehen müssten. „Eigentlich sollten längst weitere Duschmöglichkeiten geschaffen werden“, sagte sie, sie hätten dies schon mehrmals beim Lageso angemahnt, aber da bewege sich zu wenig. Die meisten Bewohner hätten aber Verständnis für die Situation und würden sich arrangieren.
Die rund 30 Männer, die vergangene Woche ebenfalls gegen ihre Verlegung aus der Jahnsporthalle nach Tempelhof protestiert hatten, sind inzwischen in einer Notunterkunft im Tempelhofer Weg untergekommen. Diese wird ebenfalls von Tamaja betrieben. „Wir haben sie am Mittwoch erst mal aufgenommen, um zu vermeiden, dass sie obdachlos werden“, erklärte Sprecherin Kipp. Bisher habe man ihnen aber nicht zugesichert, dass sie dort auch dauerhaft bleiben können. „Das muss das Lageso entscheiden“, sagte sie.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen