: Notquartier in Schule
■ Kriegsflüchtlinge werden in Schöneberger Turnhalle untergebracht / Sozialstadträte werfen Bezirk Planlosigkeit vor
Als erster der Berliner Bezirke kapitulierte vorgestern Schöneberg vor dem Krieg in Ex-Jugoslawien. Weil die Unterbringungsmöglichkeiten für die Kriegsflüchtlinge in Schöneberg ausgeschöpft seien, sagte der Sozialstadtrat Gerhard Lawrentz (CDU), „mußten wir am Wochenende ein Turnhallen-Notquartier aufmachen“.
Im Friedrich-List-Oberstufenzentrum in der Apostel-Paulus- Straße wurden fünfzig Betten aufgestellt, die bis gestern mittag auch fünfzig Neuankömmlingen zugewiesen wurden. Tatsächlich, sagte Lawrentz, hätte in der Nacht zum Dienstag aber nur eine Person in der Turnhalle übernachtet, für ihn ein Beweis, daß die Flüchtlinge Alternativen haben. „Turnhallen sind unattraktiv“, räumte Lawrentz ein. Während Flüchtlinge, die in Pensionen, Privatquartieren oder Heimen untergebracht seien und sich selbst verpflegen müßten, dafür die reguläre Sozialhilfe von etwa 500 Mark erhielten, werde Menschen in Notquartieren nur 150 Mark pro Monat ausbezahlt. Unumwunden räumte der Sozialstadtrat ein, daß der Bezirk mit der Eröffnung der Turnhalle als Notquartier Geld spart.
Trotzdem sei die Turnhalle nur ein „Provisorium“, sagte Lawrentz. Derzeit verhandele man mit der brandenburgischen Landesregierung über die Einrichtung von weiteren Häusern entlang der S-Bahn-Strecke Berlin–Potsdam. Der Bezirk sei mit etwa 1.300 Flüchtlingen und täglich neu ankommenden weiteren 20 Personen „vollkommen überlastet“.
Das mag schon sein, meinten hingegen unisono die Sozialstadträte von Charlottenburg, Steglitz, Spandau und Kreuzberg. Trotzdem sei es aber schon merkwürdig, daß bereits 1992 nur Schöneberg auf Turnhallen zurückgreifen mußte. Ihre Bezirke werden dies auf keinen Fall tun. „Um Gottes willen“, sagte Udo Maier (SPD) von Charlottenburg, und um „Himmels willen, nein“, Renate Mende (SPD) aus Spandau. In einer Zeit der Ausländerfeindlichkeit würden Flüchtlinge in Turnhallen nur das „Klima von Fremdenfeindlichkeit anheizen“.
Sowohl die Bezirke Spandau, Steglitz als auch Charlottenburg haben in den vergangenen Monaten jeweils mehr als 1.600 Flüchtlinge aufgenommen. Eigene bezirkliche Planungsabteilungen suchen ständig neue Quartiere. „Es ist alles eine Frage der vorausschauenden Planung“, sagte Thomas Tosch für Steglitz, „daß jetzt im Winter viele kommen, hätte man sich im Sommer ausrechnen können.“ Mangelnde Planung wirft auch ein Sprecher der Sozialverwaltung dem Bezirk Schöneberg vor. Das Landessozialamt habe den Bezirken eine Liste mit möglichen, sich als Flüchtlingsunterkünfte eignenden „Objekten“ übergeben. aku
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen