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„Notfallzulassungen“ für PestizideSuper gemacht, Frau Klöckner!

Jost Maurin
Kommentar von Jost Maurin

Die EU-Mitglieder sollten sich nicht mehr über Pestizid-Verbote hinwegsetzen dürfen. Auch dafür muss die neue Bundesregierung in Brüssel kämpfen.

Die EU will die Verwendung von Insektiziden eigentlich einschränken Foto: Birgit Seifert/shotshop/imago

N ehmen wir mal an, ein Pestizid erweist sich in Versuchen als hochgiftig für Bienen und andere Nichtschädlinge. Nehmen wir weiter an, dass die EU wegen der Gefahr den Einsatz dieses Wirkstoffs im Freiland verbietet. Nehmen wir dann auch noch an, dass sich einige Mitgliedstaaten einfach nicht daran halten, und auf Druck ihrer Agrarlobby das Mittel doch wieder erlauben. Klingt absurd und völlig unrealistisch, oder?

Ist es aber nicht. Genau so ist es bei dem Insektizid Thiamethoxam passiert. Agrarministerin Julia Klöckner (CDU) ließ das von der EU verbotene Mittel für den Zuckerrübenanbau in mehreren Bundesländern auf einer Fläche mehr als eineinhalbmal so groß wie Hamburg zu. Jetzt zeigen Labor­untersuchungen, dass das Gift sich eben nicht auf diese Felder beschränkt, sondern unkontrolliert in der Umwelt ausbreitet. Und zwar in Mengen, die Insekten wie Libellen töten können. Super gemacht, Frau Klöckner!

Das tieferliegende Problem ist, dass das Recht der Europäischen Union überhaupt solche „Notfallzulassungen“ ermöglicht, die EU-weite Verbote aufheben können. Bedingung ist gemäß der betreffenden Verordnung nur, dass Schädlinge Pflanzen der Bauern erheblich bedrohen und sich angeblich nicht anders in den Griff bekommen lassen, was übrigens meistens nicht stimmt. Allein für dieses Jahr haben die Mitgliedstaaten rund 400 Ausnahmegenehmigungen für Mittel erteilt, die die EU entweder ganz oder für die infrage stehende Anwendung untersagt hat.

So als ob die von Umweltschützern oft als zu industriefreundlich kritisierte EU-Behörde für Lebensmittelsicherheit ohne Grund die Gefährlichkeit dieser Stoffe festgestellt hätte. Die Notfallzulassungen sind nicht nur umwelt- und teils gesundheitsschädlich. Sie untergraben auch die Autorität der Europäischen Union.

Deshalb sollte die neue Bundesregierung in Brüssel Initiativen unterstützen, das Schlupfloch Notfallzulassungen zu schließen. So würde auch der unfaire Wettbewerb zwischen Bauern in Ländern mit und ohne solche Ausnahmen unterbunden.

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Jost Maurin
Redakteur für Wirtschaft und Umwelt
Jahrgang 1974. Er schreibt vor allem zu Ernährungsfragen – etwa über Agrarpolitik, Gentechnik und die Lebensmittelindustrie. Journalistenpreis "Faire Milch" 2024 des Bundesverbands Deutscher Milchviehhalter. 2018, 2017 und 2014 gewann er den Preis "Grüne Reportage" des Verbands Deutscher Agrarjournalisten. 2015 "Bester Zweiter" beim Deutschen Journalistenpreis. 2022 nominiert für den Deutschen Reporter:innen-Preis (Essay "Mein Krieg mit der Waffe"), 2013 für den "Langen Atem". Bevor er zur taz kam, war er Redakteur bei der Nachrichtenagentur Reuters und Volontär bei der Süddeutschen Zeitung.
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1 Kommentar

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  • Frau Klöckner ist eben die würdige Nachfolgerin von Christian Schmitt, der kurz vor seinem Abgang noch Glyphosat in der EU zu weiterer Zulassung verhalf. Solange das Landwirtschaftsministerium über das Umweltministerium hinweggehen kann sind solche Taschenspielertricks zu befürchten.



    Ich lebe seit etwa 30 Jahren nahe am Main. In den ersten Jahren waren dort kaum Libellen zu sehen, jetzt werden es immer mehr und auch verschiedene Arten. Nach meiner Beobachtung liegt es daran, dass hier im Ort die vielen Gärten und Grundstücke, die privat genutzt werden, nicht mehr wie früher mit Pestizieden besprüht werden und es mehr kleine Biotope mit stehendem Wasser in diesen Gärten gibt. In den Feldern am Main entlang dagegen konnte ich das nicht beobachten.



    Barbara Keller