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■ NormalzeitMassenmedium Bauwagen

Bis 1990 waren die runddachigen Bauwagen in West-Berlin primär ein Objekt des produktionsabgewandten Straßenkampfs, in dem sie als brennende Barrikaden Verwendung fanden. Daneben zündete auch die eine oder andere „unpolitische“ Haßkappe gelegentlich nachts einen Bauwagen an. Als Massenmedium fungierten die West-Bauwagen jedoch nur mehr leer und nach Feierabend beziehungsweise an Feier- und Brückentagen.

Im Osten kannte nahezu jeder die spitzdachigen, fahlorangefarbenen Bauwagen vor allem als mobilen Sozial- und Frauenruheraum. Selbst LPG-Brigaden hatten „draußen“ ein Anrecht darauf. Mit der Wende und dem Bauboom vermischten sich zunächst Ost- und West-Bauwagen sowohl auf den Baustellen als auch bei den Rollheimern.

Seitdem haben sie als Massenmedium einen anderen Charakter angenommen: Zum einen greifen immer mal wieder Polizisten und Rechte die Rollheimer- Burgen an. Und neuerdings kippen arbeitslose Bauarbeiter auch auf Demonstrationen gern Bauwagen um – wobei es ihnen um den „Inhalt“ geht: um die darin verschanzten Kollegen nämlich.

Zum anderen dienen die Wände im Bauwagen selbst neben dem Bekleben mit Dutzenden, ja Hunderten von Pin-ups immer öfter zur Meinungsäußerung, wobei man Witze, Sprüche und Gedichte bevorzugt, die als Fotokopie der Kopie der Kopie verbreitet werden – und so zunehmend schwieriger zu entziffern sind. Hier meine vorläufige Ausbeute:

1. Aus dem Bauwagen einer Sanitärfirma in Adlershof: „Der Fuchs ist schlau und stellt sich dumm, beim Wessi ist es andersrum!“

2. Aus den Bauwagen der Montagstrupps von Elpro: „Es gibt drei Möglichkeiten, / einen Betrieb zugrunde zu richten: / Mit Weibern, das ist die schönste. / Mit Saufen, das ist die sicherste./ Durch einen Wessi, das ist die schnellste.“

3. Aus dem Bauwagen einer Köpenicker Ingenieurfirma: „Merkwürdig, wie wichtig deine / Tätigkeit ist, wenn du einen Tag / freinehmen willst, und wie / unwichtig sie wird, wenn du / über eine Gehaltserhöhung verhandelst.“

4. Aus dem Bauwagen einer Friedrichshainer Ingenieurfirma: „Ein Tag im Büro“ – dazu vierzehn Zeichnungen, mit denen die folgenden Tätigkeitsworte illustriert werden: „rinjerannt / rumjelofen / hinjehockt / einjepennt / uffjewacht / jejessen / hinjesetzt / weiterjepennt / uffjewacht worn / nischt jewußt / zusammenjeschissen worn / nischt draus jemacht / munter jeworn / zu Hause jejangen“.

5. Aus den Bauwagen einer Moabiter Elektrofirma: „Herr Asylbetrüger, na wie geht's? / Oh, ganz gut, bring Deutschen Aids. / Komm' direkt aus Übersee, / hab' Rauschgift mit, so weiß wie Schnee, / verteil' im Sommer wie im Winter / sehr viel davon an deutsche Kinder. / Muß nicht zur Arbeit, denn zum Glück / schafft deutsches Arschloch in Fabrik./ Hab' Kabelfernsehen, lieg' im Bett, / werd' langsam wieder dick und fett, / zahl' weder Miete, Strom noch Müllabfuhr, / das müssen dumme Deutsche nur! / Auch Zahnarzt, Krankenhaus komplett / zahlt jeden Monat deutscher Depp. / Wird deutscher Depp mal Pflegefall, / verkauft ihm Staat Haus, Hof und Stall. / Man nimmt ihm einfach alles weg, / schafft vierzig Jahr' umsonst, der Depp. / Wenn deutscher Dummkopf ist gestorben, / dann müssen Erben Geld besorgen. / Denn Deutscher muß bezahlen für Pflegeheim und Grab, / was als Asylbetrüger umsonst ich hab'. / Man sieht, daß Deutscher ein Idiot, / muß auch noch zahlen, wenn er tot. / Ich liebe Deutschland – wo noch auf der Welt / gibt's für Asylbetrug auch noch viel Geld? / Ist Deutschland pleite, fahr' ich heim / und sag': Leb wohl, du deutsches Schwein.“ Dieses Volksgedicht kursiert nach Auskunft einiger Journalisten bereits seit zwei Jahren in der Stadt, und eben auch in den Bauwagen. Aber erst jetzt haben die CDU- Politiker Schönbohm und Landowsky es im Zusammenhang mit der Kampagne „Schöner unsere hauptstädtischen Straßen und Plätze“ politisch verdichtet, der CDU-Fraktionsvorsitzende in seiner berühmt gewordenen „Ratten“-Rede, der Innensenator in seinen ausländerpolitischen Leitsätzen. Helmut Höge

wird fortgesetzt

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