Nordkoreanische Raketentests: Mittelstrecke als Vorspiel
Es ist nur eine Frage der Zeit, bis Kim Jong Un auch Langstreckenraketen zündet. Doch an einem Krieg haben weder Pjöngjang noch Washington Interesse.
D as Frustrierende an Nordkoreas jüngsten Waffentests ist nicht so sehr, dass das Kim-Regime seit einigen Wochen wieder so häufig zündelt wie seit Jahren nicht mehr. Denn viele der getesteten Raketen lassen sich getrost unter der Kategorie „leichte Provokation“ abbuchen. Was jedoch wirklich Anlass zur Sorge gibt, ist der Ausblick auf die Zukunft: Ohne Frage steht schon bald ein großer Paukenschlag aus Pjöngjang bevor – in Form einer Langstreckenrakete.
Der Test auch von Interkontinentalraketen ist nur eine Frage der Zeit, schließlich tastet sich Nordkorea bereits in kleinen Schritten an diese neue Eskalationsstufe heran. Sollte sich Machthaber Kim Jong Un besonders selbstbewusst fühlen, könnte er die Langstreckenrakete sogar während der Olympischen Spiele im benachbarten Peking hochgehen lassen. Aber das gilt zum Glück als unwahrscheinliches Szenario.
Nichtsdestotrotz sollte sich die internationale Staatengemeinschaft darauf einstellen, dass der nordkoreanische Atom-Konflikt wieder denselben Stellenwert einnimmt wie zu der Zeit, als der ehemalige US-Präsident Donald Trump frisch ins Amt gewählt wurde. Damals dominierte das kleine Land in Ostasien die Schlagzeilen. UN-Resolutionen verbieten Nordkorea die Erprobung von ballistischen Raketen, die auch einen nuklearen Sprengkopf tragen können. Vor drei Jahren scheiterten die Verhandlungen zwischen Washington und Pjöngjang über das Atomwaffenprogramm spektakulär und ruhen seither.
Zynisch betrachtet, schreit Nordkorea mit seinem militärischen Säbelrassen nur nach Aufmerksamkeit, um von der internationalen Staatengemeinschaft wirtschaftliche Konzessionen zu erpressen. Das mag die Patt-Situation auf den Punkt bringen, macht aber die Lage nicht minder gefährlich: Zwar wollen in letzter Konsequenz weder Pjöngjang noch Washington Krieg miteinander, doch in dieser hochgefährlichen Provokationsrochade kann jede Fehleinschätzung zur ungewollten Eskalation führen.
Das bestmögliche (und auch wahrscheinlichste) Szenario ist mittelfristig ein Festhalten am Status Quo: Nordkorea wird in sicheren Abständen sein Atomprogramm vorantreiben und der Westen wird die Wirtschaftssanktionen gegen das Land auf absehbare Zeit beibehalten.
Für große Teile der Welt mag diese Lösung akzeptabel erscheinen, doch für die meisten Nordkoreaner ist der Ist-Zustand zutiefst menschenunwürdig. Die ohnehin unter Mangelernährung und bitterer Armut leidende Bevölkerung Nordkoreas hat eine bessere Zukunft verdient; eine Zukunft, in der ihr Staatsoberhaupt nicht die raren Ressourcen des Landes in Form von phallischen Raketengeschossen in die Luft verpulvert.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind