piwik no script img

Nordkoreanische RaketentestsMittelstrecke als Vorspiel

Fabian Kretschmer
Kommentar von Fabian Kretschmer

Es ist nur eine Frage der Zeit, bis Kim Jong Un auch Langstreckenraketen zündet. Doch an einem Krieg haben weder Pjöngjang noch Washington Interesse.

Von Nordkorea veröffentlichtes Foto eines Raketentests am 11. Januar 2022 Foto: KCNA/reuters

D as Frustrierende an Nordkoreas jüngsten Waffentests ist nicht so sehr, dass das Kim-Regime seit einigen Wochen wieder so häufig zündelt wie seit Jahren nicht mehr. Denn viele der getesteten Raketen lassen sich getrost unter der Kategorie „leichte Provokation“ abbuchen. Was jedoch wirklich Anlass zur Sorge gibt, ist der Ausblick auf die Zukunft: Ohne Frage steht schon bald ein großer Paukenschlag aus Pjöngjang bevor – in Form einer Langstreckenrakete.

Der Test auch von Interkontinentalraketen ist nur eine Frage der Zeit, schließlich tastet sich Nordkorea bereits in kleinen Schritten an diese neue Eskalationsstufe heran. Sollte sich Machthaber Kim Jong Un besonders selbstbewusst fühlen, könnte er die Langstreckenrakete sogar während der Olympischen Spiele im benachbarten Peking hochgehen lassen. Aber das gilt zum Glück als unwahrscheinliches Szenario.

Nichtsdestotrotz sollte sich die internationale Staatengemeinschaft darauf einstellen, dass der nordkoreanische Atom-Konflikt wieder denselben Stellenwert einnimmt wie zu der Zeit, als der ehemalige US-Präsident Donald Trump frisch ins Amt gewählt wurde. Damals dominierte das kleine Land in Ostasien die Schlagzeilen. UN-Resolutionen verbieten Nordkorea die Erprobung von ballistischen Raketen, die auch einen nuklearen Sprengkopf tragen können. Vor drei Jahren scheiterten die Verhandlungen zwischen Washington und Pjöngjang über das Atomwaffenprogramm spektakulär und ruhen seither.

Zynisch betrachtet, schreit Nordkorea mit seinem militärischen Säbelrassen nur nach Aufmerksamkeit, um von der internationalen Staatengemeinschaft wirtschaftliche Konzessionen zu erpressen. Das mag die Patt-Situation auf den Punkt bringen, macht aber die Lage nicht minder gefährlich: Zwar wollen in letzter Konsequenz weder Pjöngjang noch Washington Krieg miteinander, doch in dieser hochgefährlichen Provokationsrochade kann jede Fehleinschätzung zur ungewollten Eskalation führen.

Das bestmögliche (und auch wahrscheinlichste) Szenario ist mittelfristig ein Festhalten am Status Quo: Nordkorea wird in sicheren Abständen sein Atomprogramm vorantreiben und der Westen wird die Wirtschaftssanktionen gegen das Land auf absehbare Zeit beibehalten.

Für große Teile der Welt mag diese Lösung akzeptabel erscheinen, doch für die meisten Nordkoreaner ist der Ist-Zustand zutiefst menschenunwürdig. Die ohnehin unter Mangelernährung und bitterer Armut leidende Bevölkerung Nordkoreas hat eine bessere Zukunft verdient; eine Zukunft, in der ihr Staatsoberhaupt nicht die raren Ressourcen des Landes in Form von phallischen Raketengeschossen in die Luft verpulvert.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Fabian Kretschmer
Korrespondent in Südkorea
Seit 2024 Korrespondent für die koreanische Halbinsel und China mit Sitz in Seoul. Berichtete zuvor fünf Jahre lang von Peking aus. Seit 2014 als freier Journalist in Ostasien tätig. 2015 folgte die erste Buchveröffentlichung "So etwas wie Glück" (erschienen im Rowohlt Verlag), das die Fluchtgeschichte der Nordkoreanerin Choi Yeong Ok nacherzählt. Betreibt nebenbei den Podcast "Beijing Briefing". Geboren in Berlin, Studium in Wien, Shanghai und Seoul.
Mehr zum Thema

1 Kommentar

 / 
  • Wie definiert man gut und böse?



    Wie definiert man, welches Land Mittelstreckenraketen haben darf und welches nicht?



    Wie definiert man, welches Land Atomwaffe haben darf und welches nicht?

    Aus Sicht des Westens sind Russland, China und Nordkorea die bösen, aus deren Sicht ist es umgekehrt.

    Wobei mir schon Angst und Bange wäre, käme Nordkorea zu Mittel- und Langstreckenraketen mit atomaren Sprengköpfen, der Kim ist von ganz besonderer gefährlicher Art.