Nordkoreanische Propaganda: „Dieser Film ist manipulierend“
Regisseur Slavko Martinov hat den ersten „Propumentary“ gedreht: Eine als nordkoreanischer Propagandafilm getarnte Kritik der westlichen Welt.
taz: Herr Martinov, warum dreht man einen fiktiven Propagandafilm?
Slavko Martinov: 2003 kam mir die Idee, einen Dokumentarfilm über Propaganda zu machen. Aber ich war Anfänger und ohne Chance auf eine Finanzierung. Darum dachte ich: Ich muss etwas machen, das noch niemand gemacht hat. So kam ich auf die fiktive Story eines zugespielten Propagandafilms, der die westliche Propaganda kritisiert und entlarvt. Das Ergebnis ist der erste „Propumentary“ der Welt.
Bitte was?
Propaganda- und Dokumentarfilm in einem – „Propumentary“.
Warum haben Sie diesen Film in Nordkorea beheimatet?
Auch wenn inzwischen Filme und Fernsehsendungen eingeschmuggelt werden und die Leute einen Hauch von der Außenwelt mitbekommen: Nordkorea ist immer noch der einzige Ort auf der Welt, der nicht der westlichen Populärkultur und dem Konsumdenken ausgesetzt ist. Dieses Land bietet uns eine anthropologische Einzigartigkeit: die Chance, uns selbst, unsere Kultur in einer objektiven Weise zu betrachten. Wir können das nicht.
Empfohlener externer Inhalt
Warum nicht?
Wir sind unsere Kultur. Es ist aufregend, unser Wertesystem mit den Augen der vermeintlichen anderen zu sehen.
Der Regisseur: Slavko Martinov, 42, ist Autor und Filmemacher und lebt in Christchurch/Neuseeland. Zuletzt drehte er „The Nip Tuck Trip“, eine Fernsehdokumentation über Identitätspolitik.
Der Film: Im Sommer 2012 veröffentlichte Slavko Martinov den vierteiligen Film „Propaganda“ auf YouTube. Darin taucht ein vermeintlicher nordkoreanischer Experte auf. Dargestellt wird er von einem Südkoreaner aus Christchurch, der nach der Veröffentlichung von der südkoreanischen Community und der katholischen Kirche für einen Spion aus dem Norden gehalten wurde.
Die Rezeption: Anfang April 2013 besprach Deniz Yücel im Text „Wir Linkskoreaner“ den Film auf taz.de. Zunächst hielt er selbst den Film für authentisch und kam erst bei der Recherche auf die Hintergründe. Er entschied sich dafür, den Film als echte Propaganda zu behandeln. Kernthese: Die Ansichten der Linken hier und Nordkoreas über die westliche Welt liegen nahe beieinander.
Aber in der westlichen Zivilisation ist Kritik nicht nur erlaubt, sondern Voraussetzung dafür, dass sich die Gesellschaft immer wieder erneuert hat. Noam Chomsky, der im Film zitiert wird, ist Professor an einer amerikanischen Eliteuniversität.
Das stimmt. Aber was ich versuche zu sagen, ist: Dieser Film ermöglicht die Kritik von einem Standpunkt aus, der unbeeinflusst ist von westlicher Populärkultur.
Im Mai 2012 haben Sie den ersten Teil des Films auf YouTube gepostet. Was geschah dann?
Wir hatten kein Geld für Werbung und fanden auch keine Zeitung, die sich dafür interessiert hätte. So waren wir auf die Dynamik des Internets angewiesen: Einer sah den Film, dann zwei, fünf, zwölf. Einer teilte den Film auf Facebook, dann noch einer – so ging der Film um die Welt. Inzwischen haben Freiwillige den Film in sechs Sprachen übersetzt, zuletzt ins Spanische.
Sie arbeiten neun Jahre an einem Film und stellen ihn dann auf gut Glück ins Internet?
Unsere Legende, die auch in der Beschreibung auf YouTube steht, lautete ja, dass Sabine, einer in Australien lebenden Halbkoreanerin, bei einem Besuch in Seoul die DVD in die Hände gelangte. Den Film ins YouTube zu stellen, war die einzige Option, um diese Story glaubhaft zu machen.
Was hat Sie so sicher gemacht, dass man das glauben würden?
Mir war klar: Wenn ich mich intensiv mit der Geschichte und Sprache Koreas beschäftige, würde ich etwas schaffen können, das die Leute für echt halten. Und ich wusste, dass es schwierig werden würde nachzuweisen, dass der Film nicht aus Nordkorea stammt. Aber um ehrlich zu sein: Nachdem wir den Film gepostet hatten, dachten wir: Es wird keine 24 Stunden dauern, bis jemand sagt: „Das ist nicht echt.“ Und das war’s dann.
Dennoch kann man im Netz die wahren Hintergründe finden.
Fünf Monate nachdem wir den Film auf YouTube gepostet hatten, haben wir „Propaganda“ beim Internationalen Dokumentarfilmfestival IDFA eingereicht. Erst dort haben wir die wahren Hintergründe aufgedeckt. Auf YouTube haben wir aber nichts getan. So blieb die Wahrheit nur einen Mausklick weit entfernt.
Wie kommt es denn, dass so viele Zuschauer den Film für echt halten?
Weil die meisten Menschen nur sehr wenig über Nordkorea wissen. Nicht einmal die Nordkorea-Experten wissen wirklich, was dort vor sich geht.
Könnte das nordkoreanische Regime den Film für seine Propaganda nutzen?
Wir haben mitbekommen, dass der Film auf einer nichtoffiziellen Website der Demokratischen Volksrepublik Korea veröffentlicht wurde. Allerdings ohne die Einführung…
…in der es heißt, Kim Jong Un wolle, dass die Menschen die Wahrheit über den Westen kennen.
Genau. Man könnte sagen, dass der Film für die Nordkoreaner perfekt als Propagandafilm funktioniert: Ein globales Publikum bekommt ihre Sicht der Dinge zu sehen, aber sie können wahrheitsgemäß sagen, sie hätten nichts damit zu tun. Aber ich glaube nicht, dass der Film einem nordkoreanischen Publikum vorgeführt werden könnte. Zu viel Information.
Das ist der einzige Grund?
Nein. Obwohl der Film den Westen kritisiert, zeigt er die Fülle von Nahrungsmitteln und die unbegrenzte Anzahl von Konsumgütern, die es dort gibt. Das wäre für das nordkoreanische Regime problematisch. Und der Film zeigt, dass Menschen aufbegehren können.
Wie weit entspricht denn die Darstellung des Irakkrieges oder des Nahostkonflikts der nordkoreanischen Propaganda, wie sie etwa von der Nachrichtenagentur KCNA verbreitet wird?
Ich habe lange Zeit KCNA untersucht, um mich mit den Ansichten und der Sprache vertraut zu machen. Aber der Ausgangspunkt sind meine Ansichten und Recherchen. Ich musste dann überprüfen, ob diese mit der nordkoreanischen Sicht übereinstimmen, und das Ganze in ein Skript bringen.
Das sind also Ihre eigenen Ansichten, die Sie in diesem Film vertreten?
Ich habe das Skript geschrieben und habe auch einige Passagen von anderen Autoren übernommen. Es gibt einige bewusste Provokationen. Und es gibt ein paar Fehler: Susannah, die über die koreanische Tonspur dem englischen Text gelesen hat, hat den Dezimalpunkt übersehen, so dass aus 3,8 Millionen Obdachlosen in den USA 38 Millionen wurden. Das ist eine verrückte Zahl. Aber ich habe es nicht korrigiert. Denn was bedeutet ein solcher Fehler in einem nordkoreanischen Film für ein nordkoreanisches Publikum? Daran musste ich mich beim Schreiben immer erinnern: Was würden die machen?
Ist das der Grund, warum Sie beispielsweise bei der Darstellung der Geschichte Israels nicht erwähnen, dass Israel bei seiner Gründung von den sozialistischen Staaten unterstützt und sofort von seinen arabischen Nachbarstaaten angegriffen wurde?“
Ja. In einem normalen Dokumentarfilm sollten Sie Widersprüche aufzeigen und so viele Details präsentieren, wie Sie nur können, sodass das Publikum abwägen kann. Aber in diesem „Propumentary“ musste ich mich daran erinnern, dass es nicht darauf ankam, ob es ausgewogen oder sinnvoll war. Dieser Film ist per Definition emotional manipulierend.
Viele, die „Propaganda“ für einen nordkoreanischen Film halten, sagen: Ich lehne das nordkoreanische Regime ab, aber die Kritik an der amerikanischen oder israelischen Regierung ist zutreffend. Oder die Kritik an der Konsumideologie ist richtig. Wie finden Sie solche Reaktionen?
Das ist großartig! Ich lese oft Kommentare wie: „Vergiss den Boten und achte auf die Botschaft!“ Das ist eine ideale Weise, an den Film heranzugehen.
Wie ist denn die Botschaft – in einem Satz?
Stell alles infrage!
Was denken Sie über Nordkorea?
Ich kann die geopolitische Weltsicht eines kleinen Landes nachvollziehen, das sich von Feinden umgeben und bedroht sieht. Aber ich verabscheue monarchistische Strukturen. So viel Kontrolle über andere Menschen, nur weil sie in die richtige Familie geboren wurden? Das macht mich krank.
Ist die westliche Welt der bessere Ort zum Leben?
Ich bin glücklich, dass ich in Neuseeland geboren wurde und ich in einer Gesellschaft lebe, die mich nicht verhungern lässt. Wenn ich sehe, wie Menschen in der Dritten Welt leben, denke ich: Ja, die westliche Welt ist der bessere Ort zum Leben. Aber sind wir glücklicher?
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Pistorius lässt Scholz den Vortritt
Der beschädigte Kandidat
Böllerverbot für Mensch und Tier
Verbände gegen KrachZischBumm
Haftbefehl gegen Netanjahu
Begründeter Verdacht für Kriegsverbrechen
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative