piwik no script img

Nordkorea öffnet sich dem Kapitalismus

Die Planwirtschaft steht vor dem Zusammenbruch, seit die Verträge mit der Sowjetunion gekündigt wurden und Peking sein Öl zu Weltmarktpreisen verkauft/ Südkoreanische Investoren werden hofiert/ Hoffnung auf eine Freihandelszone  ■ Von Hans Vriens

Die Regale in den Einkaufsläden von Pjöngjang sind leer. An Nahrungsmitteln ist im hermetisch von der Außenwelt abgeriegelten Nordkorea in diesen Tagen derart schwer heranzukommen, daß sogar ausländische Diplomaten auf Ration gesetzt werden mußten. Ausschließlich an Feiertagen wie den Geburtstagen des „Großen Führers“ Kim Il Sung und seines Sohnes Kim Jong Il sind die Auslagen der Geschäfte Pjönjangs prall gefüllt mit frischem Gemüse. Nur: Niemand kann es kaufen, denn sie liegen dort nur zur Dekoration.

Nordkoreas stalinistische Planwirtschaft steht kurz vor dem Zusammenbruch. Es war der Zerfall der kommunistischen Staaten Osteuropas im Spätherbst 1989, der auch für Nordkorea den Anfang vom Ende eingeläutet hat. Der erste Rückschlag kam mit der einseitigen Aufkündigung der bestehenden Tauschverträge durch die Sowjetunion; Moskau hatte Mitte 1990 beschlossen, Öl und Gas ab Januar 91 nur noch gegen harte Währung zu liefern. Die Folge war, daß Nordkorea seine Außenstände nicht länger mit Steinkohle und der „Lieferung“ Tausender Gastarbeiter nach Sibirien begleichen konnte.

Der nächste entscheidende Schlag für das Regime in Pjöngjang erfolgte im Oktober vergangenen Jahres. Anläßlich seines offiziellen Staatsbesuches in China, Nordkoreas treuestem Verbündeten, wurde Kim Il Sung unmißverständlich bedeutet, daß auch Peking ab Anfang 1992 für seine Öllieferungen Weltmarktpreise fordern würde. Das hatte Folgen: Seit einigen Wochen fahren in der Hauptstadt keine Busse mehr. Lediglich die Armee verfügt noch über ausreichend Kraftstoff — kein Wunder in einem Land, das 21 Prozent seines geschätzten Brutto-Inlandsprodukts für die Instandhaltung eines stehenden Heeres von über einer Million Mann und einer Luftwaffe von 700 Kampfflugzeugen bereitstellt.

Nachdem er Kim Il Sung diese traurige Mitteilung gemacht hatte, nahm Chinas KP-Chef Zhiang Zemin den nordkoreanischen Staatschef mit auf Reisen in den tiefen Süden der Volksrepublik. Während ihrer Tournee durch die „kapitalistische“ Provinz Guangdong überzeugte Zhiang Zemin den „Großen Führer“, daß allein der Kapitalismus sein sozialistisches Regime zu retten imstande sei. Er brauche sich nur das Beispiel Chinas vor Augen zu führen, das eine liberale Wirtschaftspolitik zugunsten ausländischer Investoren geschickt mit einem knallharten innenpolitischen Repressionskurs zu kombinieren versteht. Noch 1983, während eines China-Aufenthaltes Kim Jong Ils, des sogenannten „Geliebten Führers“, war ein solcher Vorschlag noch als „korrumpierend“ verworfen worden.

Doch neun Jahre später ist die Not so sehr gewachsen und nehmen Gerüchte über eine Hungersnot derart zu, daß Pjöngjang heute erstmals aggressiv versucht, japanische, taiwanesische und südkoreanische Investoren ins Land zu holen. Noch in diesen Monat soll in der nordöstlichen Provinz Hamgyong in der Nähe der Hafenstadt Rajin eine exklusive Wirtschaftszone für ausländische Unternehmen eingerichtet werden. Damit dürfte endgültig Schluß gemacht werden mit 47 Jahren Mißwirtschaft. Die Erfolgschancen dieser Politik der offenen Tür der Nordkoreaner sind um so größer, als unmittelbar jenseits der Grenze die sibirische Hafenstadt Wladiwostok seit Beginn dieses Monats erstmals seit über siebzig Jahren ihre Kais auch für Handelsschiffe öffnete.

Gleichzeitig verfolgt auch die Mandschurei (China), deren Territorium etwa 15 Kilometer vom Japanischen Meer entfernt beginnt, den ehrgeizigen Plan, diese sich auf drei Staaten erstreckende Region zu einer Freihandelszone zu machen. Durch das angespannte Verhältnis zwischen China und der Sowjetunion war die Grenze zwischen Sibirien und der Mandschurei für den Handel jahrzehntelang geschlossen geblieben. „Nach diesem Plan soll das Delta des Tumen-Flusses am Ende ein riesiges Warenumschlagsgebiet werden, in einer Größenordnung etwa von Rotterdam oder Hongkong“, erläuterte einer der Väter dieses Gedankens, der Chinese Ding Shicheng, gegenüber der 'Far Eastern Economic Review‘.

Inzwischen hat auch die Entwicklungsorganisation der Vereinten Nationen, UNDP, ein Auge auf das Gebiet am Tumen-Fluß geworfen. Die Drei-Länder-Region am japanischen Meer birgt nach Meinung von UNDP-Experten ein gewaltiges Potential in sich, denn das Hinterland hält immerhin ein ansehnliches Rohstoffangebot bereit: Öl, Kohle, landwirtschaftliche Nutzfläche, Mineralien, Holz und spottbillige Arbeitskräfte en masse. Genau jene Ressourcen also, an denen es den wohlhabenden Ländern der Nachbarschaft, Japan und Südkorea, mangelt.

Seit der Unterzeichnung des Nicht-Angriffs-Abkommens zwischen den beiden Koreas am 13.Dezember letzten Jahres ist die Entwicklung im von der Außenwelt fast gänzlich isolierten Nordkorea in eine Stromschnelle geraten. Südkoreas Industrielle geben sich in Pjöngjang neuerdings die Klinke in die Hand und sagen dem „Großen Führer“ eine phantastische Zukunft für sein Land voraus — wenn er ihnen als Investoren nur freie Hand gewähre. Und das, wo in Seoul auf einen Besuch in Nordkorea nach wie vor Gefängnis steht.

Als erstem Unternehmen des südkoreanischen Wirtschaftskonglomerats „Chaebol“ ist es vor einigen Wochen Samsung gelungen, in Pjöngjang ein Büro zu eröffnen. Diese Außenstelle wird sich unter anderem der Vermarktung nordkoreanischer Steinkohle auf dem Weltmarkt annehmen. Darüber hinaus möchte Samsung im Tumen-Delta Fabrikanlagen bauen. Konkurrent Hyundai will Nordkorea für Touristen aus Südkorea erschließen, die über 40 Jahre die Demarkationslinie nicht mehr überschritten haben.

Für die Industrie des südlichen Nachbarn kommt die Öffnung wie ein Geschenk des Himmels. Zu einem Zeitpunkt, wo sich der Chaebol zu Hause mit Arbeitskräftemangel, Arbeitskämpfen und Unruhen konfrontiert sieht, bietet die Annäherung zwischen Seoul und Pjöngjang einen geeigneten Ausweg. Ohnehin hat Chaebol gegenüber der japanischen und taiwanesischen Konkurrenz bereits Federn lassen müssen. Um dieser Tendenz entgegenzutreten, hatten schon im vergangenem Jahr vierzig südkoreanische Fabriken ihre Produktion auf die nahegelegene chinesische Halbinsel Shangdong ausgelagert. Und Peking freut sich über die Ansiedlung der investitionswilligen Südkoreaner — trotz der Tatsache, daß es keine diplomatischen Beziehungen mit Seoul unterhält.

Am meisten Aufsehen erregt hat aber der Nordkorea-Besuch des Industriellen und streng antikommunistischen Führers der „Einheitskirche“ Moon Sun Myung. Die Reise Moons, Anfang Dezember 91, schlug ein wie eine Bombe. Seit ihn der „Große Führer“ 1949 in den Kerker verbannte, war ihm das Regime von Pjöngjang verhaßt wie sonst nichts auf der Welt. Amerikanische Truppen hatten ihn erst Jahre später während einer Offensive im Korea- Krieg befreit. Wie hoffnungslos Pjöngjang selbst die derzeitige Lage einschätzt, stellte sich heraus, als man anläßlich seines Besuchs an Moons vaterländische Gefühle appellierte und ihn um eine Spende von mehreren Millionen Dollar bat. Aber der 72jährige Moon braucht seine Millionen viel zu dringend selbst, um sein wankendes Imperium im Süden auf den Beinen zu halten.

Die Öffnung ist in Gang gekommen, politische Zeichen sind gesetzt. Was noch fehlt, ist eine funktionierende Infrastruktur. Bevor die Investitionen im Tumen-Delta getätigt werden können, müssen erst mal umfassende Verbindungen hergestellt werden. Momentan gibt es noch nicht mal Telefon-, Post, Eisenbahn- oder Autoverkehr zwischen beiden Staaten. Wenn es nach Kim Woo Joong, dem Vorstandsvorsitzenden von Daewoo, geht, wird sich das aber in Kürze ändern: Noch in diesem Monat wird er nach Pjöngjang fliegen — im Gepäck einen komplett ausgearbeiteten Vorschlag zur Modernisierung des total veralteten Kommunikationsnetzes Nordkoreas.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen