■ Nordirland: Die Chance auf eine friedliche Lösung rückt näher: Die lange Rache der Gewalt
Es gibt in Großbritannien nur wenige, die in diesen Stunden und Tagen nicht dem endlichen Durchbruch zum Frieden in Nordirland mit Bangen und Zittern und Hoffnung entgegenfiebern. Und viele hierzulande auch. Aber jene wenigen haben noch Bomben und Waffen im Gepäck.
Der Frieden wäre angesichts all des blinden Hasses und der brutalen Gewalt, die sich überall ausbreiten, eine gute Nachricht. Und wir brauchen gute Nachrichten, weil sie ermutigen. Es macht Sinn, sich zivil-bürgerlich einzusetzen. Die Nachricht vom Frieden ermutigt die Bürgerbewegungen in Nordirland, Frauen vor allem, die sich seit Jahrzehnten verzweifelt gegen den sektiererischen Machtkampf der Männerbanden gewehrt haben. Aber es ermutigt auch politische Bewegungen und Initiativen in anderen Teilen der Welt – in Israel, Palästina, Bosnien, dem Baskenland, in Korsika und Algerien...
In Nordirland ist den Frauen, Männern, aber auch Kindern von der Basis zu verdanken, wenn diese Einigung zustande kommt, die ja nur ein Übergang wäre zu einem dauerhaften Frieden. Wie schwer es ist, Gift aus einem Körper auszuleiten, wissen nicht nur die Mediziner. Der psychische Schaden, der von diesen Machtkämpfen auf dem Rücken der kleinen Leute, die dann nolens volens zu mitschuldigen Komplizen werden, angerichtet wird, ist um ein Vielfaches größer als die Quantifizierung der Tragödie in Totenzahlen. Wer kümmert sich aber dann, im „Frieden“, um diese Opfer? Burundi interessiert nicht mehr, Bosnien scheint beruhigt. Vielleicht hat Nordirland da bessere Chancen für einen ernsthafte, langfristige Versöhnungsarbeit. Die politischen Klassen selbst haben auch diesen Konflikt immer nur für sich und ihren Machterhalt instrumentalisiert, ja, viele lebten sogar von der Giftmischerei. Jetzt endlich hat eine neue Regierung das getan, was eigentlich schon immer die Pflicht von Regierenden hätte sein müssen – das friedliche Zusammenleben der Bürger zu fördern.
Wenn es eine alt-neue Lektion gibt, dann ist es eine historische: Mit Gewalt war Irland vor mehr als 800 Jahren erobert worden, mit stummer Gewalt war es in den Jahrhunderten danach regiert und ausgebeutet worden. Mit offener Gewalt befreite sich 1919 die Republik von der ebenso offenen Gewalt der englischen Kolonialherren. Und beide erbten die wiederum und weiterhin gewalttätige IRA in Nordirland, die ihrerseits wieder die Gewalttätigkeit der verunsicherten Unionisten provozierte. Und so drehte sich die tödliche Spirale unaufhörlich weiter. Wer dieser Tage den bewegenden Film The Boxer gesehen hat, weiß, was das konkret heißt.
Es sind die Mittel, die über die Qualität und den Erfolg einer jeden Politik entscheiden. Und wenn es da ein Gesetz gibt, dann ist es dieses: Gewalt, kurzfristig manchmal effizient, ist immer letztlich kontraproduktiv. Sie frißt ihre Kinder.
Aber Gewalt kann besiegt, kann historisch überwunden und damit das Gesetz durchbrochen werden. Das ist keine Utopie, sondern eine am heutigen Tag vielleicht sich erfüllende Hoffnung. Ekkehart Krippendorff
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