■ Nordirland: Der Friedensprozeß ist in Gefahr geraten: Blairs doppeltes Spiel
Sollte der nordirische Friedensprozeß an der Abrüstung scheitern, dann muß Tony Blair einige unbequeme Fragen beantworten. Seit Karfreitag 1998 liegt ein internationales Abkommen auf dem Tisch, das in der Waffenfrage eindeutig ist. Die Unterzeichnenden „bekräftigen ihr Streben nach vollständiger Entwaffnung aller paramilitärischen Organisationen“, heißt es da. Und weiter: „Sie erklären ihre Absicht, konstruktiv und in ehrlicher Absicht mit der unabhängigen Abrüstungskommission zusammenzuarbeiten oder ihren Einfluß zu nutzen, um eine vollständige Abrüstung im Rahmen der Umsetzung des gesamten Abkommens bis Mai 2000 zu erreichen.“ Dies verpflichtet die IRA keineswegs dazu, vor Einsetzung der nordirischen Allparteienregierung ihre Waffen abgeben. Nur Sinn Féin muß die IRA dazu drängen – und auch das erst, wenn das gesamte Abkommen umgesetzt wird.
Daß es überhaupt zu den Interpretationsversuchen an diesem Paragraphen kam, ist Blairs Schuld. Die Tinte unter dem Abkommen war kaum trocken, da versicherte der Unionistenchef David Trimble in einem Brief, daß „unserer Meinung nach die Abrüstung sofort beginnen sollte“. Trimble hatte versucht, diesen Satz in das Abkommen aufzunehmen, war damit jedoch gescheitert. Nun hatte er es von Blair schriftlich. So ergriff er die Gelegenheit beim Schopf und versuchte es durch die Hintertür.
Blair (und auch der irische Premier Bertie Ahern) wollten Trimble damit Rückendeckung gegenüber den Hardlinern in seiner Partei geben – aber sie signalisierten den Unionisten damit, daß das Abkommen auch nach Unterzeichnung verhandelbar blieb. Warum sollte Trimble Blair und Ahern nun vom Haken lassen? Ihm geht es einzig um das nordirische Regionalparlament, wo die Unionisten die Mehrheit haben, auf das Abkommen selbst könnte er gerne verzichten.
Daß die IRA ihre Waffen derzeit nicht abgeben will, ist verständlich. 160 Angriffe mit Rohrbomben auf Katholiken und Vertreibung von Hunderten katholischer Familien aus protestantischen Vierteln, drei ermordete Kinder, eine ermordete Rechtsanwältin – all das geschah in den letzten 12 Monaten. Und die Liste ließe sich fortsetzen. Wer die Herausgabe der Waffen zur Vorbedingung für die Umsetzung des Friedensabkommens macht, riskiert die Rückkehr zu alten Zeiten. Für manche Unionisten waren es freilich gute, alte Zeiten, als man in Nordirland die uneingeschränkte Macht hatte. Ralf Sotscheck
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