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Norbert Röttgens AusstiegsstrategieDer Trickser

Schnell und wendig hat Norbert Röttgen den Atomausstieg zu seinem Thema gemacht. Die Strategie: als Sieger auftreten, auch wenn etwas schiefgegangen ist.

Norbert Röttgen: So sehen Sieger aus. Oder? Ist das ein säuerlicher Zug? Nicht zufrieden? Bild: dpa

BERLIN taz | Manchmal muss man die anderen nur machen lassen, um selbst als Sieger dazustehen. Und genauso arbeitet Norbert Röttgen an diesem Tag im großen Saal der Bundespressekonferenz in Berlin.

Der Umweltminister kneift hinter der dunkelbraunen Hornbrille vor Vergnügen die Augen zusammen und schaut vielsagend in die Runde, als sich seine Ministerkollegen Peter Ramsauer und Philipp Rösler vor den Journalisten kabbeln. Ramsauer behauptet gerade, er habe ja schon vor 15 Jahren über den Atomausstieg geredet. Das ist so absurd, dass Rösler, Chef der atomfreundlichen FDP, einen Witz reißt. Alles lacht. Röttgen lehnt sich lässig im Stuhl zurück.

Es ist ein historischer Tag: Die drei verkünden die Abschaltung aller deutschen Atomkraftwerke, die eine Hälfte sofort, die andere bis 2022. Die Katastrophe in Fukushima am 11. März ist an diesem Montag im Juni 2011 gerade mal drei Monate her. Das Ende der Atomkraft unter Schwarz-Gelb – mehr kann ein Umweltminister nicht erreichen. Röttgen würde gerne als Architekt dieses Ausstiegs gelten, er will das hier zu seinem Tag erklären.

Bild: taz
sonntaz

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Seine Kollegen machen es ihm leicht. Rösler ringt sich Lobhudeleien zum Ausstieg ab, Ramsauer schwafelt vom Gebäudesanierungsprogramm. Röttgen lässt sie hampeln. Trinkt einen Schluck Wasser. Lehnt sich vor. Und spielt ein paar Begriffe aus. „Meilenstein“, „Pionierprojekt“, „nationales Gemeinschaftswerk“. Er trifft den Ton, als Einziger in diesem Moment.

Wie ernst er das alles meint, daran gibt es allerdings Zweifel. Denn ein Dreivierteljahr zuvor, am 6. September 2010, hatte Röttgen schon einmal in der Bundespressekonferenz gesessen und versucht, wie ein Sieger auszusehen. Damals hatte die Regierung noch das Gegenteil beschlossen, nämlich die AKW-Laufzeiten im Schnitt um zwölf Jahre zu verlängern. Röttgen tönte: „Ich halte das für das energiepolitisch anspruchsvollste Programm, das es bisher gegeben hat, nicht nur in Deutschland.“

Ein säuerlicher Zug

Norbert Röttgen

Jobs: Bundesminister für Umwelt, Naturschutz, Reaktorsicherheit. Sitz im Bundestag. Chef der CDU in NRW, des mächtigsten Landesverbandes der Partei.

Hintergrund: 1965 geboren in Meckenheim, katholisch, Vater Postbeamter. Gymnasium, Dr. jur. Mit Anwältin verheiratet, zwei Söhne, eine Tochter.

Knick: 2006 Ankündigung, Hauptgeschäftsführer der Industrielobby BDI zu werden. Rückzieher, nachdem er für seinen Plan kritisiert wurde, zugleich im Bundestag zu bleiben.

Projekte: Erfolg, Schwarz-Grün, NRW-Ministerpräsident, Kanzler.

Nur selten verriet ein säuerlicher Zug in seinem Gesicht, dass er nicht zufrieden war, schließlich hatte er zuvor nur für vier Jahre Verlängerung plädiert. Zugeben würde Röttgen Niederlagen aber nie, das ist sein wichtigster Trick: Was er nicht verhindern kann, das wollte er schon immer so. Vielleicht liegt es daran, dass stets etwas unklar bleibt, was die wirklichen Überzeugungen des Norbert Röttgen sind.

Seiner Karriere hat dies bisher nicht geschadet. Röttgen ist schnell und wendig, ein guter Rhetoriker, der in der CDU eine steile Politikerkarriere hingelegt hat. Jurist, Chef der Jungen Union in Nordrhein-Westfalen, 1994 Abgeordneter im Bundestag in Bonn. Dort speiste er zu Kohls Zeiten regelmäßig mit Grünen, die Pizza-Connection.

Dann wurde er Merkelianer, die Kanzlerin förderte seinen Aufstieg. 2005 ließ sie ihn als Parlamentarischen Geschäftsführer die Fraktionsarbeit organisieren, viele hatten ihn da schon als Kanzleramtsminister gehandelt. 2009 machte sie ihn dann zum Umweltminister, mit gerade mal 43 Jahren. Nicht sein Lieblingsressort, Röttgen hatte sich zuvor vor allem als Rechts- und Wirtschaftspolitiker hervorgetan, aber warum sollte er über eine Beförderung mäkeln, einen Sieg.

Als erster Minister redet er vom schnelleren Ausstieg

In der Union beobachten viele diesen Aufstieg mit Neid: Ein Stratege, der – das sagen seine Gegner – Überzeugungen wechselt wie seine Brillengestelle.

Am 11. März, als es in Fukushima zur Katastrophe kommt, ist er in Bonn und besucht die dort ansässigen Referate des Umweltministeriums. Die Katastrophe trifft ihn wie alle anderen unvorbereitet. Am Abend gibt er eine eilig einberufene Pressekonferenz im Foyer: Für Deutschland bestehe keine Strahlengefahr, zitieren die Agenturen.

Am nächsten Tag tritt Röttgen auf dem Parteitag der CDU Nordrhein-Westfalens auf. Es ist ein verrückter Tag. Draußen vor der Siegerlandhalle schreien schon Demonstranten in Strahlenschutzanzügen, drinnen spricht der Spitzenkandidat des CDU-Landesverbandes zur Schulpolitik. Seine Hausmacht in NRW, die er zuvor in einem harten Kampf gegen zwei Konkurrenten errungen hat, ist für ihn zu der Zeit mindestens ebenso wichtig wie sein Amt als Umweltminister.

Doch Röttgen begreift den Moment schnell. Schon am Nachmittag spricht er darüber, dass sich die „Grundfrage der Beherrschbarkeit“ von Atomkraft neu stelle. Kurz darauf redet er in Interviews als erster Minister von einem schnelleren Ausstieg. Was ein Regierungssprecher da noch als „Meinungsäußerung“ abtut, wird kurz darauf Realität.

Netzanbindung für Offshore-Windparks

Röttgen hat erkannt, dass der Ausstieg für seine weitere Karriere ein Meilenstein werden kann. Denn damit ist ein wesentlicher Hinderungsgrund für Schwarz-Grün aus dem Weg geräumt. Und Röttgens Rolle als wichtigster Vertreter dieser Machtoption weiter gefestigt. Dass Röttgen sich für größere Aufgaben bereithält, wird immer wieder deutlich – er gilt in der Union als ein Kandidat für die Nachfolge Angela Merkels als Parteichef.

Seine Ambitionen zeigt er akzentuiert und geplant. So lieferte er sich im Herbst mit Arbeitsministerin Ursula von der Leyen, die ebenfalls mal Kanzlerin werden will, einen Wettstreit um die Rolle des Europa-Erklärers. Auch wenn offen ist, ob die Union nach Merkel wieder einen Erneuerer dulden würde: Röttgen kann mit 46 Jahren auf seine Chance warten.

Über solche langfristigen Überlegungen kann die Alltagsarbeit etwas aus dem Blick geraten. Denn so enthusiastisch der Umweltminister beim Verkünden der Energiewende war, so verhalten ging er die Umsetzung an. Viele Fachleute im grün geprägten Ministerium fühlen sich von Entscheidungsprozessen abgehängt. Wichtige Projekte wie die Netzanbindung für Offshore-Windparks oder die energetische Gebäudesanierung kommen nur schleppend voran. Schlagzeilen gemacht hat die Regierung in der Energiepolitik im letzten halben Jahr vor allem mit Streit.

Die Störmanöver des Gegenspielers von der FDP

Röttgens Gegenspieler ist der Wirtschaftsminister, der in der Pressekonferenz zum Atomausstieg neben ihm saß. Philipp Rösler mag ein Verlierer sein, seine Störmanöver bei der Energiewende können jedoch Schaden anrichten. Dass der überraschend schnelle Ausbau der Solarenergie dank Rösler nicht etwa als Erfolg, sondern als Problem wahrgenommen wird, dass er mit Einschnitten bekämpft werden soll, muss Röttgen ebenso hinnehmen wie die Tatsache, dass der Wirtschaftsminister verbindliche Effizienzziele für die Industrie verhindert.

Auch hier setzte Röttgen auf die bewährte Strategie, die Niederlage als Sieg zu verkaufen. „Ausgewogen und vernünftig“ sei der Kompromiss zur Solarenergie, sagt er Ende Februar, unbeeindruckt vom einmütigen Protest aus der Branche, den Gewerkschaften und der Umweltszene. Und selbst wenn die Mikrofone aus sind, kommt aus seinem Mund kein Wort des Zweifels am eigenen Erfolg.

Röttgen konzentriert sich lieber auf das nächste Großprojekt, das die Aussicht bietet, gleichzeitig Geschichte zu schreiben und die schwarz-grüne Annährung voranzubringen. Gemeinsam mit Baden-Württembergs Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann hat er sich vorgenommen, den jahrzehntelangen Streit über die Endlagerung von Atommüll zu beenden.

Ob das gelingt, ist noch offen, entscheidende Streitpunkte ungeklärt. Die Laune des Ministers ist dennoch blendend, als er im Anfang 2012 nach einer weiteren Verhandlungsrunde vor die Presse tritt, um die „großen Fortschritte“ und die „konstruktive Atmosphäre“ zu loben. Die grüne Wirtschaftsministerin von Rheinland-Pfalz, Eveline Lemke, Verhandlungsführerin der rot-grün regierten Länder, widerspricht nicht, sondern unterstützt Röttgens Aussagen mit freundlichen Worten und noch freundlicherem Lächeln.

Landesminister von FDP und CSU dürfen dabeistehen, aber nicht viel sagen, die SPD ist gar nicht vertreten. Die Botschaften an diesem Abend sind wieder einmal klar: Wenn Röttgen Regie führt, haben Schwarze und Grüne kein Problem. Und die Inhalte sind zweitrangig. Denn egal was am Ende rauskommt – es wird ja ohnehin das sein, was Röttgen von Anfang an erreichen wollte.

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3 Kommentare

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  • GL
    Guido Langenstück

    Wird Herr Röttgen in Anbetracht der momentan von ihm mitorganisierten drastischen Kürzung der Solarstrom-Förderung (EEG-Gesetz) von den Atomstrom-Konzernen RWE, e.on, Vattenfall und EnBW gesponsort? Der Verdacht drängt sich auf.

    Fazit: Das absolut falsche politische Signal von ihm, wo die erneuerbaren Energien ein gerade wachsendes Pflänzchen sind.

  • A
    aurorua

    Eben wie die meisten Parteibuchhampler opportun, bequem und rueckgratlos.

  • A
    axel

    "...den Atomausstieg zu seinem Thema gemacht. Die Strategie: als Sieger auftreten, auch wenn etwas schiefgegangen ist." - die taz meint und beschreibt doch die Grünen, mit ihrer Zustimmung zum verschobenen Atomaustieg (entgegen ihrer bisherigen Forderung Ausstieg sofort)?