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Noisepunk und InfernoDas Leben der Brians

Volle Kanne ungemütlich: Um Exzess und Experimente geht es beim Duo Lightning Bolt. Mit seinem neuen Album kommt es auch nach Berlin.

Brian Chippendale (x2), Brian Gibson (x2). Foto: Natalja Kent/Promo

Man muss sich das so vorstellen: In einem Kreis von wogenden, wippenden, pogenden Menschen sitzt eine Mumie hinter einem Schlagzeug. Jedenfalls sieht der Typ, der eine Stoffmaske über den Kopf gezogen hat, aus wie eine Mumie. Er prügelt auf sein Schlagzeug ein. Und er bellt dazu wie ein Terrier in ein Mikro, das er unter der Maske trägt.

Daneben steht ein unscheinbar wirkender junger Mann, blonde Haare, freundliches Gesicht, und gleitet über die Saiten seines E-Basses. Alle Pegel sind übersteuert. Es wummert im ganzen Raum. Es ist heiß.

Wer die Band Lightning Bolt einmal live erlebt hat, der mag ähnliche Bilder vor Augen haben - vielleicht auch die körperlichen Empfindungen, die ein Konzert dieser Band auslöst. Denn, da passt der Bandname – Blitzschlag - perfekt: Die Musik fühlt sich so an, als werde man selber unter Strom gesetzt.

Lightning Bolt, das ist ein Duo aus Providence in Rhode Island, das es durch seine Auftritte zumindest im Indie-Underground zu einem gewissen Ruhm gebracht hat. Ihre Musik wird gern als Noise oder Noisepunk bezeichnet; Brian Chippendale und Brian Gibson, die Mumie und der Unscheinbare, hören das nicht so gerne, weil der Begriff ihre Kunst nur ungenau wiedergibt. In erster Linie sind Lightning Bolt wohl eine große Performance-Band.

Mit jedem Album, so auch mit dem kürzlich erschienenen neuen Werk „Fantasy Empire“, versuchen Lightning Bolt, die Kraft des Live-Erlebnisses im Studio einzufangen. „Ich glaube nicht, dass man uns ganz versteht, wenn man uns noch nie auf der Bühne gesehen hat“, sagt Brian Gibson, der Bassist, während des Skype-Interviews. „Die Aufnahmen geben – selbst, wenn sie noch so krass sind - nicht vollumfänglich wieder, wer und was wir sind.“

Wer und was sie sind, das kann man nun sehen und hören, wenn sie für einige Konzerte nach Europa und für ein einziges nach Deutschland (Berlin) kommen. Die Story von Lightning Bolt ist deshalb bemerkenswert, weil sie inzwischen mit ihrem nervösen, unverdaulichen, übersteuerten Sound über Squats und Underground-Clubs hinaus bekannt geworden ist. Weil sie bis heute keiner bestimmten Szene zuzuordnen ist und es sich nie in Nischen gemütlich gemacht hat, wobei „gemütlich“ eine Assoziation ist, die sowieso unvereinbar mit dem Sein und Wirken dieser Band ist.

Vor allem aber weil sie, seit sie 1994 begonnen haben, etwas Eigenständiges geschaffen haben. Etwas, das es so noch nicht gab. Sie rühren die Genres durch den Mixer: Punk, Noise, Metal, Hardcore, Elektrogrind, Krautrock, Improvisation, Minimal - um nur einige Stile zu nennen.

Zwei Universalkünstler am Werk

Einflüsse aus Rock und Neuer Musik vereinen sich so, dank einer grenzenlosen Liebe zu Gitarren- und Gesangsverzerrern, mit digital anmutenden Klängen. Verwurzelt sehen sich Lightning Bolt im Punk: „Ich glaube schon, dass wir eine Punkband sind“, sagt Gibson, „das trifft es am ehesten. Es gibt natürlich viele Bedeutungen von Punk – ich würde ihn eher in dem Sinne verstehen, dass wir in keine Kategorie passen.“

Lightning Bolt, das ist auch die Geschichte der beiden Brians und damit die Story zweier Universalkünstler. Der eine, Brian Chippendale, ist nicht nur Schlagzeuger, hat nicht nur zwei Bands – neben Lighntning Bolt noch sein Solo-Projekt Black Pus -, sondern arbeitet auch Maler und gestaltet Comics. Zuletzt hat er zudem gemeinsam mit Greg Saunier von Deerhoof ein Album veröffentlicht.

Der andere, Brian Gibson, ist Designer von Videospielen. Und er hat noch „diese Band, in der ich mich als Hund verkleide. Wir tragen Tierkostüme an und flippen aus.“ Gibson meint die Gruppe Barkley‘s Barnyard Critters, die hierzulande bislang noch nicht zu sehen war.

Kennengelernt haben sich die beiden Brians Anfang der Neunziger auf der renommierten Rhode Island School of Design, die auch schon Musikerinnen wie Heather Nova oder David Byrne von den Talking Heads besucht haben.

1994 gründete sich Lightning Bolt als Trio, damals war noch der japanische Gitarrist Hisham Bharoocha mit dabei, der später bei der New Yorker Band Black Dice spielte. Eine „mindblowing experience“ nennt Gibson den Beginn dieser Kollaboration. Vom (japanischen) Noiserock waren sie in ihren Anfangstagen genauso beeinflusst wie vom Minimal Music-Pionier Philip Glass oder von Jazz-Erneuerer Sun Ra.

Mitte der neunziger Jahre gründete Chippendale mit einem Freund den USA-weit bekannten Veranstaltungsort „Fort Thunder“ in einer ehemaligen Lagerhalle in Providence. Er bildete sechs Jahre lang das Kraftzentrum einer Szene, die experimentelle Musik, randständige Kunst und Comic-Ästhetik zusammenbrachte.

Lightning Bolt traten zunächst nur live auf, ihr Debüt erschien 1999. Bis zuletzt veröffentlichten sie ihre Alben auf dem in Providence ansässigen Label Load Records. Erst jetzt, mit „Fantasy Empire“, hat man in Thrill Jockey ein renommiertes Indie-Label gefunden, das dafür bekannt ist, künstlerische Freiheit vor kommerzielle Interessen zu stellen.

Nix Mackertum

Einer größeren Öffentlichkeit, zumindest in den Staaten, wurde die Band erst mit dem Album „Wonderful Rainbow“ (2003) bekannt, das viele gute Kritiken bekam. Bis heute, sagt Gibson, hätten sie etwa tausend Konzerte gespielt. Die Physis des Alles-kann-passieren, erklärt Gibson, ist Vorraussetzung für die Atmosphäre auf der Bühne: „Wir waren lange Zeit regelrecht süchtig nach Konzerten und brauchten dem Exzess-Aspekt der Auftritte.“ Körperliche Erschöpfung treibt Lightning Bolt an. Im Gegensatz zur Metalszene hat der Sound von Lightning Bolt mit Maskulinität und Mackertum nichts zu tun.

„In unserem Songs stecken viele für die mittleren Neunziger in der Musik typischen Gefühle wie Energie, Intensität, Angst, Dunkelheit und Wut“, sagt Gibson. „Wir haben sie aber in etwas Positives umgewandelt, gehen spielerischer, positiver mit ihnen um.“ Ihre Kostümierungen, das unscheinbare Äußere der beiden, der Witz, den sie in den Vordergrund stellen: In „harten“ Musikgenres ist das meist nicht vermittelbar.

Auf „Fantasy Empire“ kommen Lightning Bolt dem nahe, was sie live auszeichnet. Ein Song wie „Horsepower“ weist dem Titel entsprechend ordentlich Pferdestärken auf, im Prinzip besteht er nur aus einem – unterschiedlich verzerrten - Gitarrenpart, auf dem Gibson endlos herumreitet. Bereits im nächsten Song, „King of my World“, entschwinden Chippendale und Gibson in Progrock-Parallelwelten.

Lightning Bolt live

2. Juli, Berghain/Panorama Bar, Berlin, zusammen mit Gabriel Saloman und Balzer/Hossbach

„Fantasy Empire“ ist, mehr als die Lightning Bolt-Alben zuvor, ein Trip durch die Rockgeschichte. Mal klingen die Bassläufe dabei mehr nach Metal, mal technoid, dann wieder doomig. Die Songstrukturen sind dabei besonders: Oft basieren Stücke nur auf einzeln angeschlagenen Tönen auf dem Bass. Dabei entsteht ein nuancenreiches Gewummer und Geballer, das begleitet wird vom Schlagzeugspiel Chippendales, der mit irrem Tempo auf Snare und Becken eindrischt.

Den Rest erledigen Verzerrer und Effektgeräte, indem sie Noise kreieren. Wer dabei aber nur Krach heraushört, hat Lightning Bolt nicht verstanden.

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