: Nix für die Fotzen vor den Glotzen
■ „Kanapee“, die neue ARD-Nachtclubsendung: Von der Anstrengung beim Hochkriegen
Also, heiß geworden ist mir schon bei diesem ersten öffentlich-rechtlichen Nachtclub im Dritten. Gleich am Anfang, als der sympathische Jörg Wontorra in seinem lila Glanztop konzentriert wie beim Mathe-Abi auf dem Barhocker saß und „Herr Dr. Kersten“ ihm allerüberall Geldstücke aus Haut und Haar fingerte. Bißchen Zauberschaum superlocker, aber ich hab nur gemerkt, wie der Prüfling Wontorra mit seiner Jungfernsendung, die erotisch und dennoch informativ, schlüpfrig aber mit Niveau sein soll, die Luft in seiner Röhre und das Blendaxmax-Superweißlächeln auf seinen Zahnperlen angehalten hat, alles vor lauter Lockerangst und habe feuchtheiße Händchen gekriegt. Eben auch wie beim Mathe-Abi. Da kann ich mich einfach nicht entspannen bei, wissense. Was aber fürs Schlüpfrige wichtig gewesen wäre.
Und dann erst, als dieser nette Kerl Wontorra im Gespräch von Mann zu Mann mit dem Hochsprung-Eros Carlo Trähnhardt verrät: „Wenn die Sendung einigermaßen gut gegangen ist, dann werde ich hinterher die Nacht zum Tage machen.“ Dieser Druck, mein Gott. Wer will da schuld gewesen sein, wenn hinterher die Nacht doch bloß ne Nacht war. Wer wird da jetzt ihm rückwirkend noch die Nacht zum Tag umschreiben wollen.
Deshalb: Was in dem neuen gehobenen Erotikgenre der ARD steckt und ob einem und gar einer aus den eigentlich vorgesehen Gründen dabei heiß werden kann, das läß sich erst ahnen, wenn der Prüfling Wontorra nicht mehr, - ohne Fleiß kein Preis - auch noch die letzte seiner Lockerheiten geplant und auswendig gelernt haben wird.
Ein paar kleine Zweifelchen habe ich auch noch für diesen göttlichen Fall. Der Nachtclub, das stilbildende Element der Sendung, ist nun mal eine männliche Kulturschöpfung. Wontorra fragt Hochsprung-Erossotti nach dem Konsum vor dem großen Sprung: „Können es auch mal 12, 13 (Bier, Anm. d. Red.) sein oder auch mal ne schöne Frau?“ Die gewöhnliche sportlich-männli
che Aufschneide ist einfach von grundsätzlich beschränktem Erfreungs-wert für die Fotzen vor den Glotzen. Und Saubermannskonzessionen machen die Sache nur schlimmer. Beispiel: Sprung-Erossotti findet die Brüste einer filmisch gezeigten Dame „gar nicht so doll“ und Wontorra: „Ich darf das nicht beurteilen, meine Frau sitzt im Publikum.“ Würg.
Überhaupt diese Angst, daß sie sie auch hoch kriegen, die Sendung, auf Niveau, dieser collegemäßige Hang, aus dem Nachtclub ein Nachtseminar mit intereressanten Themen wie „Sexualität im Sport“ oder „Sexualität in der DDR“ zu machen. Gut ich, weiß jetzt daß Hoch-Erossotti alles probiert hat vor dem Wettkampf und daß auch amerikanische Untersuchungen legitimieren, was er tut: „Bis sechs Stunden vorher darf man...“ Das ist ja immerhin 'n hard fact zum Mitnehmen. Genau wie die Auskunft des soziologischen Experten Prof. Habermehl über das „Sexualverhalten in der DDR„(O-Ton Dr. Wontorra). Das kennt nämlich nach der Grenzöffnung nicht mehr nur die „Position Deutsche Eiche„ (Dr. Wontorra) sondern: „Wenn man mal rüberfährt, da muß man sich nicht viel überlegen, das geht so ungefähr wie hier.“ Wirklich was zum Mitnehmen.
Ungefähr an dieser Stelle hatte ich mir vorgenommen, schon des oben beschriebenen Nacht-zum-Tag-mach-Drucks wegen - zum Positiven zu kommen. Dabei streife ich der Gerechtigkeit halber Herrn Dr. Kersten mit seinem Zauber aus der Flasche, die Stripperin aus der DDR, der die Kamera mit großer Dezenz und Entfernung auf die nackten Teile hielt, erwähne schon mit wachsendem Vergnügen Kim Wilde mit ihrem „Can't get enough“ in ihrer ungebürsteten Stramm-und Rundheit unter rosa Leibchen, die hatte was. Und kann endlich von dem in die Life-Sendung eingeblendeten Film erzählen. Wie er dem schönen schöne Jörg Wontorra, in den abgewrackten Wasch-Salon Vor dem Steintor folgt. In New York ist der Waschsalon ein In-Treff, wie ist das „hier bei uns in Bremen“? Und da setzt ihm Hundeblick, der kleine Essenholer für
die Huren der Helenenstraße auseianander, daß in diesem Waschsalon kein Ort ist für Leute mit Alkohol, und wie gut das ist, und der Tätowierte mit dem drallen body, daß er nur zum Geldholen gekommen ist und die Wäsche lieber bei seiner Mutti waschen läßt, da ist
es sauberer und billiger, und am allerschönsten Wontorra zu einer Wäscherin: Haben Sie Lust, sich ein bißchen mit mir zu unterhalten? - Nein. - Warum nicht? Und sie verträumt, beiläufig: Ich weiß auch nicht. Es lohnt sich nicht. That's life „hier bei uns in Bre
men“.
Uta Stolle
Eine interne Umfrage ergab: Die von Wontorra für „das Sexualverhalten von DDR-BürgerInnen“ grundsätzlich angenommene Position „Deutsche Eiche“ ist hierorts nicht bekannt. Wir bitten um Aufklärung.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen