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Niemand will die Privatflieger haben

■ Bis zu dreißig Hobby-Piloten und Businessmen fliegen nachmittags Berlin an/ Durch die Luft an die Geschäfte/ Foto-Termine über dem Brandenburger Tor/ Seit Oktober ist der Luftraum offen

Tempelhof. »417 Bravo an Tower: 417 Bravo über Nikolassee«. Werner Voss im Tempelhofer Tower sortiert die ihm angekündigten Flüge. Bravo 417 wird in etwa zehn Minuten einfliegen, und er muß die private Propellermaschine zwischen den Linienflügen »eintakten«. »An den Wochenenden ist es manchmal arg mit den Privaten, da kommen bis zu 30 an einem Nachmittag«, erzählt Voss. Normalerweise seien es etwa 25 Flieger am Tag. Da muß dann schon des öfteren eine Warteschleife gedreht werden und manches Mal wurden sie auch ganz weggeschickt. Diesmal hat der Pilot Glück. Die Leute vom Tower weisen ihn ohne Verzögerungen auf die linke Landebahn. Der »Follow me«, ein flughafeneigener VW-Bus, holt ihn dort ab und zeigt dem Flieger den »Parkplatz«.

Seit dem dritten Oktober ist der Luftraum über Berlin auch für Privatflieger offen. »An den ersten Tagen danach ist fast der gesamte Verkehr hier zusammengebrochen«, berichtet Henning Frank von der Berliner Flugsicherung. Seitdem kämen sie mit ihren Zwei- bis Zwanzig-Personen-Maschinen aus dem gesamten Bundesgebiet. »Besonders beliebt ist es, das Brandenburger Tor von oben zu photographieren«, weiß Franks Chef Detlef Steinberg. Die meisten aber nutzten die neuen Verbindungen zu geschäftlichen Zwecken.

»Mit dem Auto könnte ich meine Unternehmungen gar nicht alle tätigen«, sagt Norbert Friedländer. Der Filmproduzent arbeitet in seinem Metier schon seit 26 Jahren. »Aber weil man vom Film allein nicht leben kann, habe ich immer schon etwas anderes nebenher gemacht.« Nach dem 9. November gründete er verschiedene Firmen auf dem Gebiet der ehemaligen DDR: ein Unternehmen für Kommunikationstechnikverkauf, ein Analyselabor für Bodenuntersuchungen, eine Künstlervermittlung, eine Umweltschutzfirma und eine Theatergruppe. Für sein neuestes Projekt, die »Sachsen-Air«, die erste sächsische Fluglinie, fehlt ihm noch die Genehmigung der sächsischen Luftfahrtbehörde.

Auch Jürgen Pester fliegt durchschnittlich zweimal in der Woche zwischen Berlin und Kassel hin und her. Als Geschäftsführer einer Firma für Haustechnik, die sich mit der Planung und der technischen Ausrüstung vor allem für Industrie- und Klinikanlagen befaßt, führt ihn sein Weg darüberhinaus auch immer wieder in die neuen Länder. »Ich habe geschäftlich viel mit der ehemaligen DDR zu tun, wir haben Projekte in Magdeburg, Halle, Dresden und auch an der Küste«. Er fliegt bereits seit über 20 Jahren und nutzt seine Flugzeuge überwiegend für geschäftliche Zwecke. »Wenn Sie erst einmal ein Flugzeug haben, ist es billiger als Autofahren«, sagt er, schon allein die Zeitersparnis sei enorm.

Harald Scheufler, Ingenieur aus Frankfurt, hat seine Mutter besucht. Er stammt aus Berlin und hat als 20jähriger seinen Flugschein gemacht. »Wir sind damals jedes Wochenende nach Braunschweig gefahren, mit neun Leuten im VW-Bus, weil man in Berlin ja nicht fliegen durfte«, erinnert er sich. Vor einem dreiviertel Jahr hat er seine Heimatstadt zum ersten Mal von oben gesehen, »das war ein tolles Erlebnis«. Auch ihn führt meist der Beruf in die Stadt. Der Optik-Konzern in Wetzlar, für den er tätig ist, knüpft gerade geschäftliche Kontakte zur Akademie der Wissenschaften im Ostteil der Stadt.

Andere nutzen die neuen Verbindungen für Grundstücksspekulationen im Ostteil der Stadt oder händeln hier ihre Geschäfte mit der Treuhand. Der Chef des Berufspiloten Gerhard Kneissel, Inhaber eines Fleischgeschäftes, hat eigens drei Piloten für seinen Lear-Jet angeheuert, um von Berlin aus seine Betriebskäufe tätigen zu können. Er hat schon seit Jahren »mit dem Osten zu tun« und seit November sind sie ständig unterwegs. Kneissel, vorher bei den Singapur-airlines, schätzt seinen neuen Job vor allem wegen der flexibleren Arbeitszeiten, »meistens bin ich schon am Abend zurück«.

Die Berliner Flughafengesellschaft ist über den Andrang jedoch weniger begeistert. »Es ist ja ganz schön, wenn der Verkehr der Berliner Wirtschaft dient. Wir sind aber an sich nicht daran interessiert, daß die Anwohner der Flughäfen durch Privatflieger noch mehr belastet werden«, so Pressesprecher Wolf- Dieter Schultze. Die Flughäfen der Stadt seien ohnehin bereits überlastet. Daher habe man die Landegebühren auch schon beträchtlich heraufgesetzt. Auch die Anstalt für Flugsicherheit möchte nach den Worten von Leiter Steinberg »die Sportflieger eigentlich nicht haben bei der Menge Instrumentenverkehr, die wir bewältigen müssen«. Die Behörde, die für die Sicherheit im gesamten Berliner Luftraum zuständig ist, hat ebenfalls auch ohne Privatflieger mehr als genug zu tun. Privatflieger machen dabei allerdings noch weniger Schwierigkeiten als Fallschirmspringer oder Luftballonwolken, über die ebenfalls die Flugsicherheit zu befinden hat. Corinna Raupach

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