Niedrige Coronazahlen in Berlins Osten: Geteilt entlang der alten Mauer
Ganz Berlin ist längst Risikogebiet, die Infektionszahlen sind in den Ost-Bezirken aber viel niedriger als im Westen. Im Alltag trifft es alle gleich.
Woran liegt das? An der Altersstruktur kann es kaum liegen, sonst wären nicht im westlichen Rentnerbezirk Steglitz-Zehlendorf (52,9) im Verhältnis zur Einwohnerzahl mehr als doppelt so viele Menschen infiziert wie in Marzahn-Hellersdorf, dem Rentnerbezirk am anderen Stadtende. Auch die Wohnverhältnisse erklären das kaum, denn die sind in Steglitz-Zehlendorf weniger beengt als im Plattenbaubezirk im Osten. Auf der Facebookseite des Bezirksbürgermeisters von Treptow-Köpenick, Oliver Igel (SPD), wird darüber seit Dienstag debattiert. „Weil wir disziplinierter sind“, versucht jemand sich an einer Erklärung.
Waschen sich Ossis tatsächlich öfter die Hände und tragen sie öfter Mund-Nasen-Schutz? Andere Unser erklären das mit der Impfpflicht in der DDR und der geringeren Zahl der Impfgegner heute im Osten. Führen die Impfungen dazu, dass man auch gegenüber neuen Krankheiten etwas mehr Immunität hat?
Durch die Medien schwirren Erklärungen
Eine weitere Erklärung in den sozialen Medien: Es handelt sich nicht um ein Berlin-Spezifikum, sondern um ein Ost-West-Gefälle: Der Osten ist weniger industrialisiert, es werden weniger türkische Hochzeiten gefeiert und kaum Karneval, man präferiert andere Urlaubsländer. Und da die Ostberliner historisch bedingt eher familiäre Kontakte in die neuen Bundesländer haben, stecken sie sich weniger an.
Die drei Ostbezirke mit den wenigsten Infektionen sind allerdings auch die Bezirke mit der geringsten Arztdichte, in denen derzeit sogar Amtsärzte fehlen. Sind die geringen Zahlen darum vielleicht nur ein Meldefehler? Doch auch Neukölln hat zu wenig Ärzte. Der dortige Gesundheitsstadtrat Falko Liecke (CDU) erklärt das Ost-West-Gefälle in der B.Z. mit dem niedrigeren Migrantenanteil im Osten. Der Weisheit letzter Schluss erscheint das alles noch nicht.
Wäre Berlin weiterhin geteilt und nicht eine Stadt, dürfte ich als Lichtenbergerin im Spreewald und an der Ostseeküste übernachten. Allerdings könnte ich mit Mauer nicht über den Ku’damm laufen. Das wäre auch blöd. Und ich könnte nicht für diese Zeitung schreiben. Noch blöder.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Deutsche Konjunkturflaute
Schwarze Nullkommanull
Elon Musk greift Wikipedia an
Zu viel der Fakten
Grünen-Abgeordneter über seinen Rückzug
„Jede Lockerheit ist verloren, und das ist ein Problem“
Schäden durch Böller
Versicherer rechnen mit 1.000 Pkw-Bränden zum Jahreswechsel
Ende der scheinheiligen Zeit
Hilfe, es weihnachtete zu sehr