piwik no script img

NiederlandeFaszination Merkel

Die Stimme aus dem Ausland

von Juurd Eijsvoogel

Das Interesse an der deutschen Bundestagswahl ist in den Niederlanden so groß, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk (NOS) Sonntag das TV-Duell zwischen Angela Merkel und Martin Schulz auf seiner Website als Livestream zur Verfügung gestellt hat. Mit nur einer Minute Verspätung, für die Untertitel. Mit einer respektablen Anzahl von 12.000 Besuchern ist das gut angenommen worden. Viele haben direkt über die deutschen Sender geguckt, niederländische Zeitungen, Fernsehen und soziale Medien berichteten vorher und nachher ausführlich über die Debatte.

Dass die deutsche Politik auch in Holland so im Blickpunkt steht, hat weitgehend mit der großen Faszination der Niederländer für die Persönlichkeit Angela Merkels zu tun. Die Bundeskanzlerin ist längst Teil des politischen Kräftefelds in den Niederlanden. Nicht nur weil Deutschland unser großer Nachbarn ist und sie die mächtigste Frau Europas. Sondern weil sie seit der Flüchtlingskrise 2015 auch in den Niederlanden eine mächtige Symbolfigur geworden ist, über die man mit Leidenschaft diskutiert.

Im entscheidenden Moment hat sie Haltung gezeigt, und viele Niederländer bewundern sie dafür. Ein lautstarker Teil der Bevölkerung aber nimmt ihr das übel, ja hegt dafür sogar einen bitteren Hass gegen sie. An erster Stelle tut das der Anführer der zweitgrößte Partei im Parlament, die islamfeindliche PVV von Geert Wilders. Nach dem Terroranschlag am Breitscheidplatz in Dezember twitterte Wilders eine Fotomontage, die die Bundeskanzlerin mit blutbefleckten Händen und Gesicht zeigte.

Die große Mehrheit der Niederländer sieht in Angela Merkel aber vor allem eine starke, verlässliche Spielerin auf der internationalen Bühne. In Zeiten von Trump, Brexit, Putin, Erdoğan und vielen anderen Ungewissheiten ist man froh, wenigstens eine erfahrene und besonnene Bundeskanzlerin zu haben. Umso mehr, weil im eigenen Land, mit dreizehn Parteien im Parlament, die politische Stabilität nicht sehr groß ist. Laut einer Umfrage, die in Juni vom Pew Research Center publiziert worden ist, haben 89 Prozent der Niederländer Vertrauen darin, dass die Kanzlerin in weltpolitischen Fragen die richtigen Entscheidungen trifft. Nur in Schweden ist das Vertrauen in Angela Merkel genauso groß.

Weniger sieht man in den Niederlanden, dass die Politik Angela Merkels zum großen Teil pragmatisch ist und bestimmt wird von den Kräfteverhältnissen innerhalb der Koalition oder innerhalb Europas. Man darf hoffen, dass sie als wiedergewählte Kanzlerin endlich mit Frankreich und den südeuropäischen Ländern ein neues Abkommen vereinbaren wird, um Europa neu zu gründen, wie Präsident Macron es nennt. Aber leider hängt das weniger von Angela Merkel selbst ab als davon, wer ihre Koalitionspartner sein werden.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen