Niederlande gegen Italien: Ein Traum in Orange
Mit dem spektakulären 3:0 über den derangierten Weltmeister Italien avancieren ausgerechnet die Niederlande zum EM-Favoriten Nummer 1. Wie konnte es dazu kommen?
Im unerwartetsten Augenblick bringt die niederländische Nationalmannschaft die Fußballromantiker Europas wieder zum Träumen. Das 3:0 gegen Weltmeister Italien vom Montagabend kam zwar mehr als überraschend, aber umso passender nach dem tristen 0:0, das Franzosen und Rumänen zuvor in der Euro-Gruppe C abgeliefert hatten.
Van Nistelrooy, Sneijder und van Bronkhorst trafen für die Niederlande. Es war der erste Sieg über Italien seit der WM 1978. Und für den Weltmeister sicher die härteste Turnier-Niederlage seit Adam und Eva. In Italien wird man die nächsten Tage beschäftigt sein, sich gebührend zu erregen.
Bei Ansicht des Vizeweltmeisters Frankreich im Spiel davor war deutlich geworden, dass es sich eben nicht um eine sogenannte "Todesgruppe" handelt, wenn Weltmeister und Vize drin sind, sondern um eine Gruppe der Besitzstandswahrer. Besitzstand zu wahren haben die Niederländer aber nicht mehr, weil sie seit 20 Jahren nichts gewonnen haben.
Bondscoach Marco van Bastens Konsequenz aus den langen Jahren des leidenschaftlichen, aber nicht erfolgreichen 4-3-3, ist ein neuer Kontrollfußball. Vorne agiert nur noch Ruud van Nistelrooy. Die festen Flügel sind abgeschafft. Klingt nicht gut. Aber genau damit, mit einem 4-2-3-1 und den daraus resultierenden Hochgeschwindigkeitskontern spielten die Niederländer die Italiener (4-3-2-1) in der ersten Hälfte an die Wand. Die Italiener. Mit Kontern! Das muss man sich mal vorstellen.
Das 2:0 des brillanten Mittelfeldspielers Wesley Sneijder (31.) fiel nach einem Gegenangriff, wie ihn die Italiener wohl selten zulassen mussten. Van Bronckhorst über links, Flankenwechsel zu Kuit nach rechts, Kopfball in die Mitte, Sneijder schießt volley an Buffon vorbei ins kurze Eck, Tor.
Den Führungstreffer hatte Sneijders Real-Madrid-Arbeitskollege van Nistelrooy erzielt (26.). Er war zwar allein vor Buffon angespielt wurde. Doch worin auch Experten nicht regelkundig waren: Der hinter der Auslinie liegende Panucci hob das Abseits auf.
Auch Ruud Van Nistelrooy (Real Madrid) ist einer jener großen europäischen Spieler des letzten Jahrzehnts, der noch immer auf den großen Erfolg im Nationalteam wartet. Den Italienern ersparte er eine Demütigung, weil er zum einen mit einer Großchance an Buffon scheiterte (43.), zum anderen von Buffon klar ausgehebelt wurde (18.), aber weiterstolperte, statt den ansonsten unvermeidlichen Strafstoß einzukassieren. Fairness - oder Dummheit? Das muss der Trainer entscheiden.
Die Niederländer lieferten jedenfalls eine erste Halbzeit, in der sie die Italiener kontrollierten, laufen ließen, nach hinten drängten, ganz alt aussehen ließen.
Ergebnis: 3:0 (2:0)
Niederlande: van der Sar - Ooijer, Boulahrouz (77. Heitinga), Mathijsen, van Bronckhorst - de Jong, Engelaar - Kuyt (80. Afellay), van der Vaart, Sneijder - van Nistelrooy (70. van Persie)
Italien: Buffon - Panucci, Barzagli, Materazzi (54. Grosso), Zambrotta - Gattuso, Pirlo, Ambrosini - Camoranesi (75. Cassano), Toni, Di Natale (64. Del Piero)
Schiedsrichter: Fröjdfeldt (Schweden)
Zuschauer: 30.777
Tore: 1:0 van Nistelrooy (26.), 2:0 Sneijder (31.), 3:0 van Bronckhorst (79.)
Gelbe Karten: de Jong / Gattuso, Zambrotta, Toni
Beste Spieler: Kuyt, Sneijder, van Nistelrooy / Buffon, Pirlo
Es ist - man kann es bereits jetzt sagen - eine Halbzeit, an der alles weitere gemessen werden wird, was dieses an Champions League-Ansprüchen gemessen nicht gerade berauschende Turnier zu bieten haben wird.
Was die Italiener betrifft, so war es einfach nicht ihr Spiel. Luca Toni, der Keilstürmer, mag dafür pars pro toto stehen. Nur einmal war seine alberne Ohrtorgeste nahe, als er beim späten italienischen Versuch, das Spiel zu drehen, allein vor Van der Saar seine Chance hatte - und vergab (75.).
Fabio Grosso vergab unmittelbar darauf, und dann hielt Van der Saar einen Freistoß von Pirlo, und dann machte Van Bronckhorst nach einem weiteren lethalen Konter das 3:0 (79.). "Wir waren ziemlich naiv", sagte Trainer Roberto Donadoni. Das Schöne an der Sache aber sei, dass man nun "nur drei Punkte gegen Rumänien" brauche.
So oder so wird das dritte Vorrundenspiel zwischen Weltmeister Italien und Vizeweltmeister Frankreich für diesmal vermutlich ein Auscheidungsspiel sein, nach dem zumindest ein Besitzstandsteam nach Hause fährt - und danach einen Neuaufbau angehen muss.
Derzeit hat man das Gefühl, dass ein solcher Neuaufbau beiden Teams nicht schaden könnte. Was die Niederlande anbelangt: Sie sind jetzt für viele und zu diesem Zeitpunkt zu recht Titelfavorit Nummer 1. Nummer 2 ist in dieser Sekunde Deutschland. Es wäre ein Finale, auf das es sich hinzuleben lohnte.
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