: Niedergetrommelt!
Wenig „Abschlußsituationen“ beim 1:1 zwischen Leverkusen und Borussia Dortmund ■ Aus Leverkusen Christoph Biermann
Schwer lagen die Ausdünstungen des sich müde dahinschleppenden Rheins über der Stadt. Erbarmungslos brannte die Sonne auf das Stadion herunter, und nur selten schoben sich graue Wolken schützend davor. Matt suchten sich die Besucher in der Schwüle des Nachmittags etwas frische Luft zuzufächeln, und doch traten immer neue Schweißtropfen auf die Stirn. Und diese Trommeln! Unaufhörlich begleiteten sie das Spiel im Rhythmus der Samba, bis nur noch Leere in den Köpfen war. Die einfache Idee, eine kleine flankierende Marketing-Maßnahme, hatte sich in ihr Gegenteil verwandelt.
Die „Terra-Brazils“, das Samba-Orchester der Berliner UFA- Fabrik, sollte den brasilianischen Nachmittag im Ulrich-Haberland- Stadion trommelnd begleiten. Immerhin hat Bayer Leverkusen neben Paulo Sergio inzwischen zwei weitere brasilianische Spieler unter Vertrag, Rodrigo und Ramon von Vitoria Bahia. Der Gegner aus Dortmund brachte Julio Cesar mit. Und weil Südamerika weit weg ist, wurde auch Ruben Sosa, der Mann aus Uruguay, den Borussia vor einer Woche von Inter Mailand kaufte, noch der Sambaschule zugeordnet.
Doch schon vor dem Spiel hatten die Zuschauer etwas ratlos versucht, den Vorgaben der Trommeln nachzueifern. Und hatten es nur zu einem Klatschmarsch gebracht. Ähnlich ging es dann den Spielern. Die fünf Minuten nach dem Anpfiff waren die besten des Spiels. Beide Mannschaften hatten zwei gute Torchancen und zeigten schwungvolle Kombinationen auf dem Weg dahin. Danach war das Spiel auch schon festgefahren. Wenn Paulo Sergio und Stefan Reuter sich nicht ständig aufgeregte Duelle voller gegenseitiger Unterstellungen der Unfairneß geliefert hätten, wäre die bleierne Langeweile schon früher übermächtig geworden. Überhaupt war es der Tag der herausgeschundenen Freistöße und abgebrühten Nickeligkeiten, die gut zur Einfallslosigkeit auf hohem Niveau paßten. Böse oder hinterhältig war das nicht, eher der Versuch gegenseitiger Zermürbung.
Waren die Trommeln schuld? Sorgten sie dafür, daß die angreifenden Spieler kaum noch einen klaren Gedanken fassen konnten, den die verteidigenden nicht vorausahnten? Wohlgeratene Abwehrarbeit konzedierten sich die Trainer nach dem Spiel gegenseitig, aber eher schien es so, daß alle Ideen aus den Köpfen getrommelt wären. Denn fast alle ergaben sich ins lethargisch Sommerfußballhafte. Außer Rudi Völler. Gänzlich unbeeindruckt vom fragwürdig interpretierten südamerikanischen Konzept des Nachmittags wühlte er sich durchs Spiel und zeichnete fürs 1:0 in der 57. Minute ganz allein verantwortlich, als er an der Strafraumlinie entlanglief, drei Dortmunder hinter sich ließ und ins untere linke Eck schoß.
Von da an hätten die Trommeln eigentlich einen tranceartig offenen Schlagabtausch orchestrieren können, aber Schiedsrichter Fröhlich machte nicht mit. Als würde ihm zuviel Drama des Spiels unangemessen erscheinen, verhängte er keine zehn Minuten nach der Führung einen Elfmeter gegen Leverkusen. Der Borussen-Tscheche Patrick Berger war von Lupescu zwar nicht berührt worden, hatte sich wundersamerweise aber beim vermeintlichen Foul gar verletzt. Andreas Möller verwandelte zum Ausgleich, und fortan unternahmen die Dortmunder zumindest eine etwas entschlossenere Vorwärtsverteidigung.
Doch ihre Versuche, „in Abschlußsituationen zu kommen“, wie Trainer Ottmar Hitzfeld hernach fachsprachlich anmerkte, blieben weiterhin ebensolche, nur Reuter knallte zweimal schwungvoll aus der Ferne gen Tor. Die Häme der einheimischen Fans, die mal „Ihr wollt deutscher Meister sein“, mal „Was wollt ihr in der Champions League“ sangen, war mit Blick aufs Endergebnis unberechtigt, angesichts der Spielweise Borussias nicht ganz von der Hand zu weisen. Doch nicht jede Woche wird auf den Nerven des Meisters herumgetrommelt werden, bald schon wird vielleicht auch die Offensivformation der Herrlich, Sosa, Möller und Berger besser eingespielt sein. Am Samstag jedenfalls war es gut, daß das Spiel nach genau neunzig Minuten vorbei war. Die Trommeln schwiegen. Die Zuschauer standen auf, wischten sich noch einmal den Schweiß ab und gingen nach Hause.
Borussia Dortmund: Klos - Cesar - Kohler, Schmidt - Reuter, Freund, Möller, Berger (66. Tretschock), Reinhardt (88. Kree) - Herrlich, Sosa (86. Ricken)
Zuschauer: 25.500; Tore: 1:0 Völler (57.), 1:1 Möller (65./Foulelfmeter)
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