Niedergang eines Pferdesports: Nur wenige noch auf Trab
In Mönchengladbach kämpfen Ehrenamtliche beharrlich um die Zukunft der ältesten Trabrennbahn in Deutschland. Eine ganze Branche ist bedroht.
An solchen Tagen rührt sich immer noch was. Der feine Regen bleibt für Mensch und Tier halbwegs erträglich, als an einem Sonntag im November auf der Mönchengladbacher Trabrennbahn acht Rennen steigen. Jedes bietet Aufregung und Wettmöglichkeiten, 12.000 Euro Auszahlung sind garantiert.
Dabei kommt es in Lauf 7, dem Großen Preis des Rheinischen Karnevals, zu einer Überraschung: Nicht „Omia Boszorg“, die formstarke Stute aus den Niederlanden, sondern der fünfjährige Wallach „MacMcManaman“, pilotiert von Marcel Matten, liegt nach 2.100 Metern knapp vorn. Auf dem zweiten Platz die Favoritin, auf dem dritten „Wettstar for Children“. So lautet der Zieleinlauf in Startnummern: 6 – 1 – 8.
Ganz genau ist das für die Zaungäste an der Bahn allerdings nicht zu verstehen, denn aus den Lautsprechern kommt indifferentes Krächzen. Da müsste mal nachgebessert werden. Aber das gilt ebenso für einen Teil der Tribünen, den angrenzenden Pavillon oder das Casino im dritten Stock, wo sich an diesem Sonntag Ehrengäste aus Karnevalsgarden in vollem Ornat auf Brühwurst und Streuselkuchen stürzen. Nicht zu reden von manchen Treppen, die vorsorglich gesperrt sind. Das Angejährte ist in diesen Kulissen allgegenwärtig. Aber dass sie zu weitläufig wirken, war nicht immer so. „Es gab Zeiten, da hatten wir knapp 10.000 Leute an der Bahn“, betont Elmar Eßer. „Die haben sich auf den Rängen nur so geknubbelt.“
Der 70-jährige Mann mit dem silbernen Schnäuzer weiß aber, dass so schnell nichts besser wird. Als Vorsitzender der Trägergesellschaft, dem „Verein zur Förderung des rheinischen Trabrennsports e. V.“, bleibt ihm kaum mehr als Notstands-Management. Eßer sorgt seit fünf Jahren ehrenamtlich dafür, dass an der ältesten Bahn in Deutschland (seit 1892) weiter Trabrenntage steigen. Nicht mehr drei-, viermal die Woche wie vor Jahrzehnten, doch etwa einmal im Monat.
Mangelnde Perspektive
Über die finanziellen Mittel, um die Anlagen zu erneuern, verfügt sein Verein indes nicht. Außerdem mangelt es an Perspektive: Der Pachtvertrag mit der Stadt Mönchengladbach wird seit Längerem nur um jeweils ein Jahr verlängert. Das ist „zu wenig Luft, um zu leben, aber zu viel, um zu sterben“.
Und es könnte noch schlimmer kommen. Neulich rief eine Angestellte der Stadt Mönchengladbach bei Eßer an; Sie informierte ihn kurz und bündig darüber, dass der nächste Pachtvertrag nur noch bis Mitte kommenden Jahres befristet werde. Danach wolle man über das Gelände am regionalen Flughafen selbst verfügen.
Das will der gelernte Prokurist, der viele Jahre die Großevents in der ehemaligen Textilstadt betreut hat, nicht ohne Weiteres hinnehmen. Zumal er und seine Mitarbeitenden das nächste Rennjahr durchgeplant haben. So hängen bei den Wettschaltern bereits Merkzettel mit 13 Terminen, von Januar bis Dezember 2026.
„Wenn wir irgendwann mal schließen müssen, dann isset halt so“, sagt Eßer in niederrheinischem Idiom. „Aber vorher möchte ich ein persönliches Gespräch mit den Entscheidern führen. Sonst ist das für mich keine Kommunikation.“
„Potenzialfläche“ für neue Arbeitsplätze
Damit sind in erster Linie der junge Oberbürgermeister Felix Heinrichs (SPD) und die städtische Entwicklungsgesellschaft EWMG gemeint. Beide liebäugeln schon länger damit, einen Teil des Geländes für ein Großprojekt zu nutzen: Wo jetzt Pferdehufe über die Bahn trommeln, sollen bald Niederlassungen für innovative Unternehmen mit Anbindung an den Flughafen entstehen. Auf diese Weise könnten auf der sogenannten „Potenzialfläche“ bis zu 1.000 neue Arbeitsplätze geschaffen werden. Und das in einer Stadt, die wirtschaftlich nicht gerade floriert.
Das wäre ein Stück Zukunft anstelle eines Pferdesports mit rückläufiger Tendenz. Nicht von ungefähr sind in Dinslaken wie in Recklinghausen vor einigen Jahren altehrwürdige Trabrennbahnen zugunsten neuer, grüner Wohnviertel planiert worden. Und nicht von ungefähr haben in diesen Tagen gerade noch 82 Männer und Frauen die Profi-Lizenz des Hauptverbands für Traberzucht (HVT) in Berlin. Dazu kommen 131 Amateur:Innen sowie sechs Auszubildende zum „Pferdewirt/-in Trabrennen“, wie das Berufsbild offiziell heißt. Das ist im Vergleich mit Frankreich und Schweden, Belgien und den Niederlanden eher mickrig.
Nur steht noch nicht genau fest, wann und wie das Großprojekt im Nordosten von Mönchengladbach umgesetzt werden kann – oder zu welchen Kosten. Neuere Untersuchungen weisen auf einen extrem hohen Wasserstand des Geländes am Fluss Niers hin. Das erforderte aufwendige Maßnahmen zum Hochwasserschutz sowie zur Niederschlagsentwässerung – zuletzt war von 30 Millionen Euro die Rede. Diese Kosten kann die Stadt nur mit Mitteln aus zwei Förderprogrammen des Bundes bzw. des Landes NRW stemmen, für die sie sich beworben hat. Eines davon („Go4Gewerbe“) soll auch die nötigen Gutachten und Vorarbeiten finanzieren.
Ist es demnach vorschnell, wenn die Stadt ihre Pächter alsbald vom Gelände vertreiben will? Oder ergibt das aus Sicht der Planer Sinn? Darum geht es in erster Linie, wenn Vereins- und Stadtspitzen in diesen Tagen die Köpfe zusammenstecken. Dabei steht Elmar Eßers Verhandlungsziel fest. Er möchte sicherstellen, dass auf der Bahn auch in der zweiten Hälfte des nächsten Jahres noch Trabrennen stattfinden. Über den Sommer kämen schließlich die meisten Besucher, namentlich beim Großen Preis der Stadt Mönchengladbach im Juli, und etwaige Probebohrungen auf dem Gelände würden „bestimmt nicht am Wochenende“ durchgeführt.
Ruhmreiche Vergangenheit
Mittelfristig hat die Trabrennbahn aber nur geringe Überlebenschancen. Der Rennbetrieb ist seit Jahren immer nur um ein Jahr verlängert worden, das ist eher eine Galgenfrist als eine Zukunft. Und ohne neue Investitionen ist die Anlage dem allmählichen Verfall preisgegeben. An finanzielle Mittel vom Sportamt der Stadt käme der Trägerverein jedoch nur, wenn er eine längere Perspektive nachweisen könnte – und damit schließt sich der Kreis. Obendrein sind die Nebenkosten für den Betrieb der Anlagen inzwischen rapide gestiegen. „Wir eiern hier rum und halten uns irgendwie über Wasser“, sagt Eßer frustriert.
Was da buchstäblich auf der Strecke bleiben könnte, ist auf akkurat gerahmten Schwarz-Weiß-Fotos im Verwaltungstrakt zu sehen. Sie verweisen auf Zeiten, als ein bunt gemischtes Publikum die Tribünen flutete. Landesminister und Prominente, Gladbacher Fußballer und feine Damen mit ausladenden Hüten scharwenzeln im Sonntagsstaat umeinander. Die wahren Helden sind jedoch die „Männer im Sulky“ mit dem Sand (oder Schlamm) im Gesicht. Sie heißen Rolf Dautzenberg und „Hänschen“ Frömming, Heinz Wewering oder Roland Hülskath und können sich vor Blumen und Siegerkränzen kaum retten.
Doch an die Tempi passati erinnern sich allenfalls Nostalgiker jenseits der fünfzig. Jüngere Semester zocken lieber im Internet, heißt es, als sich für ein paar Stunden an die Rennbahn zu stellen. Außerdem halten Kampagnen von Tierschutzorganisationen gegen jede Form von Galopp- und Trabrennsport wohl manchen Pferdefan vom Besuch ab.
So macht das abschätzige Wort von den Rentnertreffen an deutschen Bahnen die Runde – obwohl das Gesamtbild längst nicht so einheitlich ausfällt. Da ist weiter die „merkwürdige Legierung aus Interessenten beiderlei Geschlechts und einer wenig mondänen Menge in betonten Festtagskleidern“ zu spüren, die der Soziologe Siegfried Kracauer vor fast hundert Jahren in Berlin-Mariendorf konstatierte.
Bedrohlich für die ganze Branche
Wäre der Abwärtstrend aufzuhalten gewesen? In Mönchengladbach hat man es halbwegs versucht. Gleich nach der Insolvenz des alten Rennvereins (Herbst 2005) trat ein neuer auf den Plan. Der verlegte die Renntage vom Dienstag aufs Wochenende und machte jungen Familien mit dem „Kids auf Trab“-Programm ein Betreuungsangebot. Außerdem fuhren der Vorstand und erfolgreiche Fahrer aus der Region beim traditionellen Veilchendienstagszug auf einem eigenen Wagen mit. Die Charmeoffensiven trugen der Rennbahn dennoch kaum neue Besucher zu. Es war einfach nicht mehr ihr Jahrtausend.
Der endgültige Abriss träfe nicht nur Freunde der Dreier- und Viererwette, sondern mittelbar die gesamte Traberbranche. Zuchtbetriebe und Rennställe, Trainer und Fahrer brauchen die Bahnen, um immer neue Generationen des deutschen Trabers zu entwickeln, im Training wie im Rennen. Schrumpft die Infrastruktur, spüren das vor allem kleinere Betriebe. Und junge, noch nicht so etablierte Fahrer wie Tom Karten. Der 24-jährige Amateur aus Mönchengladbach muss trotz zweier deutscher Meisterschaften weiter um jede Chance kämpfen, sich hinter wirklich guten Pferden im Sulky zu beweisen. Die Besitzer setzen vor allem auf Top-Profis, um den Wert ihrer Vierbeiner zu steigern.
„Früher war der Kuchen so groß, dass jeder was abbekommen hat“, sagt Karten. „Heute werden nur noch drei, vier große Stücke verteilt. Aber wer hochkommen will, muss fahren, fahren, fahren …“
Auch in Mönchengladbach? Vor wenigen Tagen, im Anlauf zum letzten Termin des Jahres (14. 12.), hat Elmar Eßer von der Stadt die Zusicherung erhalten, dass sein Verein auf der Bahn an der Niersbrücke auch im zweiten Halbjahr 2026 noch Renntage veranstalten kann. Das ist zwar nur ein Teilerfolg, aber mehr scheint in diesen Tagen nicht drin zu sein.
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