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Niedergang der Karl-Marx-AlleeGoodbye, Karl-Marx-Buchhandlung

Ende des Monats verlässt die Traditionsbuchhandlung ihren historischen Standort an der Karl-Marx-Allee. Buchhändler Erich Kundel eröffnet sein neues Geschäft im Samariterviertel. Zurückbleibt nur noch die gelbe Leuchtreklame.

In Wolfgang Beckers "Goodbye, Lenin!" war sie zu sehen und auch in Florian Henckel von Donnersmarcks "Das Leben der Anderen". In Architekturführern nimmt sie ebenso breiten Raum ein wie in Geschichtsbüchern über die DDR und ihren Arbeiteraufstand am 17. Juni 1953. Die Karl-Marx-Allee, einst gebaut als Stalinallee, gehört zweifelsohne zu jenen Bildern von Berlin, die man kennt, bevor man den Ostberliner Boulevard zum ersten Mal betreten hat.

Was die Karl-Marx-Allee im Großen, das ist die Karl-Marx-Buchhandlung im Kleinen. Eröffnet wurde sie einige Monate nach dem Aufstand, im September 1953. Ihre geschwungene gelbe Leuchtreklame ist selbst Büchermuffeln bekannt. Das Buchgeschäft, das seit 1993 der promovierte Historiker Erich Kundel betreibt, ist eine Institution in der Karl-Marx-Allee.

Doch nun ist die Institution am Ende. In wenigen Tagen zieht Erich Kundel mit seiner Buchhandlung weg. Was von ihr bleibt, ist der Schriftzug. Er steht unter Denkmalschutz wie der gesamte 2,3 Kilometer lange Straßenzug.

Dass einer wie Kundel die Karl-Marx-Allee aufgibt, ist nicht nur das Kalkül eines Geschäftsmanns, der sich im umkämpften Büchermarkt verkleinert. Es sagt auch etwas über den Niedergang der Straße. Noch im Vorfeld der 50-Jahr-Feier des Baubeginns 1951 hat sich Kundel für seinen "Geschichtsort" Karl-Marx-Allee engagiert. Als Vorsitzender des Fördervereins stritt er für denkmalgerechte Sanierung, mehr Parkplätze und für eine Wiedereröffnung des Cafés Sybille. Das war in den 50er-Jahren gleich neben der Buchhandlung als Milchtrinkhalle eröffnet worden und schloss 1997. Seit 2002 ist es wieder offen - als soziale Einrichtung. "Wir haben einen Träger für die Gastronomie und für die Ausstellungsräume", freut sich Kundel noch heute. Natürlich wurde die Wiedereröffnung von einer Ausstellung begleitet - über die Geschichte der Karl-Marx-Allee.

Vom damaligen Optimismus ist bei dem Buchhändler nicht mehr viel zu spüren. "Schauen Sie doch, wer hier langkommt", sagt er stirnrunzelnd. "Einige Touristen, die Anwohner, aber keine Laufkundschaft." Von den Touristenbussen, von denen Kundel einmal geträumt hat, hält keiner. Vor einiger Zeit hat er bereits die Hälfte seines Ladens deshalb aufgeben müssen. Nun folgt Ende Februar der Rest.

Ganz besonders war der Niedergang im Winter zu spüren. Dann, wenn es draußen früh dunkel wird und die Kunden gerne schöne Bücher kaufen, war es vor seinem Laden duster, zappenduster. "Zwei Kandelaber waren ausgefallen und wurden nicht erneuert", erklärt Kundel. "Und wenn Leuchten erneuert werden", ärgert er sich, "bekommen wir das, was an Restbeleuchtungsmitteln grade vorrätig ist." Ein "Sammelsurium der Scheußlichkeiten" nennt er so was. Und das auf einer Straße, die so gerne Boulevard des Ostens geworden wäre.

Dabei hat alles gar nicht so schlecht angefangen. Seit der Privatisierung in den 90er-Jahren wurden die einzelnen Bauabschnitte schrittweise saniert. Ein Glücksfall, wie nicht nur Denkmalschützer meinen. Auch die Wohnungsmieter in der Karl-Marx-Allee sind zufrieden. Luxussanierungen und Verdrängung, von vielen befürchtet, hat es nicht gegeben. Selbst die anfänglich noch hohen Ladenmieten haben sich inzwischen auf ein erträgliches Maß eingependelt.

Dass die Karl-Marx-Allee dennoch nicht auf die Beine kommt, liegt für Ingrid Kuldschun auch am Stadtraum. "Trotz ihrer breiten Bürgersteige war und ist die Karl-Marx-Allee eine Ausfallstraße", sagt die Geschäftsführerin der Berliner Architektenkammer. "Wer von hier von einer Seite zur andern will, braucht entweder Zeit oder einen Schutzengel."

Kuldschun weiß, wovon sie spricht. Schon ein halbes Jahr nach Erich Kundel ist die Berliner Architektenkammer in die Karl-Marx-Allee gezogen, vom alten Westen der Stadt in der Flensburger Straße. Hansa-Viertel gegen Karl-Marx-Allee, das war auch ein Statement - nicht unbedingt für modernes Bauen, dafür aber für Ostberlin. Seit einigen Jahren aber stellt Kuldschun fest, dass die Fluktuation größer wird. "Viele Gewerbemieter verlassen die Straße", sagt sie. Optimismus klingt anders.

Die Probleme der Karl-Marx-Allee kennt auch Sven Wärren. Im KMA-Portal, zu dem sich die verschiedenen Eigentümer zusammen geschlossen haben, ist er zuständig für die Vermietung der Gewerbeflächen rund um den Strausberger Platz. "Wir sind keine Einkaufsstraße wie die Schlossstraße" sagt er, "uns fehlen neben der Laufkundschaft auch die Filialisten." Pessimistisch ist er dennoch nicht. "Die Karl-Marx-Allee wächst aus sich selbst heraus."

Das sind leise Töne im Vergleich zu den großen, die zur 50-Jahrfeier gespuckt wurden. Zwischen Weberwiese und Frankfurter Tor sollte damals der "längste Tresen Berlins" entstehen. So sah es ein Konzept vor, das das Maklerunternehmen Aengevelt im Auftrag der Eigentümer der Karl-Marx-Allee ausgearbeitet hat. Geblieben ist davon nicht viel. Selbst im Szenecafé Ehrenburg verlieren sich am Nachmittag manchmal nur zwei Gäste.

Für Erich Kundel ist Zweckoptimismus ohnehin kein Thema mehr. Seine neue Buchhandlung wird er im Samariterviertel eröffnen. "Da ist Kiez, Leben, richtig was los", schwärmt er. Die Karl-Marx-Allee sieht er inzwischen auch mit etwas Distanz. "Wir haben es nicht geschafft, die Einmaligkeit des Ortes mit der Geschichte zu verknüpfen."

Was er nicht sagt: Die Einheit von Ort und Geschichte wird ohne die Buchhandlung noch weniger erkennbar sein. Erst recht, wenn hinter der denkmalgeschützten Leuchtreklame ein neues Geschäft einzieht - so eines wie zum Beispiel das Fachgeschäft für Büromöbel nebenan. Falls dann mal wieder ein historischer Film in der Karl-Marx-Allee gedreht wird, wäre das ein Fall für die Kulissenbauer. Oder gleich für die Studios in Babelsberg.

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