Nick Hornbys Kampf gegen das Erwachsen werden: Fast "High Fidelity 2.0"
Mit seinem neuen Buch "Juliet, Naked" remixt der britische Bestsellerautor Nick Hornby sein Frühwerk und bringt es auf den aktuellen Stand.
Alles beginnt dort, wo sonst vieles endet. Auf einem Klo. Doch in den Orkus befördert wird auf dieser in Minneapolis gelegenen Toilette nicht etwa verdaute Nahrung, sondern: der Lebensentwurf einer Engländerin in den mittleren Jahren; die Selbstsicherheit eines Experten von eigenen Gnaden; deren gemeinsame, langjährige Beziehung; und, nach allerhand Verwicklungen, auch noch die selbstgewählte Abgeschiedenheit eines kultisch verehrten Rockstars.
Diese drei Figuren hat Nick Hornby für seinen neuen Roman "Juliet, Naked" gewohnt kunstvoll miteinander verwoben. Annie, Kuratorin eines kleinen Heimatmuseums in einem Örtchen an der englischen Küste, reist durch die USA mit ihrem Freund Duncan, einem fanatischen Anhänger und Exegeten des einstmals mittelmäßig erfolgreichen Singer/Songwriters Tucker Crowe. Zusammen klappert man nun historische Stätten ab, die in der Karriere von Crowe von einiger Bedeutung scheinen. Der war 1986 für immer aus der Öffentlichkeit verschwunden - nach dem Besuch einer Toilette in Minneapolis.
Nun, nach mehr als zwei Jahrzehnten Schweigen, erscheint ein neues Album von Crowe, das titelgebende "Juliet, Naked". Und setzt eine Reihe von Verwicklungen in Gang, in deren Verlauf alle Beteiligten ihr Dasein grundsätzlich in Frage stellen werden müssen. Sicherheiten gehen verloren und letzte Hoffnungen, Lebensläufe werden wertlos und Kinderwünsche relativiert.
Das liest sich, wie man von Hornby erwarten darf, sehr amüsant. Ob innere Monologe oder geschliffene Dialoge, die drei Protagonisten sind bei Bedarf selbstverständlich mit der feinen britischen Ironie ihres Erfinders gesegnet, selbst wenn sie Amerikaner sind. Zusätzlich lässt er wieder einmal ein ganzes Arsenal an so prototypischen wie unterhaltsamen, aber immer voller Zuneigung gezeichneten Nebencharakteren am Leser vorbeimarschieren. Am detailliertesten allerdings gestaltet er Tucker Crowe, wie um sich lustig zu machen über eine Popgeschichtsschreibung, in der aus Missverständnissen und Fehlinformationen zuerst Halbwahrheiten und schließlich Mythen entstehen. Die Karriere von Crowe, den Hornby zu gleichen Teilen aus Elementen von J. D. Salinger und Pink-Floyd-Mitbegründer Syd Barrett komponiert zu haben scheint, wird rekapituliert mit imaginären Wikipedia-Einträgen, Plattenkritiken und Auszügen aus engagierten Fanforum-Diskussionen.
Dieser Text ist aus der sonntaz vom 12./13.9.2009 – ab Sonnabend zusammen mit der taz am Kiosk.
So liebevoll Hornby sein neues Personal auch beschreibt, es ist, das weiß er selbst, wie "eingefroren in einer immerwährenden Postgraduiertenwelt, in der Konzerte und Filme ihnen mehr bedeuteten als anderen Menschen ihres Alters". Wirklich neue Figuren oder Motive fügt der Autor seinem Universum in diesem, seinem sechsten Roman nicht hinzu.
Stattdessen nimmt der mittlerweile 52-Jährige, vor allem natürlich mit Duncan, die zentrale Erzählung seiner beiden großen Erfolge "Fever Pitch" und "High Fidelity" wieder auf: Fußball oder Popkultur als Religionsersatz. Immerhin aber remixt Hornby sein eigenes Frühwerk, bringt es mit "Juliet, Naked" auf den technisch aktuellen Stand.
Man trifft sich nicht mehr im Plattenladen, sondern im Netz, gesammelt werden nicht mehr nur Vinyls, sondern auch Downloads. Aber in dieser digitalen Welt, stellt Hornby fest, ist es nun sogar noch einfacher, sich im Fantum zu verlieren, den Kult zum Inhalt der eigenen Existenz zu verklären und darüber das Leben zu vergessen. "Vor dem Internet hatte der nächste andere Fan in Manchester gewohnt", lässt Hornby seine Heldin Annie erzählen, "nun wohnten die nächsten Fans in Duncans Laptop, es gab hunderte von ihnen, überall auf der Welt, und Duncan stand in ununterbrochenem Austausch mit ihnen."
Dank dieser Aktualisierung seines liebsten Themas wirkt Hornbys neues Buch einigermaßen zeitgemäß, aber ein "High Fidelity 2.0" ist ihm trotzdem nicht gelungen. Denn in "Juliet, Naked" wird immer noch vor allem derselbe Kampf geführt, den alle Figuren aus Hornbys frühen Erfolgen führen mussten: den Kampf gegen das eigene Erwachsenwerden. Was neu ist: Annie, Duncan und Tucker haben diese Auseinandersetzung längst verloren. Jetzt geht es nur noch darum, sich das einzugestehen und das Beste zu machen aus diesem verkorksten Leben. Sollte Hornby demnächst an dieser, seiner ewigen Erzählung weiterschreiben, wird der Nerd wohl bald mal lernen müssen, eine Windel zu wechseln.
Nick Hornby: "Juliet, Naked". Aus d. Engl. von Clara Drechsler, Harald Hellmann. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2009, 304 Sei-ten, 19,95 €
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