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Nichtwähler in den USAWenn der Wahlhelfer dreimal klingelt

Die Zahl der Nichtwähler könnte diesmal wieder deutlich steigen. Ein Politikberater aus Michigan empfiehlt provozierende Strategien, um Wähler zu gewinnen.

Nicht alle sind so engagiert. Andere bleiben lieber daheim und gucken ihre Lieblingsserie Bild: reuters

RENO (NEVADA) taz | In Reno, Nevada, beispielsweise ist es eine Frau mit Augenringen unter der großen Sonnenbrille. Sie steht an ihrem Gartenzaun, irgendwo bellt ein Hund, und sie weiß es auch nicht so genau. Es hat sich nichts geändert für sie, sagt Sandra Nelson. Sie sei arbeitslos, ihr Haus sei nur noch die Hälfte wert, wenn sie nicht bald einen Job findet, wird sie es wohl verlieren.

Zwangsversteigerung. Wie da vorne und da drüben und dort. Sie zeigt um sich, als würde sie verfolgt. Was hat Obama geändert? Für sie?

Und natürlich, sagt sie, Mitt Romney wäre noch schlimmer. Aber soll sie deswegen wählen gehen? Sie weiß es nicht. Sie weiß es wirklich nicht. Eher nicht. Diese Politiker sollten alle mal so wenig Geld haben müssen wie sie, sagt Sandra Nelson.

(Nicht-)Wähler

Die, die gehen: Die Wahlbeteiligung in den USA schwankt seit den 70er Jahren um die 50 Prozent. Im Jahr 1996, Bob Dole trat gegen Bill Clinton an, erreichte sie mit 49,08 Prozent einen Tiefstand, bei Obamas erster Wahl im Jahr 2008 mit 57,48 Prozent einen Höhepunkt. Die Prozentzahlen sind ein wenig verzerrt, weil sie auch Menschen einbeziehen, die gar nicht wählen dürfen, weil sie beispielsweise im Gefängnis sitzen.

Die, die nicht gehen: US-AmerikanerInnen, die nicht zur Wahl gehen, sind eher jung, eher ungebildet und es geht ihnen wirtschaftlich eher schlecht. Das haben verschiedene Studien gezeigt. Da die Wirtschaft der USA sich gerade nur sehr langsam erholt, dürfte die Zahl der Nichtwählerinnen diesmal steigen.

Das Problem: Der derzeitige US-Wahlkampf, darin sind sich viele Politikwissenschaftler einig, fördert die Politikverdrossenheit, weil die Kandidaten fast ausschließlich negativ argumentieren. Die TV-Werbespots, auch die von Senatorinnen oder Kongressabgeordneten, sind oft düster und enthalten Vorwürfe, die den Gegner diskreditieren sollen.

Kein Geld, keine gute Ausbildung, keine Hoffnung, kein Vertrauen mehr in die Politik. Das sind die wesentlichen Eigenschaften von Nichtwählern, die das Umfrageinstitut Suffolk University Poll für die Zeitung USA Today ermittelt hat. Es ändert sich ja doch nichts, sagen viele von ihnen. Die Wahlbeteiligung könnte diesmal wieder stark auf die 50 Prozent zugehen, wenn am 6. November der nächste Präsident der Vereinigten Staaten gewählt wird. 90 Millionen Amerikaner werden vermutlich nicht abstimmen. Es dürften radikale Christen der konservativen Tea-Party-Bewegung darunter sein, denen der Mormone Mitt Romney suspekt ist.

Mehrzahl für Obama

Der größte Teil der potenziellen Nichtwähler allerdings würde seine Stimme Obama geben, nur 18 Prozent von ihnen haben Sympathien für Mitt Romney. 43 Prozent der Nichtwähler aus der Suffolk-University-Umfrage finden Obama eigentlich ganz gut. Viele offensichtlich nicht gut genug. Oder es ist ihnen einfach alles egal. Sie zählen nicht unbedingt zu den wütenden Occupy-Aktivisten, die im kalifornischen Oakland die Fensterscheiben der demokratischen Wahlkampfzentrale eingeworfen haben, sodass das Team Obama in ein sichereres Bürohaus umziehen musste. Aber mehr als die Hälfte der Nichtwähler glaubt, dass Politiker einfach korrupt seien.

Das Vertrauen in politische Institutionen schwindet. Es wird nicht gerade gestärkt dadurch, dass der Präsidentschaftswahlkampf eine Abfolge von Beschuldigungen ist, die die Kandidaten aus verkürzten oder verqueren Äußerungen des jeweils anderen generieren. Es gab einmal eine Zeit, in der die Politjournalisten und Kampagnenmanager darüber diskutierten, wann der Moment für das, was man in den Vereinigten Staaten „going negative“ nennt, gekommen sei. Nicht mehr die eigenen Pläne in den Himmel preisen, sondern vorwiegend den anderen attackieren, gern auch mit fragwürdigen Methoden.

Ist Obama wirklich ein Bürger der USA? Romney-Anhänger ziehen mit diesem Argument weiter von Tür zu Tür. Dieser Wahlkampf ist nie positiv gewesen.

Häuser abklappern

Die Obama-Kampagne konzentriert sich nun darauf, die Nichtwähler vom Nichtwählen abzuhalten. Die Wahlkampfhelfer, die die Häuser abklappern, erhalten dafür genaue Anweisungen. Im Wahlkampfbüro in Reno etwa erklärt ein junger Mann einer Gruppe von Freiwilligen, wie man die Leute zum frühen Wählen – einer Besonderheit des Staates Nevada – ermutigt. „Sagt nicht, es ist praktisch. Sagt nicht, es geht einfach. Sagt: Alle machen es.“ Warum? „Es funktioniert am besten.“

Mark Grebner hat Erfahrung mit dieser Art von Psychologie. Grebner ist ein Politikberater aus Michigan, der sich gern mit Theorien beschäftigt, um die Dinge dann praktisch zu erklären – und drastisch. „Früher wurde man verprügelt, wenn man nicht wählen ging“, sagt Grebner. „Und heute?“ Die USA hätten eine großartige Wahlbeteiligung gehabt. Bis 1880 – bis das Wahlgeheimnis eingeführt worden sei. Vorher hätten Fabrikbesitzer ihre Arbeiter gezwungen, für ihre Kandidaten zu stimmen. „Die Einführung des Wahlgeheimnisses hat die Wahlbeteiligung ruiniert“, sagt Grebner. Er kann ein ziemlicher Zyniker sein. Aber im Kern meint er das ernst.

Wählen sei anstrengend, stellt Grebner fest. „Es kostet bis zu einer Stunde Zeit. Diese Leute haben doch Kinder, die sie irgendwo abholen müssen. Sie verpassen ihre Lieblingssendung im Fernsehen. Das klingt banal, aber es ist einer der Hauptgründe, den auch die Befragten in der Umfrage für USA Today angeben: „Busy lives“, stressiger Alltag.

Grebner hat allerdings auch festgestellt, dass zehn Prozent der Leute, die in Umfragen behaupten, sie würden wählen, es gar nicht tun. Diese zehn Prozent muss man kriegen, hat er sich gedacht. „Sie sind das einfachste Ziel. Sie lesen, sie können Fragen beantworten. Wer ist ihr Senator?“ Sein Mittel: Scham.

80.000 Postkarten

Im Jahr 2006 erstellte Grebner mit zwei Wissenschaftlern der Universität Yale eine Studie. Er verschickte 80.000 Postkarten, auf denen eine Liste mit den Leuten aus der Nachbarschaft zu sehen war. Nach der Wahl, schrieb Grebner den Empfängern, würden die Karten noch einmal verschickt. Dann sei zu sehen, wer gewählt habe und wer nicht.

Die Menschen reagierten nicht gerade begeistert. Grebner erhielt wütende Anrufe. Er wurde angefeindet. Aber die Wahlbeteiligung stieg in dieser Vorwahl in Michigan von 30 auf 38 Prozent. Viele wollten keine Nichtwähler sein – nicht öffentlich. „Was ich jetzt gern tun würde“, sagt Grebner: „Ein Buch herausgeben, das die Namen aller Wähler auflistet. Es wäre wie eine Auszeichnung, darin zu stehen. Man könnte diesen Leuten kleine goldene Sterne an die Tür heften. Ein Wähler! Ein Goldstern-Wähler! Die Leute würden stolz sein, ein Wähler zu sein. Und die, die keine Auszeichnung haben, müssten sich eine Ausrede überlegen, warum sie nicht gegangen sind.“ Das funktioniere aber nur bei diesen zehn Prozent, stellt er fest. Die kann man mit der angedrohten Veröffentlichung so einschüchtern, dass sie tatsächlich wählen. Und die anderen? Die interessieren sich einfach nicht, sagt Grebner.

Es sind Leute wie manche Nachbarn von Sandra Nelson in Reno, in Nevada, wo die Durschnittseinkommen sinken und sowieso überdurchschnittlich niedrig sind. Eine Gruppe von ökonomisch Abgehängten, die nun auch nicht mehr glauben, dass Obama Hoffnung oder Veränderung bringen kann. Die ihr Interesse auch verlieren, weil sie den Eindruck haben, man werde ihnen ohnehin nicht helfen.

Dann sei da noch eine Sache. Worüber muss man abstimmen, wenn man etwa in Michigan wählen gehe, fragt Grebner. „Der Präsident, der Senat, der Kongress, die Abgeordneten für den Staat, die Universitätsaufsichtsräte, den Obersten Gerichtshof von Michigan, das Berufungsgericht, das Bezirksgericht, dann vielleicht auch noch den Gemeinderat, den Sheriff. Das ist noch lange nicht alles, aber ich denke, Sie sehen den Punkt.“ Es sei zu viel. „Wir reden nicht darüber. Aber die Wähler bekommen Panik, weil sie all diese Entscheidungen treffen sollen.“ Die langen Wahllisten schrecken ab.

Die Präsidentschaftswahl sei noch die interessanteste von allen, glaubt Grebner. Da steckt Drama drin. Je mehr Drama dank heimlich gefilmter Videos, die weltweit gesehen werden, desto besser. Vielleicht könne das die Wahlbeteiligung noch erhöhen. Sandra Nelson dürfte ihr eigenes Drama genügen.

HINWEIS: Diesen und andere Texte zur US-Wahl finden Sie im US-Dossier der taz am Freitag, 26.10.2012

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4 Kommentare

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  • F
    friedbert

    Solange die amerikanische Medienwelt

    Milliardenbudgets für Wahlkampfkandidaten

    voraussetzt, sind solche Wahlen eine

    Farce.

    Auch Obama hat unverzeihliche Fehler

    in Rüstungs-und Militärsicherheitsmanagement begannen.

    Das Angebot zur Auswahl ist wirklich arg klein

    und repräsentiert nicht die aktuellen

    Strömungen innerhalb der amerikanischen

    Bevölkerung. Das Land braucht sicherlich

    nicht noch mehr Marktliberalisierung und

    noch mehr Bankenschlupflöcher, und Diskriminierung

    der Arbeitnehmerrechte und deren Verdienste,

    sondern mehr Schutz vor globalisierten

    Lohndumping aus der Perspektive der

    westlichen Industrieländer.

    Die Staaten müssen wieder die Finanzströme

    sinnvoll kanalisieren können und die Marktradikalisierung abbauen!

    Der Wohlstand und kulturelle Wert einer

    Gesellschaft mißt sich eher am Durchschnittslebensniveau der Normalbürger, als

    am absoluten Kapitalaufkommen der Reichen-und

    Superreichen. Es gibt fast zuviel Geld in Amerika,

    aber es wird nicht zukunftsweisend und human

    investiert, sondern nach unten rationiert und

    nach oben beschenkt. Genauso entwickelt

    man Bananenrepubliken.

  • F
    FaktenStattFiktion

    Leider fehlen die entscheidenden Informationen in diesem Artikel.

     

    1. Die meisten Bundesstaaten kennen das Ergebnis der Wahl vorher - es sind traditionell Republikanische oder Demokratische Staaten. Texas ist rot, Californien ist blau (wenn der Kandidat dort nicht Ronald Reagan ist). Nur in den Swingstates lohnt es sich wirklich, zur Wahl zu gehen.

     

    2. In den USA wird traditionell nicht an arbeitsfreien Tagen gewählt, wie etwa auch bei den Briten. Auch dies mindert die Wahlbeteiligung.

     

    3. Je geringer der Bildungsgrad, desto geringer das Interesse an Politik. Das Prekariat wählt nicht, weil es schlicht kein Interesse hat.

     

    4. Was immer der Politikberater aus Michigan angedacht hat - im Jahre 1880 hatten die Staaten eine Bevölkerung von 50 Millionen Bürgern. Damals waren die Probleme einfacher und die Antworten durften ehrlich ausfallen - heutzutage dürfen manche Probleme ja nicht einmal mehr angesprochen werden.

  • R
    Rotterdamer

    Ein 'typisches Verschwörungsvideo'?? Oder könnte etwas dran sein:

    http://www.youtube.com/watch?feature=player_embedded&v=s9QA5B6U86s#!

  • E
    emil

    es ist ein recht zu wählen und keine pflicht, insofern halte ich die stigmatisierung jener, die nicht wählen möchten demokratiefeindlich.

    dieses prangertum geht schlichtweg davon aus, dass das wahlsystem wundertoll ist und alle unbedingt mitmachen müssen. es kann nicht verlangt werden, dass diese ansicht konsens ist, weswegen eine derartige kennzeichnung sehr voreingenommen daher kommt.

    zumal es suggeriert, dass alle etwas bestimmen könnten, was sehr verkürzt ist, da die gewählten vertreterInnen letztlich einer lobby folgen und nicht dem wahlvolk, auch wenn dieses sie legitimiert hat.