: Nicht ohne Netz und Werbung
Der heiße Sommer belastet alle Modehändler, auch die Ökos. Trotzdem läuft es bei Hess Natur nach der Neuorientierung gerade mal rund – zumindest bei den Zahlen
Von Heike Holdinghausen
Der heiße Sommer ist vorbei, doch in den Chefetagen der Modebranche fängt man jetzt erst so richtig an zu schwitzen. Tom Tailor, Zalando, Gerry Weber: Sie alle kündigten an, weniger Gewinn zu machen. Oder sie stecken gar in der Krise. Auch den Ökos unter den Herstellern und Händlern haben die hohen Temperaturen zugesetzt. „Am 1. August ist unser Herbst/Winter-Katalog erschienen“, sagt Reinhard Maas, der Geschäftsführer von Maas-Naturwaren aus dem westfälischen Gütersloh. „Da waren es 31 Grad.“ Bei dem Wetter bestellten die Kunden deutlich weniger.
Dabei hatte man sich in dem inhabergeführten Unternehmen im vergangenen Geschäftsjahr über ein sattes Plus gefreut, um 26 Prozent auf 17 Millionen Euro war der Umsatz gewachsen. Das lag nicht nur am verregneten Schmuddelsommer 2017, sondern auch an „massiv gesteigerter Werbung und dem Ausbau des Online-Handels“, sagt Maas. 70 bis 80 Prozent der Bestellungen kämen inzwischen via Internet. Das ist in der ganzen Branche so, ob öko oder konventionell. Wachstum findet vor allem online statt.
Auch der Butzbacher Versandhändler Hess Natur freut sich über ein gutes Ergebnis im vergangenen Geschäftsjahr. Geschäftsführerin Andrea Ebinger nennt zwar noch keine Zahlen aus der aktuellen Bilanz, weil diese noch geprüft werde. Doch der siebenstellige Verlust von 2016/17 habe sich im laufenden Geschäftsjahr in einen siebenstelligen Gewinn umgewandelt. Wie Maas setzt Hess Natur vor allem auf den Online-Handel. „Wir sind inzwischen ein E-Commerce-Unternehmen“, sagt Ebinger.
Die positiven Zahlen erklärt die Geschäftsführerin als Ergebnis einer Neuausrichtung. Es gehe wieder stärker um den „Kern unserer Marke“. Für Ebinger ist dieser „zeitlose Mode, die man viele Jahre tragen kann“. Vorbei die Zeiten, als die Geschäftsführung glaubte, das „Modische“ müsse im Mittelpunkt der Kommunikation mit dem Kunden stehen. Auch Business-Mode biete man kaum noch an, statt Blazern also Mäntel aus Wollwalk und Pullis aus Alpaka, „so weich wie aus Kaschmir“, schwärmt die Geschäftsführerin.
Der blau-weiße Ringelpulli wird im Online-Store derzeit allerdings reduziert im Sonderangebot verkauft. Dabei will die ehemalige Otto-Managerin eigentlich aus den Rabattschlachten der Modeindustrie aussteigen. „Damit werden wir unserer aufwendig hergestellten Kleidung nicht gerecht.“
Auch Maas ärgert sich über Rabattaktionen von Mitbewerbern, weil sie eine Preisspirale nach unten in Gang setzten. Wenn der Anfang der Saison wetterbedingt nicht gut laufe, bleibe zu wenig Zeit, um die Ware noch mit einer entsprechenden Marge zu verkaufen. Ein hoher Umsatz sei zwar wichtig, sagt er. „Aber entscheidend ist, was übrig bleibt.“
Allerdings: Die Spielregeln auch für Ökomarken mit sozialer Verantwortung würden von Riesen wie Zalando und Amazon gemacht, sagt Ebinger. Und die verkaufen Kleidung nicht nur über niedrige Preise, sondern auch mit ausgefeiltem Marketing und einer zielgruppengenauen Ansprache. Das macht nun auch Hess Natur: „Wir testen unsere Fotos, unsere Titel und tauschen gegebenenfalls aus“, sagt Ebinger. Auch das Personal müsse umdenken, vom klassischen Katalog zum E-Commerce.
340 Mitarbeiter sind noch bei Hess Natur beschäftigt, nachdem im Dezember 10 Prozent der Belegschaft gehen mussten. Nach bangen Monaten, großer Unruhe und zahlreichen Besuchen des Besitzers, des Schweizer Finanzinvestors Capvis, sei inzwischen etwas Ruhe eingekehrt, berichten Mitarbeiter. Allerdings arbeite man „am Anschlag“, das Arbeitspensum habe nach den Entlassungen stark zugenommen.
Außerdem hat die Mitarbeiter argwöhnisch gemacht, dass der Kopf des Erfolges – die langjährige Kreativchefin Tanja Hellmuth – das Haus verlassen musste. Dafür kommt ab Oktober Patrick Götz vom Kölner Nachwuchsstar Armedangels und übernimmt die Gesamtverantwortung für Bekleidung und Haushaltstextilien. Bei Armedangels arbeitet man zwar sehr erfolgreich, bietet aber ein deutlich kleineres Sortiment. Auch die Marketingleitung bei Hess Natur wurde neu besetzt. „Risikoreich“ findet man das bei den Mitarbeitern.
Investor Capvis, bislang durchaus um eine offene Kommunikation bemüht, gibt sich zur Zukunft des Unternehmens derzeit zurückhaltend. Durch die Geschäftsentwicklung sehe man sich in seinem Glauben an Hess Natur bestätigt, lässt die Investmentfirma mitteilen. Ein Verkauf sei aktuell nicht geplant. Wahrscheinlich hofft man in Hessen wie in Westfalen auf einen schön kalten Winter.
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