piwik no script img

„Nicht jeden Eierdieb verfolgen“

■ Der bayerische Datenschutzbeauftragte Reinhard Vetter kritisiert das neue Polizeiaufgabengesetz seines Landes

taz: Herr Vetter, Sie üben in Ihrem ersten Tätigkeitsbericht heftige Kritik am neuen bayerischen Polizeiaufgabengesetz (PAG). Was ist das gefährliche daran?

Reinhard Vetter: Die Polizei hatte bisher nicht das Recht, ohne konkreten Anlaß Identitätskontrollen durchzuführen. Der Normalbürger brauchte also nichts zu befürchten. Ausnahmen waren die sogenannten verrufenen Orte wie Bahnhöfe. Und es gab die Möglichkeit, Kontrollstellen einzurichten, aber eben nicht ohne konkreten Anlaß.

Und dieser Anlaß fällt jetzt weg.

Ja. Die Kontrollen beziehen sich zwar nur auf einen dreißig Kilometer breiten Grenzstreifen, also auf grenznahe Bahnhöfe und Durchgangsstraßen. Aber jetzt muß auch der anständige Bürger damit rechnen, ohne Verdachtsmomente kontrolliert zu werden. Das ist eine ganz neue Qualität.

Was ist dabei die neue Qualität?

Es kann jeden treffen. Normalerweise tritt die Polizei an den Bürger heran, wenn dieser ihm einen Anlaß dazu gibt. Nach dem neuen Verfahren kann die Polizei jeden herausziehen, ohne Angabe von Gründen.

Was kann einem im schlimmsten Fall passieren?

Wer von einer Streife herausgewunken wird und sich nicht ausweisen kann, wird zur nächsten Wache gebracht. Dort wird die Identität festgestellt und geprüft, ob etwas vorliegt. Wenn sich dabei nichts ergibt, passiert gar nichts. Die Daten werden nicht gespeichert. So gesehen könnte man sagen: Was hat er denn, der Datenschutzbeauftragte?

Ja, was hat er denn?

Kontrollen müssen auf das absolut Notwendigste begrenzt werden; sie sollten nur der Bekämpfung erheblicher Kriminalität dienen. Das muß sich auf die Art und die Zahl der Kontrollen auswirken. Also keine flächendeckenden Kontrollen, bei dem jedem Eierdieb hinterhergelaufen wird.

Sie kritisieren neben dem PAG auch die Videotrupps der Polizei, die bei Demonstrationen zum Einsatz kommen. Was stört Sie?

Das Problem ist, daß die Polizei auch bei einer Demonstration nicht mehr nur bestimmte verdächtige Personen filmt, sondern auch friedliche Teilnehmer.

Damit fördert Bayern, daß sich Demonstranten vermummen, um nicht registriert zu werden.

Diese Schlußfolgerung möchte ich nicht ziehen. Bürger bleiben möglicherweise lieber zu Hause, weil sie Angst vor Nachteilen haben. Deshalb hat auch das Bundesverfassungsgericht bestätigt, daß Filmaufzeichnungen nur von konkret Verdächtigen zulässig sind.

Ihr Vorgänger Sebastian Oberhauser ist im März letzten Jahres zurückgetreten, weil er eine „Aushöhlung des Rechtsstaates“ in Bayern befürchtet hatte. Können Sie dem zustimmen?

Ich sehe keinen Anlaß, das Handtuch zu werfen. Einzelne Kritikpunkte müssen bereinigt werden. Aber der Rechtsstaat ist nicht gefährdet. Interview: Wolfgang Farkas

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen