New Yorks Gouverneur Andrew Cuomo: „Zutiefst beunruhigendes Muster“
New Yorks Gouverneur Cuomo soll mehrere Frauen sexuell belästigt haben, darunter Angestellte. Der Fall ist für die Generalstaatsanwältin ein Déjà-vu.
„Ich glaube diesen elf Frauen“, sagt Generalstaatsanwältin Letitia James in New York, als sie den Abschlussbericht ihrer sechsmonatigen Ermittlungen gegen den langjährigen Gouverneur Andrew Cuomo vorstellt.
Die Generalstaatsanwältin beschreibt ein „zutiefst beunruhigendes Muster“ bei ihrem Chef und demokratischen Parteifreund. Er habe mindestens elf Frauen – darunter mehrere seiner Angestellten – sexuell belästigt, ein „vergiftetes Arbeitsklima“ verbreitet und gegen Gesetze verstoßen.
Unmittelbar nach dem Ende von James fast einstündiger Pressekonferenz lassen die Demokratischen Verantwortlichen in New York und in Washington den Gouverneur fallen. Nachdem die Spitze der Demokratischen Partei im Bundesstaat New York und im Kongress den Gouverneur zum Rücktritt aufgefordert hat, sagt am Nachmittag US-Präsident Joe Biden: „Er sollte gehen.“ Nur wenige Monate zuvor war Cuomo noch als potenzieller Vizepräsident von Biden im Gespräch gewesen.
Als Antwort veröffentlicht Cuomo ein Video, in dem er sämtliche Vorwürfe mit sorgfältig ausgewählten Worten bestreitet. „Ich habe nie jemanden unangemessen angefasst und nie unangemessene sexuelle Annäherungsversuche gemacht“, versichert er. Als würde das irgendetwas belegen, zeigt er dazu einen Zusammenschnitt von Bildern, die ihn bei Schulterklopfen, Umarmungen und Küssen mit alten und jungen, männlichen und weiblichen Personen zeigen. Er geht auch zur Attacke gegen Frauen über, die ihn beschuldigen. Über eine von ihnen sagt er zwar nicht direkt, dass sie lügt. Aber: „Sie mag Dinge gehört haben, die ich nicht gesagt habe.“
179 Gespräche, 74.000 Dokumente
Bei ihren 179 Gesprächen und bei der Sichtung von mehr als 74.000 Dokumenten haben James und ihre Mitarbeiter von Cuomos Grabschereien im Büro in Albany, in Aufzügen und bei Auftritten in New City erfahren. Ihr Untersuchungsbericht beschreibt die Finger des Gouverneurs auf Rücken, Bäuchen und zwischen Brüsten. Er beschreibt die nicht gewollten verbalen sexuellen Anzüglichkeiten und die Androhungen von Repressalien bei Frauen, die sich wehren. Mehrere von Cuomos Opfern haben in seinem Büro in Albany, der Hauptstadt des Bundesstaates New York, gearbeitet. Eine war als State Trooper zuständig für seine Sicherheit.
Bis zum Spätherbst des letzten Jahres schien die Karriere des 63-jährigen Cuomo unaufhaltbar. Der Sprössling einer einflussreichen italo-amerikanischen Politikerdynastie in New York – sein Vater war New Yorker Gouverneur, sein jüngerer Bruder ist ein Star bei dem TV-Sender CNN – war dreimal zum Gouverneur gewählt worden und bereitete sich auf eine vierte Kandidatur im Jahr 2022 vor. In der Pandemie wurde er zu einem nationalen Gegenmodell zum damaligen US-Präsidenten.
Während Donald Trump das Virus verharmloste und Wissenschaftler an den Rand drängte, zelebrierte Cuomo tägliche und live übertragene Pressekonferenzen mit Statistiken und Experten. Sie erreichten hohe Einschaltquoten im nationalen Kabelfernsehen. Noch während der Pandemie hatte Cuomo Zeit, ein Buch über sein erfolgreiches Krisenmanagement zu schreiben.
Cuomos Abstieg begann, als herauskam, dass er die Zahlen über die Pandemieopfer in den Altersheimen seines Bundesstaates beschönigt hatte. Tausende Menschen, die vor ihrem covid-bedingten Tod ins Krankenhaus kamen, zählte er nicht mit.
Der Unterschied ist die Partei
Im Februar gingen zwei Frauen mit Vorwürfen von sexueller Belästigung an die Öffentlichkeit. Sowohl die Vorwürfe von sexueller Belästigung, als auch die Manipulation von Fakten legen Vergleiche zwischen dem Demokraten Cuomo und dem Ex-Präsidenten nahe. Beide Männer ähneln sich auch in ihrem selbstbewussten Umgang mit den Vorwürfen.
Der Unterschied zwischen Cuomo und Trump sind nicht sie selbst, sondern ihre Parteien. Anders als die Republikaner, die Trump bis heute mehrheitlich vor Verfolgungen schützen, haben die Demokraten für die Ermittlungen gegen Cuomo angestrengt und wollen jetzt Konsequenzen daraus ziehen. Im Parlament in Albany sind es Demokraten, die überlegen, wie sie ein Impeachmentverfahren gegen ihren Gouverneur anstrengen können, falls er darauf besteht, im Amt zu bleiben.
Für Generalstaatsanwältin James ist die Auseinandersetzung mit Cuomo ein Déjà-vu. Sie ist die erste Frau und die erste afroamerikanische Person an der Spitze der Generalstaatsanwaltschaft von New York. Ihr Vorgänger im Amt, Eric Schneiderman, musste wegen sexueller Belästigung zurücktreten. Es ist nicht ausgeschlossen, dass Letitia James als nächstes für Cuomos Nachfolge kandidiert.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israel, Nan Goldin und die Linke
Politische Spiritualität?
Matheleistungen an Grundschulen
Ein Viertel kann nicht richtig rechnen
Innenminister zur Migrationspolitik
Härter, immer härter
Nikotinbeutel Snus
Wie ein Pflaster – aber mit Style
Prozess gegen Letzte Generation
Wie die Hoffnung auf Klimaschutz stirbt
Börsen-Rekordhoch
Der DAX ist nicht alles