: New Yorker Modell bedeutet Polizeistaat
■ Abgeordnete distanzieren sich von New Yorks „Null-Toleranz“-Linie. PDS: Kein Polizeistaat wie in der DDR
Die PDS hat den Senat davor gewarnt, „von den negativen, polizeistaatlichen Aspekten in der DDR zu lernen“. Bei der Kriminalitätsdebatte im Abgeordnetenhaus distanzierte sich die PDS-Parlamentarierin Marion Seelig von der „polizeilichen Überwachung von der Wiege bis zur Bahre“, wie sie in der DDR praktiziert worden sei. Seelig sagte, die DDR habe unter der „Abwesenheit von Freiheits- und Abwehrrechten gegen den Staat“ gelitten. Mit den Forderungen nach mehr Polizei und Sicherheit befinde sich Berlin auf dem Wege in einen solchen Polizeistaat. Wer bereit sei, „Freiheit gegen Sicherheit einzutauschen, wird beides verlieren“, zitierte Seelig den US-Politiker und Schriftsteller Benjamin Franklin.
Ausgelöst durch harte Kürzungsforderungen gegen die erheblich überausgestattete Berliner Polizei findet in der Stadt seit Monaten eine Kriminalitätsdebatte statt. Über die Aktion „Sauberes Berlin“ hinaus, die zu rigidem Vorgehen gegen Graffito-Sprayer führte, will insbesondere die Union Strafen gegen Bettler, Hütchenspieler und Drogenabhängige. Derlei Forderungen wurden in der von den Regierungsfraktionen beantragten Aktuellen Stunde zur Kriminalität weitgehend unterlassen. Innensenator Jörg Schönbohm (CDU) vermied, seine am Donnerstag morgen im Inforadio geäußerten Forderungen nach engerer Zusammenarbeit mit dem Bundesgrenzschutz oder der Reaktivierung der Freiwilligen Polizeireserve zu wiederholen. Wie Schönbohm distanzierten sich beinahe alle Redner von dem pauschalen Vergleich der Situationen in Berlin und New York. Das kürzlich von dem ehemaligen New Yorker Polizeichef William Bratton vorgestellte „Null-Toleranz“- Konzept wurde als untauglich für die Stadt bezeichnet. Bratton habe „kraß unrecht“, sagte der SPD-Sicherheitsexperte Hans-Peter Lorenz – abgesehen von der Maßnahme, die vielen unfähigen Polizeiführer zu entlassen. Er beklagte, daß dies hier nicht möglich sei.
Das New Yorker Modell „ist lediglich ein Weg in den Polizeistaat“, sagte der bündnisgrüne Fraktionssprecher Wolfgang Wieland. Wie Marion Seelig sah Wieland seit dem Besuch des Ex-Supercops Bratton eine Art „nachsozialistischen Wettbewerb“, der die Einführung von allgegenwärtigen Überwachungsmethoden nach sich ziehe. Wieland sagte: „Bisher galt, daß ich keine Wanze in meiner Wohnung befürchten muß.“ Dies sei nun durch den Großen Lauschangriff gefährdet, der die akustische Überwachung von Privatwohnungen ermöglichen soll.
„Berlin war noch nie so unsicher wie nach sieben Jahren Heckelmann und Schönbohm“, machte Wieland die CDU-SPD-Koalition für die Situation in der Stadt verantwortlich. Er forderte die Koalition auf, die Polizei in den Kiez zurückzuholen und ihr wieder Namen und Gesicht zu geben. „Wir setzen auf den sozial kompetenten und bürgernahen Sicherheitsexperten als Polizisten“, sagte er.
Im Inforadio-Interview hatte Schönbohm gesagt, es sei nicht unverhältnismäßig, wenn Grenzschutzbeamte nach Schwarzfahrern suchten. Der Grenzschutz äußerte sich gegenüber der taz zurückhaltender. Der BGS werde möglicherweise bei Personenkontrollen auch den Fahrschein überprüfen. Aber reguläre Ticketkontrollen werde es nicht geben. Die gestern im Bonner Innenausschuß diskutierte BGS-Reform sieht für Berlin vor, 160 Grenzschützer zusätzlich für Fern- und S-Bahn abzustellen. Zudem werde es „mehr Vollzug und weniger Verwaltung geben“, sagte ein Sprecher. Christian Füller
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen