piwik no script img

New York, was wundert’s dich?

betr.: „Kompromiss statt Utopie“ (Die Pläne für Ground Zero), „Ein Bauverbot hätte gut getan“ (Architekt Christoph Ingenhoven), taz vom 22. 7. 02

Das Bedürfnis, Schmerz zu teilen, Trauer öffentlich zu machen, lässt sich, das ist bekannt, auf vielen Ebenen Gewinn bringend nutzen. Eine gigantische Inszenierungsmaschinerie samt anhängendem patriotischem Politzirkus hat es geschafft, jeden Bruder- oder Bürgerkrieg, Ethno- oder Genozid neben dem Anschlag auf das WTC wie einen x-beliebigen missglückten Kindergeburtstag wirken zu lassen und weltweit TV-Zuschauer zu der tief empfundenen Überzeugung zu bringen, am 11.9. sei das Böse in die Welt gekommen, die von nun an nie mehr dieselbe sein würde. Das angebliche Trauma der erschütterten Sofakartoffeln in aller Welt wurde durch Traumquoten erzeugende Tränenströme und Solidaritätsbekundungen therapiert. Viele tatsächlich traumatisierte Hinterbliebene hofften also auf uneingeschränkte Solidarität mit den Ground-Zero-Opfern und -Helden, immerhin darauf, dass „der Grundriss der alten Türme respektiert“, d. h. nicht bebaut wird. Aber irgendwann muss ja mal Schluss sein, nicht? Langfristig kann man mit Büroflächen einfach mehr Umsatz machen als mit öffentlicher Trauerarbeit oder Denkmälern. Obwohl der 11. September – gemessen an seiner medial kommunizierten Entsetzlichkeit – gleich hinter dem Holocaust kommt, mag Larry Silverstein offenbar keine solidarischen Milliarden-Spendierhosen anziehen. New York, was wundert’s dich? […]

Andere, aber sehr komische Parallelen zur Diskussion um die „der Größe der Aufgabe nicht gerecht“ werdenden New Yorker Entwürfe fand ich im Interview mit dem jugendlichen Krieger Ingenhoven zur Berliner Schlossplatzdebatte. Der Mann liegt klar im Trend! Tempo runter, Traditionalismus raus! Himmelstürmende Utopien hier – dort charismatische Kompromisse! Da es ihm schon gelungen ist, ausgerechnet beim Essener RWE-Hochhaus „Technik und Ökologie zu versöhnen“, bringt er es sicher fertig – natürlich erst, wenn die Zeit dafür reif ist –, einen zu Tränen rührenden Entwurf für Ground Zero abzuliefern. Dann heulen die einen, und die andern sind flüssig. Wie immer.

SUSANNE WOLFF, Essen

Die Redaktion behält sich den Abdruck sowie das Kürzen von Briefen vor. Die erscheinenden LeserInnenbriefe geben nicht notwendigerweise die Meinung der taz wieder.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen