Neuwiedenthal: Eltern haften für Schlägerkinder
Nach den Gewalttaten vom Sonnabend fordert die CDU härtere Strafen. Die Linke kritisiert Prügelpolizisten, GAL und SPD bemühen sich um differenzierte Sichtweise.
Es gebe "keine einfachen Lösungen und keine Patentrezepte", räumte Innensenator Christoph Ahlhaus (CDU) am Donnerstag in der Bürgerschaftsdebatte über die Vorfälle von Neuwiedenthal ein. Und als wäre das nicht schon eine überraschend differenzierte Sichtweise für den konservativen Rechtsaußen des schwarz-grünen Senats, setzte er noch hinzu, dass die Polizei "nicht der Reparaturbetrieb sozialer Fehlentwicklungen sein kann". Zwar dürfe das Gewaltmonopol des Staates nicht in Frage gestellt werden, aber etwaiges Fehlverhalten von Polizisten müsse aufgeklärt werden.
Am Samstag war es in Neuwiedenthal zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen Polizisten und etwa 30 Anwohnern gekommen. Ein 46-jähriger Kommissar wurde dabei durch Tritte ins Gesicht schwer verletzt.
In einem Handy-Video ist zu sehen, wie ein Polizist mit dem Gummiknüppel auf einen am Boden liegenden Mann einschlägt. Unklar ist, ob der den Beamten angegriffen hatte oder ob dessen Schlagstockeinsatz die nachfolgende Eskalation, die an eine Straßenschlacht erinnerte, erst ausgelöst hat.
Christiane Schneider (Die Linke) hat "den Verdacht auf Körperverletzung im Amt". Mehrere Passagen in dem etwa fünfminütigen Video deuteten auf "unbeherrschte, überforderte Polizeibeamte hin, die sich und die Situation nicht kontrollieren können". Was ihr von CDU-Innenpolitiker Kai Voet van Vormizeele den Vorwurf einbrachte, "Opfer zu Tätern und Täter zu Opfern zu machen".
Ebenso wie sein Fraktionskollege Karl-Heinz Warnholz forderte van Vormizeele härtere Strafen für Gewalt gegen Polizisten. Die Anwendung des Jugendstrafrechts auf 18- bis 21-Jährige müsse überdacht und bei Jugendlichen sollten auch Erziehungsberechtigte mit in die Verantwortung genommen werden: "Eltern haften für ihre Kinder."
Mit keinem Wort erwähnt wurde in der eineinhalbstündigen Debatte die Demonstration vom Mittwochabend. Da hatten etwa 150 Einwohner Neuwiedenthals am S-Bahnhof dagegen protestiert, als Gewalttäter stigmatisiert zu werden. Im Mittelpunkt ihrer Kritik stand Joachim Lenders, Chef der Polizeigewerkschaft, der pauschal von "Abschaum" gesprochen hatte. Die Polizeiführung hat sich davon offiziell distanziert, doch weder Ahlhaus noch die CDU rangen sich trotz mehrfacher Aufforderung von der Linken zu dieser Selbstverständlichkeit auf. Die grüne Innenpolitikerin Antje Möller hingegen tat dies, und sie rügte auch den Schlagstockeinsatz des Polizisten gegen den am Boden liegenden Mann.
Ausgeblendet wurde auch ein Bild-Artikel vom Donnerstag, der das Ende "der politischen Korrektheit" fordert, weil die es Polizisten verbiete, "Recht und Gesetz knallhart durchzusetzen". Zwar gehe es nicht pauschal gegen ",die' Ausländer. Es sind die Auswüchse, die Geschwüre, die Metastasen der politisch gewollten Wegseherei." Diese selbst für Springers Revolverblatt ungewöhnlich brutalen Formulierungen lassen befürchten, dass wie im Schill-Wahlkampf 2001 die innere Sicherheit zum Topthema gemacht werden soll.
Von "zunehmender Gewalt im öffentlichen Raum", die gestoppt werden müsse, sprach Andreas Dressel (SPD). "Konsequent gegen Gewalt" sei die Linie der SPD, aber auch die Ursachen müssten ermittelt werden. Und die lägen vor allem, so Dressel, "in der sozialen Spaltung". Integrationsdefizite, mangelnde Bildung, Arbeitslosigkeit und fehlende Perspektive seien die Hauptgründe für Gewaltanwendung vor allem von jungen Männern mit Migrationshintergrund in sozialen Brennpunkten wie der Trabantenstadt Neuwiedenthal.
Die Grüne Möller setzt Hoffnungen auf die am Dienstag eingesetzte "Senatskommission gegen Gewalt in der Öffentlichkeit". Hier sollen Innen-, Justiz- und Sozialbehörde die Vorkommnisse aufarbeiten und die Frage klären, "ob und warum in einzelnen Vierteln das Vertrauen in die Polizei verloren gegangen" sei. "Wir werden damit erfolgreich sein", versicherte Möller, "weil wir erfolgreich sein müssen."
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Slowakischer Regierungschef bei Putin im Kreml
Spiegel-Kolumnist über Zukunft
„Langfristig ist doch alles super“
James Bond
Schluss mit Empfindsamkeit und Selbstzweifeln!
Nachhaltige Elektronik
Ein blauer Engel für die faire Maus