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NeuwiedenthalEltern haften für Schlägerkinder

Nach den Gewalttaten vom Sonnabend fordert die CDU härtere Strafen. Die Linke kritisiert Prügelpolizisten, GAL und SPD bemühen sich um differenzierte Sichtweise.

Trabantenstadt: Nach den Gewalttaten vom Samstag in Neuwiedenthal streiten sich die Fraktionen über die Konsequenzen. Bild: wikimedia commons

Es gebe "keine einfachen Lösungen und keine Patentrezepte", räumte Innensenator Christoph Ahlhaus (CDU) am Donnerstag in der Bürgerschaftsdebatte über die Vorfälle von Neuwiedenthal ein. Und als wäre das nicht schon eine überraschend differenzierte Sichtweise für den konservativen Rechtsaußen des schwarz-grünen Senats, setzte er noch hinzu, dass die Polizei "nicht der Reparaturbetrieb sozialer Fehlentwicklungen sein kann". Zwar dürfe das Gewaltmonopol des Staates nicht in Frage gestellt werden, aber etwaiges Fehlverhalten von Polizisten müsse aufgeklärt werden.

Am Samstag war es in Neuwiedenthal zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen Polizisten und etwa 30 Anwohnern gekommen. Ein 46-jähriger Kommissar wurde dabei durch Tritte ins Gesicht schwer verletzt.

In einem Handy-Video ist zu sehen, wie ein Polizist mit dem Gummiknüppel auf einen am Boden liegenden Mann einschlägt. Unklar ist, ob der den Beamten angegriffen hatte oder ob dessen Schlagstockeinsatz die nachfolgende Eskalation, die an eine Straßenschlacht erinnerte, erst ausgelöst hat.

Christiane Schneider (Die Linke) hat "den Verdacht auf Körperverletzung im Amt". Mehrere Passagen in dem etwa fünfminütigen Video deuteten auf "unbeherrschte, überforderte Polizeibeamte hin, die sich und die Situation nicht kontrollieren können". Was ihr von CDU-Innenpolitiker Kai Voet van Vormizeele den Vorwurf einbrachte, "Opfer zu Tätern und Täter zu Opfern zu machen".

Ebenso wie sein Fraktionskollege Karl-Heinz Warnholz forderte van Vormizeele härtere Strafen für Gewalt gegen Polizisten. Die Anwendung des Jugendstrafrechts auf 18- bis 21-Jährige müsse überdacht und bei Jugendlichen sollten auch Erziehungsberechtigte mit in die Verantwortung genommen werden: "Eltern haften für ihre Kinder."

Mit keinem Wort erwähnt wurde in der eineinhalbstündigen Debatte die Demonstration vom Mittwochabend. Da hatten etwa 150 Einwohner Neuwiedenthals am S-Bahnhof dagegen protestiert, als Gewalttäter stigmatisiert zu werden. Im Mittelpunkt ihrer Kritik stand Joachim Lenders, Chef der Polizeigewerkschaft, der pauschal von "Abschaum" gesprochen hatte. Die Polizeiführung hat sich davon offiziell distanziert, doch weder Ahlhaus noch die CDU rangen sich trotz mehrfacher Aufforderung von der Linken zu dieser Selbstverständlichkeit auf. Die grüne Innenpolitikerin Antje Möller hingegen tat dies, und sie rügte auch den Schlagstockeinsatz des Polizisten gegen den am Boden liegenden Mann.

Ausgeblendet wurde auch ein Bild-Artikel vom Donnerstag, der das Ende "der politischen Korrektheit" fordert, weil die es Polizisten verbiete, "Recht und Gesetz knallhart durchzusetzen". Zwar gehe es nicht pauschal gegen ",die' Ausländer. Es sind die Auswüchse, die Geschwüre, die Metastasen der politisch gewollten Wegseherei." Diese selbst für Springers Revolverblatt ungewöhnlich brutalen Formulierungen lassen befürchten, dass wie im Schill-Wahlkampf 2001 die innere Sicherheit zum Topthema gemacht werden soll.

Von "zunehmender Gewalt im öffentlichen Raum", die gestoppt werden müsse, sprach Andreas Dressel (SPD). "Konsequent gegen Gewalt" sei die Linie der SPD, aber auch die Ursachen müssten ermittelt werden. Und die lägen vor allem, so Dressel, "in der sozialen Spaltung". Integrationsdefizite, mangelnde Bildung, Arbeitslosigkeit und fehlende Perspektive seien die Hauptgründe für Gewaltanwendung vor allem von jungen Männern mit Migrationshintergrund in sozialen Brennpunkten wie der Trabantenstadt Neuwiedenthal.

Die Grüne Möller setzt Hoffnungen auf die am Dienstag eingesetzte "Senatskommission gegen Gewalt in der Öffentlichkeit". Hier sollen Innen-, Justiz- und Sozialbehörde die Vorkommnisse aufarbeiten und die Frage klären, "ob und warum in einzelnen Vierteln das Vertrauen in die Polizei verloren gegangen" sei. "Wir werden damit erfolgreich sein", versicherte Möller, "weil wir erfolgreich sein müssen."

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8 Kommentare

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  • P
    pablo

    Und wenn ich nicht mehr weiter weis, dann bilde ich einen Arbeitskreis.

  • RH
    Rainer Hohn

    "Was kann ich tun, wenn ich einen Polizei-Einsatz beobachte und der Meinung bin, dass ein Polizist einen Bürger ungerechtfertigt misshandelt."

     

    Gar nichts. Denn in der Logik einer viel zu großen Mehrheit der Polizei gibt es so etwas wie ein "ungerechtfertigtes" Handeln der Polizei nicht, so dass es konsequenterweise auch keinen Verfolgungswillen seitens der Polizei oder auch der Staatsanwaltschaft gibt.

    Als Beispiel hierfür mögen die Angriffe von Polizeibeamten auf friedliche Bürger bei der "Freiheit statt Angst" Demo oder am 1. Mai diesen Jahres in Berlin sein, von denen es jeweils eindeutige Videoaufnahmen gibt. Bis heute wurden nicht einmal die Namen der Angreifer ermittelt, geschweige denn, Anzeige erstattet. Dabei gilt es zu bedenken, dass jede Körperverstzung ein Offizialdelikt ist, welches unabhängig von einer Anzeige des oder der Betroffenen zur Anzeige gebracht werden MUSS.

    Wenn ein Betroffener selber einmal Anzeige wegen Körperverletzung im Amt erstattet, erhält er mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit eine Gegenanzeige wegen Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte und (schwere) Körperverletzung, bei Demonstrationen gerne auch noch "garniert" mit einem schweren Landfriedensbruch. Seine Anzeige wird in der Regel dann ignoriert oder sofort abgewiesen.

    Zeugen werden bestenfalls "nur" ignoriert, nicht selten aber auch massiv bedroht oder ihrerseits mit strafrechtlichen Sanktionen belegt. Dagegen wird der Täter, bedingt durch den extremem Korpsgeist bei der Polizei, von seinen Kammeraden massiv geschützt und gedeckt. Bei der "Freiheit statt Angst"-Demo schwenkte die Polizeikamera "zufällig" kurz vor dem Angriff weg, und keiner der anwesenden Polizisten, die sich auch noch schützend vor die beiden Schläger stellten und sie so der Sicht entzogen, will sich an irgend etwas erinnern können.

  • M
    Marktzyniker

    Laut Welt-Online ist Neuwiedenthal zu einem sogenannten Gefahrengebiet erklärt worden. Dies bedeutet für die Bewohner, dass ihre Taschen und Personalien ohne jeglichen Verdacht von der Polizei kontrolliert werden können. Die Bewohner stehen damit unter Generalverdacht, es ist eine Schande, dass die GAL diesem Gesetz zugestimmt hat.

    Und nun nochmals eine Frage in der Hoffnung, dass sie hier mal von Seiten der Polizei beantwortet wird:

    Was kann ich tun, wenn ich einen Polizei-Einsatz beobachte und der Meinung bin, dass ein Polizist einen Bürger ungerechtfertigt misshandelt. Ist es normal, dass man dann von den Kollegen des Polizisten gesagt bekommt, dass man ein "Feigling" sei und man als Zeuge nicht gehört wird? Oder stellt das Video einen einen Einzelfall dar?

  • P
    P.Rösing

    Im Grunde genommen sollten einen die Beamten leid tun, erst kommen Gesetze welche dazu führen das die Polizei an beliebtheit verliert, dann kommen Videos die in richtigen Momenten aufgenommen wurden wo die Polizei zur tat schreitet.

     

    Das Unwohl des Volkes wird immer größer und da sind Polizisten die jenen die einstecken müssen weil die Regierung riesige Fehler gemacht hat, ich finde es eine Frechheit das Polizisten als Sandsäcke hinhalten müssen wenn die Regierung diese Fehler begeht.

     

    Wenn es sich weiter so Entwickelt sollten die Beamten sich auchmal aussprechen bezüglich der Problematik die gerade in Deutschland herrscht, und nicht die Medien alles ausblenden lassen was falsch läuft, immerhin sind Polizisten auch Teil des Volkes und können genau so die Probleme anprangern, bevor es Eskaliert.

  • KB
    Karin Bryant

    Jetzt wird in der BUergerschaft debattiert,eine Sonderkommission eingesetzt...aendern wird das nicht bis einer dieser endlose Debattierer selber mal von dem Mob auf der Strasse richtig durchgepruegelt wird.

  • H
    Hannes

    Es ist schon interessant, dass die SPD sich mehr oder weniger hinter die Linie der Regierung und der Polizeigewerkschaft stellt. Es gab Zeiten, da war die Partei liberal, heute sollen die Polizisten dort durchgreifen. Und als ob das was bringen würde?

    Gewalttätige Jugendlichen sind in der Geschichte der Menschheit nichts Neues - ist das so schwer zu verstehen?

    Und ob nun Immigranten, Rußlanddeutsche, Deutschpolen oder echte Hanseaten zuhauen - Gewalt ist nie gut und muss bestraft werde. Was aber passiert vorher?

    Darauf hat - mindestens die SPD - keiner eine gute Antwort und das finde ich ganz schön schwach.

    Beim Durchgreifen läuft das nämlich so: Y, X und Z wandern nach zig Verhandlungen in den Jugendknast und treffen dort auf Gleichgesinnte, dort wird dann heftig gequatscht, jeder macht sich dick und prallt, am Ende sind sie alle mehr oder weniger Freunde. Und dann sind sie auch schon wieder frei und jetzt sind sie Bestandteil einer kriminellen Szenne. Und fünf Jahre später treffen sich wieder ein paar in Santa Fu und zehn Jahre wieder und so weiter. Wer durchgreifen will, der erzeugt nicht unbedingt das Ergebnis, was er will, sondern er schleußt gefährdete Menschen oft in die kriminelle Szene ein. Bei einigen ist es auch so, da hilft dann alles nichts, aber bei vielen gibt es vorher noch genug Abbiegungen und das erscheint vielen Bürgern nicht gut, aber das ist so.

    Mich würde interessieren, ob im Stadtteil in den letzten 20 Jahren an Jugendeinrichtungen und ähnlichen Dingen gespart wurde?

  • W
    wolf

    Der Grund für diese Gewaltexzesse liegt in der unkontrollierten und politisch gewollten Einwanderung, die von entsprechender Seite als "Multikulti oder "bunt" ideologisch instrumentalisiert wird.

     

    "Junge Männer mit Migrationshintwergrund" - puh, mehr pc geht wohl gar nicht, das kling echt nach dem edlen Wilden der gar nicht anders kann, als quasi kulturimmanent gewaltätig zu werden ... Karl May läßt grüßen.

  • MN
    Mein Name

    Dummes Rumgesabbel..Hamburg (so wie Berlin und andere Städte) hat ein massives Gewaltproblem. Innere Sicherheit wird das TopThema werden. Und zu Recht, denn die Einschläge rücken näher, näher an jeden Hamburger Bürger. So wie dem Freund meines Sohnes im Bus von hinten eine Flasche übern Kopf gezogen wurde, um das Handy zu rauben. Jeder kennt mittlerweile jemanden, der auf brutale Art und Weise Opfer geworden ist.

     

    In Hamburg haben das ganz klar der Innen- und der Justizsenator zu verantworten! Ja, VERANTWORTUNG hat der Senat. Es geht nicht nur darum Prestigeobjekte durch zu drücken, es geht darum Hamburg zu einer weiterhin lebenswerten Stadt zu machen. Handeln, liebe Senatoren, Handeln und nicht rumsabbeln oder den 1000 ten Arbeitskreis zu bilden.

     

    P.S. Wer nicht handelt, gibt dem braunen Mob eine Chance!