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Neuwahlen"Ukraine ist noch nicht reif für Europa"

Am Sonntag wählt die Ukraine. Die Politik hat viele Hoffnungen, die die orange Revolution weckte, enttäuscht. Und doch hat die Rebellion die Mentalität der Ukrainer beeinflusst, so der Autor Andrej Kurkow

Nach der Euphorie der orangenen Revolution sind viele Ukrainer heute von ihren Politikern enttäuscht, meint Kurkow. Bild: ap

taz: Herr Kurkow, nach nur anderthalb Jahren wählen die Ukrainer wieder ein Parlament. Sind Sie schon wahlmüde?

diogenes

ANDREJ KURKOW, 46, wurde im russischen Budugoschtsch, im St. Petersburger Gebiet geboren, lebt aber seit frühester Kindheit in Kiew. Der Absolvent des Kiewer Fremdspracheninstituts hat u. a. als Redakteur, Gefängniswärter und Kameramann gearbeitet. Er ist Autor zahlreicher Romane ("Pinguine frieren nicht") und Spielfilmdrehbücher. Sein jüngster Roman "Die letzte Liebe des Präsidenten" erschien 2005 bei Diogenes.

Andrej Kurkow: Nicht nur ich bin müde - das ganze Land hat die Nase von diesen Politikern voll. Die werden sich immer ähnlicher und wenden dieselben Methoden an.

Welche zum Beispiel?

Sie kaufen Richter, damit diese Entscheidungen fällen, die ihnen in den Kram passen. Einige Richter arbeiten für die Partei von Staatspräsident Wiktor Juschtschenko, andere für Regierungschef Wiktor Janukowitsch, wieder andere für die Oppositionspolitikerin Julia Timoschenko.

In den letzten Monaten herrschte in der Ukraine wegen des Machtkampfes zwischen Staatspräsident und Regierung politischer Stillstand. Was erwarten Sie von den Wahlen?

Nicht viel, denn an der jetzigen Zusammensetzung des Parlaments wird sich wohl nur wenig ändern. Aber es wird zu keiner Krise kommen. Da sind die Oligarchen vor, und die wollen keine Krise, die sich negativ auf ihre Geschäfte auswirken würde. Juschtschenko hat schon Gespräche mit Rinat Achmetow [reichster Unternehmer in der Ukraine; d. Red.] geführt. Alles was Juschtschenko tun wird, wird nur mit der Zustimmung der mächtigsten Oligarchen geschehen.

Sie haben 2004 Juschtschenko und Timoschenko, die "Orange Kräfte", unterstützt. Ist das jetzt immer noch der Fall?

Nein und ich nenne Ihnen ein Beispiel. Mein Heimatdorf befindet sich im Schitomirer Gebiet. Der Chef der staatlichen Regionalverwaltung ist Mitglied der Partei Unsere Ukraine und wurde von Juschtschenko ernannt. Er hat 120 Hektar Land gestohlen und verkauft. Die Dorfbewohner sind gegen ihn vorgegangen, kürzlich wurde er verhaftet, weil er 120.000 Euro Schmiergeld kassiert hat. Das ist ja wohl keine Empfehlung, um diese Partei zu unterstützen.

Gilt das auch für Julia Timoschenko und ihre Partei Bjut?

Bjut ist derzeit die gefährlichste Partei. Timoschenko ist eine radikale, autoritäre Politikerin, die keine Mannschaft hat, sondern nur Untergebene und Feinde. Sie hat angekündigt, alle fragwürdigen Privatisierungen rückgängig zu machen und diesen Staatsbesitz erneut zu privatisieren. Sollte diese Situation eintreten, bedeutet das den Zusammenbruch unserer Währung und Wirtschaft. Für Timoschenko ist der ideale Platz in der Opposition, um den Regierenden auf die Finger zu schauen.

Ihr Urteil über die "orange" Politiker fällt ziemlich vernichtend aus. Ist von der vielgepriesenen "Revolution" überhaupt etwas geblieben?

Die Revolution war wichtig, weil sie die Mentalität verändert hat. Jetzt sind die Ukrainer, die nie am politischen Leben teilhatten, bereit, für ihre Rechte einzutreten und vor Gericht zu ziehen. Ohne die Revolution hätte mein Heimatdorf den Verwaltungschef nie hinter Gitter gebracht.

Derzeit ist viel von einer Spaltung der Ukraine in einen westlichen und einen östlichen Teil die Rede. Ist das so?

Nein, das ist eine Wahlkampfinszenierung. Die einzige antiukrainische Region, die in Richtung Russland strebt, ist die Krim. Alle anderen Regionen verstehen sich als Teil der Ukraine. Ich bin viel im Osten, im Donetzk-Gebiet, unterwegs. Nach meinen Lesungen kommen oft ältere Leute zu mir und sagen stolz: Unsere Kinder sprechen schon Ukrainisch.

Sie werden als ukrainischer Autor wahrgenommen, schreiben aber auf Russisch. Janukowitsch will per Referendum abstimmen lassen, ob Russisch zweite Amtssprache werden soll. Was halten Sie davon?

Nichts. Wir brauchen kein Referendum. De facto ist die Ukraine zweisprachig, jedoch gibt es an vielen Schulen Probleme, weil dort zu wenig Russisch unterrichtet wird. Das muss sich ändern. Doch ein Referendum würde die ukrainischen Nationalisten und die russischen Chauvinisten auf den Plan rufen und wäre daher eine Dummheit.

Im Jahr 2004 haben viele Ukrainer auf die EU gehofft. Jetzt fühlen sich viele von Europa im Stich gelassen. Zu Recht?

Europa hat genug eigene Probleme. Wichtig ist, dass Polen und Litauen weiterhin als Anwalt der Ukraine auftreten. Das reicht, um die europäische Idee in der Ukraine am Leben zu erhalten. In den nächsten 15 Jahren wird die Ukraine sowieso nicht so weit sein, um EU-Mitglied zu werden. Wir müssen Geduld haben und abwarten, wie die EU in fünfzehn Jahren aussehen wird. Dann wird sich zeigen, ob ein EU-Beitritt für die Ukraine erstrebenswert ist.

Was sagt denn Ihr populärster Romanheld, der Pinguin Mischa, zur Politik in der Ukraine? Reist er zu den Wahlen an?

Nein, er bleibt in der Antarktis, weil es ihm hier klimatisch und politisch zu heiß ist. Aber er identifiziert sich mit Wiktor Janukowitsch. Über den wird nur Gutes oder nur Schlechtes gesagt, alles schwarzweiß, wie ein Pinguin eben.

INTERVIEW: BARBARA OERTEL

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