piwik no script img

Neuwahl nach Protesten in BeirutWut, Trauer und Verzweiflung

Nach der schweren Explosion fordern Tausende in der libanesischen Hauptstadt den Sturz der Regierung. Regierungschef kündigt prompt Neuwahlen an.

Tränengas am Rande der Proteste in Beirut am Samstag Foto: Hassan Ammar/ap

Beirut dpa/afp/rtr/taz | Vier Tage nach der verheerenden Explosion im Hafen der libanesischen Hauptstadt haben Tausende Libanesen gegen die Regierung demonstriert. Die Menschen versammelten sich am Samstag zu einer Trauer- und Protestkundgebung auf dem Märtyrer-Platz im Zentrum Beiruts. Am Rande der Demonstration kam es zu nach Zusammenstößen mit Sicherheitskräften zu zahlreichen Verletzten. Ein Teil der Demonstranten stürmte den Sitz des Außenministeriums.

Am Abend kündigte dann Regierungschef Hassan Diab vorgezogene Neuwahlen an. Dies sei der einzige Weg, um die tiefe Krise des Landes zu überwinden, sagte Diab in einer Fernsehansprache. Er werde seinem Kabinett daher am Montag Neuwahlen vorschlagen. Eine Verantwortung für die wirtschaftlichen und politischen Probleme des Landes wies er jedoch zurück.

Einige Demonstranten hatten zuvor versucht Absperrungen zum Parlament zu durchbrechen. Sie warfen Steine, wie auf Bildern der BBC zu sehen war. Die Sicherheitskräfte wiederum setzen massiv Tränengas ein, um diese Demonstranten zu vertreiben.

Anderen gelang es dennoch, in das libanesische Außenministerium einzudringen, wie der Fernsehsender MTV berichtete. Auf Bildern des Senders war zu sehen, wie sie ein Bild von Präsident Michel Aoun zertrümmern. Die Aktivisten hängten ein großes Plakat mit dem Slogan „Beirut ist die Hauptstadt der Revolution“ auf.

Das Motto der Protestkundgebung lautete „Gerechtigkeit für die Opfer, Rache an der Regierung“. „Das Volk will den Sturz des Regimes“, war in Sprechchören zu hören. „Verschwindet, ihr seid alle Mörder“, stand auf Bannern. „Wir wollen eine Zukunft in Würde, wir wollen, dass das Blut der Explosionsopfer nicht umsonst vergossen wurde“, sagte eine der Demonstrantinnen. „Der Aufstand und die Revolution gehen weiter“, sagte einer der Demonstranten dem Sender MTV. Präsident Michael Aoun, Regierungschef Hassan Diab und die gesamte politische Führungsspitze seien für die Detonation verantwortlich.

Trotz der angespannten Stimmung waren die Proteste zunächst relativ friedlich geblieben. Später teilte das libanesische Rote Kreuz am Samstag über Twitter mit, dass bei den Protesten mindestens 130 Menschen verletzt worden seien. 28 von ihnen seien in umliegende Krankenhäuser gebracht, 102 vor Ort behandelt worden. Offenbar hatte die Polizei auch Gummigeschosse gegen Demonstranten eingesetzt. Andere wurden durch Tränengasgranaten getroffen und verletzt.

Viele Libanesen machen die politische Führung des kleinen Landes am Mittelmeer für die schwere Explosion verantwortlich. Die Zahl der Toten stieg auf 158, wie das Gesundheitsministerium am Samstag mitteilte. Die Zahl der Verletzten kletterte demnach auf rund 6.000.

Bereits im vergangenen Oktober hatten Massenproteste gegen die Regierung begonnen. Die Demonstranten fordern weitgehende politische Reformen. Sie werfen der politischen Elite Korruption vor und beschuldigen sie, das Land rücksichtslos auszuplündern.

Die Wut ist auch deswegen so groß, weil offenbar über Jahre große Mengen der hochexplosiven Chemikalie Ammoniumnitrat ohne Sicherheitsvorkehrungen im Hafen lagerten. Dies soll die gewaltige Explosion verursacht haben. Warnungen wurden Berichten zufolge in den Wind geschlagen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

4 Kommentare

 / 
  • Ja ja, die Wut, alle sind immer so furchtbar wütend, dass man es in jeder zweiten Überschrift lesen kann. Ich weiß nicht, was mich daran mehr anödet, die Stereotypie oder die Stupidität.

    • @Trango:

      Sie öden sich selber an in Ihrer wütenden Langeweile der Dekadenz.



      . - Schon gut gegessen heute? Beim Arzt gewesen? Hübschen Ausflug an den See gemacht, weil Benzin noch erschwinglich?

      • @Berrybell:

        Nein, mit dem MTB unterwegs gewesen, vor der Mittagshitze. Und mit Freunden in Beirut kommuniziert, vor einem Jahr saßen wir noch dort zusammen, wo nun alles in Schutt und Asche liegt. Die Freunde pflegen allerdings eher den konstruktiven Ansatz. Sie mögen damit, vor allem und gerade auch im Libanon, in der Minderheit sein. Das ist aber nicht das Problem der Minderheit.

      • @Berrybell:

        erst Mal ein Auto besitzen