Neutronenaktivität in Tschernobyl: Bewegung unter den Trümmern
Sensoren messen eine steigende Neutronenzahl im einst havarierten Reaktor von Tschernobyl. Was ist die Ursache dafür?
Eine Katastrophe wie damals befüchtet Saveliev nicht. Es könne zwar zu einem Einsturz von instabilen Teilen des über den Trümmern errichteten Sarkophags kommen, der offiziell seit 2016 von der zweiten Hülle überbaut ist, die tatsächlich erst seit 2018 funktionsfähig ist. Doch dank des immer noch langsamen Anstiegs der Neutronenanzahl – sie soll sich laut dem Magazin in den vergangenen 4 Jahren in etwa verdoppelt haben – habe man ein paar Jahre Zeit.
Derzeit befänden sich 170 Tonnen radioaktives Uran unter der Hülle, heißt es in dem Bericht. Bei der Havarie 1986 hatten sich Brennstäbe, Sand, Wasser und Beton zu einem lavaähnlichen Gemisch vereinigt, das in die Reaktorräume geflossen war, wo es im Lauf der Zeit zu einem sehr festen Stoff, Corium, verhärtete. Die AutorInnen des Berichts gehen aufgrund von ISPNPP-Versuchen davon aus, dass die Trockungsprozesse in diesem Corium für die erhöhte Neutronenaktivität verantwortlich sind.
„Ohne genau zu wissen, was nun die Ursache für den Anstieg der Neutronenzahl ist, ist offensichtlich, dass auch die neue Hülle das Problem nicht löst“, sagt Olexi Pasyuk, Direktor der ukrainischen Sektion von Bank Watch Network. Sie sei nicht gebaut worden, um Unfälle zu verhindern – das könne sie auch nicht. Vielmehr soll sie ermöglichen, dass der havarierte Reaktor mit möglichst geringen Auswirkungen auf die Umwelt rückgebaut werden kann.
Einhüllen reicht nicht
„Was mich an meisten beunruhigt, ist die Vorstellung, dass die Entscheidungsträger meinen könnten, mit der Hülle sei alles gut“, sagt Pasyuk. „Und dass sie sich deswegen nicht die Mühe machen, den Reaktor zerlegen zu lassen.“ Er hofft, dass die aktuellen Nachrichten noch einmal deutlich machen, wie notwendig der Rückbau und die Entsorgung des Reaktors sind.
Für den russischen Atomphysiker und AKW-Gegner Andrei Oscharowski wirft der Artikel des Wissenschaftsmagazins mehr Fragen auf, als er beantwortet. So sei unklar, wie man den Anstieg der Neutronenzahl gemessen habe. Man müsse dem aber unbedingt nachgehen. „Die internationale Gemeinschaft muss den havarierten Reaktor und die gesamte Sperrzone von Tschernobyl sehr genau beobachten“, so Oscharowski.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
MLPD droht Nichtzulassung zur Wahl
Scheitert der „echte Sozialismus“ am Parteiengesetz?
Mord an UnitedHealthcare-CEO in New York
Mörder-Model Mangione
Geschasste UN-Sonderberaterin
Sie weigerte sich, Israel „Genozid“ vorzuwerfen
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Förderung von E-Mobilität
Habeck plant Hilfspaket mit 1.000 Euro Ladestromguthaben
Vertrauensfrage von Scholz
Der AfD ist nicht zu trauen