Neuköllner Anschlagsserie: Karten nicht auf den Tisch gelegt
Der Skandal um unbearbeitete Strafverfahren gegen rechts zieht Kreise bis zum Neukölln-Untersuchungsausschuss. Polizeichefin Slowik in der Kritik.
Aber dann – der Ausschuss tagt zunächst nichtöffentlich, die Zuhörerinnen und Zuhörer warten auf dem Gang des Abgeordnetenhauses – schlägt eine Pressemitteilung ein wie eine Bombe: „Skandal um nicht bearbeitete Straftaten bei der Polizei: Personelle Überschneidungen zu den Mordermittlungen im Fall Burak Bektaş“. Niklas Schrader und Ferat Koçak, Abgeordnete der Linkspartei, haben sie verschickt.
Bezugnehmend auf die Innenausschussitzung von Montag schreiben Schrader und Koçak: „Entgegen erster Darstellungen im Innenausschuss gibt es in Bezug auf die nicht bearbeiteten rechten Straftaten beim Staatsschutz nun doch eine Verbindung zum Neukölln-Komplex“. Laut Presseberichten sei bestätigt, dass der Kommissariatsleiter, gegen den nun ermittelt werde, früher Mordermittler im Fall Burak Bektaş war. Die Fakten kämen aber nach wie vor nur scheibchenweise ans Licht. „Deutlicher kann man die Ignoranz gegenüber Betroffenen von rechter Gewalt nicht ausdrücken.“
Doch Bezug zum Fall Bektaş
Der Untersuchungsausschuss hat den Auftrag, mögliche Ermittlungsfehler in einer Serie rechtsextremistischer Anschläge in Neukölln aufzuspüren. Der ungeklärte Mord an Burak Bektaş gehört dazu, denn auch bei diesem steht – wie bei den 72 zur Serie gezählten Straftaten – ein rechtsextremes Tatmotiv im Raum.
Der 22-Jährige war im April 2012 in Neukölln erschossen worden, als er mit vier Freunden vor einem Wohnhaus stand. Zwei der Freunde wurden durch die Schüsse schwer verletzt. Die polizeilichen Ermittlungen führten zu keinem Ergebnis, der Täter ist bis heute unbekannt. Das am Tatort für Bektaş errichtete Denkmal ist mehrfach geschändet worden.
Zunächst hatte es den Anschein, als habe der Akten-Skandal beim Staatsschutz, den die B.Z. vor einer Woche enthüllt hatte, mit dem Neuköllner Straftatenkomplex nichts zu tun. Bei einem routinemäßigen Führungswechsel in der Behörde war im September aufgefallen, dass ein Kommissariat in der LKA-Abteilung 53 drei Jahre lang massenhaft rechte Straftaten nicht bearbeitet hatte.
Von Linken und Grünen am Montag im Innenausschuss zur Rede gestellt, bezifferte Polizeipräsidentin Barbara Slowik die Zahl der liegen gebliebenen Fälle auf 364. Gegen den ehemaligen Leiter des Kommissariats und einen Ermittler seien deshalb Ermittlungsverfahren wegen Strafvereitelung im Amt eingeleitet worden.
Zum Neukölln-Komplex hätten die 364 liegen gebliebenen Verfahren aber keinen Bezug, erklärte Slowik noch im Innenausschuss. Ob wiederum die beteiligten Dienstkräfte Bezug zum Neukölln-Komplex aufwiesen, sei Gegenstand der Ermittlungen.
Grüne und Linke ungehalten
„Wir hatten schon am Montag den Eindruck, dass Slowik nicht alle Karten auf den Tisch gelegt hat“, sagt Niklas Schrader am Freitag am Rande des Untersuchungsausschusses zur taz. Es sei kaum vorstellbar, dass Slowik da noch nicht wusste, dass der Kommissariatsleiter, gegen den wegen der 364 Verfahren ermittelt wird, früher Mordermittler im Fall Bektaş war.
Sichtlich ungehalten reagiert auch der Vorsitzende des Untersuchungsausschusses, Vasili Franco (Grüne). „Obwohl am Montag noch Bezüge zum Neukölln-Komplex verneint wurden, war der betroffene LKA-Leiter anscheinend lange Zeit leitender Ermittler im Mordfall Bektaş, der ebenfalls Gegenstand des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses ist“.
Zudem sei es nicht das erste Mal, dass parallel zur Arbeit des Untersuchungsausschusses Ermittlungspannen bei der Berliner Polizei aufgedeckt worden seien, so Franco zur taz. „Ich erwarte gegenüber dem Parlament vollständige Transparenz.“ Eine Salamitaktik konterkariere die parlamentarischen Bemühungen bei der Bekämpfung des Rechtsextremismus und schade dem Vertrauen in die Sicherheitsbehörden.
„Was da passiert, übersteigt jegliche Vorstellungskraft“, bringt es eine Unterstützerin der von der Anschlagsserie Betroffenen am Freitag auf den Punkt. Polizeipräsidentin Slowik müsse zurücktreten. Ob sich die Betroffenen in ihrer auf dem Flugblatt geäußerten Auffassung bestätigt fühlten? Bestätigt sei noch untertrieben, sagt eine der Frauen: „Das hört nicht auf“.
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